Meine Geschichten
  Southhampton
 
Es war nicht ganz einfach gewesen, Ryder nach dem, was er hier in Rom erlebt hatte zu überreden, hier zu bleiben und genau wie Logan ein bisschen für uns zu spionieren. Schlussendlich ließ er sich breitschlagen, nicht zuletzt, weil ich etwas moralisches „Unterstützungsgeld“ da ließ, dass ihm die Entscheidung erheblich leichter machte. Zusammen mit Sophia, Beth, Mick und Guillermo hieß unser nächster Stopp... das Ungewisse. Denn so sehr die drei sich angestrengt hatten, einen Blick in die Archive zu werfen, hatten sie doch nichts wichtiges herausfinden können.
„Es ging einfach nicht.“ meinte der Pathologe geknickt. Er starrte auf seine Schuhe, in dem Bestreben, mir nicht in die Augen sehen zu müssen.

Schließlich tat er es doch und sein Blick war gleichzeitig schuldbewusst und furchtsam. Vor mir hatte er erst einmal nichts zu befürchten, wusste ich doch, dass es so hätte enden müssen. Beths und Sophias Plan war zwar eine fixe Idee gewesen, aber leider auch nicht mehr. Das Einzige, was die drei heraus gefunden hatten war, dass die Archive wirklich bis 2012 gesperrt sein würden, sogar für Restaurateure. Nun beschäftigten sich Restaurateure aber nicht gerade mit alten Büchern oder Schriftrollen, zumindest jene nicht, die sich auf Gebäuderestauration spezialisiert hatten. Am Ende waren die drei also nur aufgeflogen und hinaus geworfen worden. Die Lunte der Legion witterte niemand der dort Anwesenden. War aber die Legion in der Nähe, so würde sie sicherlich wissen, wo wir hin wollten.

Beth und Sophia ließen mutlos die Köpfe hängen. Jetzt, wo wir nur noch zu fünft waren, gestaltete sich unser Unternehmen, mehr Informationen in kürzerer Zeit zu bekommen als die Legion als mehr als schwierig.
Aber aufgeben wollte keiner von uns. Nur waren wir ratlos, wie es weiter gehen sollte.
„Jetzt war alles umsonst.“ murmelte Beth und Mick strich ihr tröstend über den Kopf.
„Gar nichts war umsonst. Wir müssen nur die Spur wieder aufnehmen, dann kann es auch schon weiter gehen.“ sagte ich fest und zückte mein Handy. Ein oder zwei Anrufe, und wir wären wieder da, wo wir sein sollten: Der Legion auf den Fersen oder ihnen voraus.

„Logan, hi. Josef hier.  Hast du schon etwas Neues? Nein. Okay. Ja, dem geht`s gut. Okay. Ja, du weißt aber nicht, wohin sie unterwegs sind? Gut. Danke dir.“ dann legte ich auf. Das hatte mich kein Stück weiter gebracht. Logan zufolge unternahm zumindest in Madrid noch niemand etwas. Die dort ansässigen Mitglieder der Legion – sofern sie denn nicht tot waren – verließen die Stadt nicht. Blieb nur noch Person Nummer zwei, die ich ein bisschen nerven konnte. Schon allein, weil es Spaß machte, ihn immer wieder auf die Palme zu treiben. Also wählte ich eine andere Nummer.
„Lance, wie schön, deine Stimme zu hören.“ rief ich überschwänglich in den Hörer und zog mich in den Schatten zurück. „Nein, deswegen rufe ich nicht an. Ja, leider.“ Ich schwieg ein paar Sekunden, um ihn ausreden zu lassen. „Nun, es ist nicht ganz so, wie du jetzt vielleicht...“ wieder schwieg ich und hielt mir das Telefon ein Stück vom Ohr weg.

„Das weiß ich auch. Deswegen rufe ich dich ja an. Damit du uns sagst wo... England. Und was wollen die da? hm... hm. Okay. Hm. Wo genau? Ja... Was finden die denn an schimmeligen Türen und Kronleuchtern? Okay, okay. Ja, man sieht sich. Bye.“ Wieder legte ich auf. Dann sah ich die anderen an, die mich ratlos anstarrten.
„Immerhin weiß ich jetzt, wo wir als nächstes hin müssen. Auf geht’s nach Southhampton.“ meinte ich gespielt fröhlich und ging den anderen voraus. „Moment mal.“ rief Mick mir nach.
„Was will die Legion da?“ ich drehte mich zu ihm herum. „Na da ist doch ein Museum in dem ein paar Stücke der Titanic lagern... die holen sie sich, wenn wir nicht vorher da sind.“ rief ich zurück und lief weiter.

*

In der Eingangshalle des Museums wurden wir gleich am Empfang aufgehalten. „Mr. Fortunato, Sir?“ fragte der Mann an der Kasse. Ich merkte erst, dass ich gemeint war, als Mick mich zwischen die Schulterblätter stupste.
„Ja?“ fragte ich misstrauisch nach und kam ein bisschen näher.  Wir waren gerade mal ein paar Minuten hier und schon kannte man uns. Irgend etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Woher wusste der Mann meinen falschen Namen?
Der Kassierer wirkte sichtlich nervös, als ich ihn so musterte. Wie einer von der Legion sah er nicht aus. Zu weichlich. Das war niemand, der Befehle brüllte oder einem hinterrücks ins Kreuz schoss. Dennoch konnte ich nicht umhin, mich umzusehen. Niemand war hier.

Halb hatte ich gefürchtet, Spitzel der Legion lauerten an jeder Ecke. Ein weiterer Beweis meiner ab und an aufflammenden Paranoia. „Ein... ein gewisser Mr. De Angelo ist am Telefon. Er... er hat gesagt, wann sie eintreffen würden und das er sie sprechen möchte.“ Wieder eine kritische Musterung. Dann trat ich einen Schritt zurück. „Ich kenne niemanden mit dem Namen. Sagen Sie ihm, ich bin für niemand Fremdes zu sprechen.“ erklärte ich fest und der Mann schluckte. Er sprach kurz in den Hörer und hörte zu, bevor er sich wieder uns zuwandte.

„Er sagt Sie kennen seinen Schwager und seine Schwester.“ erklärte er und ich runzelte die Stirn noch ein bisschen mehr. Dann aber war es, als hätte man eine Glühbirne in meinem Kopf angezündet. Ruckartig drehte ich mich zu Mick herum, der nickte. Ohne den Mann hinter dem Tresen anzusehen, streckte ich die Hand fordernd nach dem Telefon aus und erhielt es unverzüglich.
„Was soll das?“ zischte ich in den Hörer. Die Person am anderen Ende der Leitung lachte. „Ich hätte eigentlich gedacht, das du selbst darauf kommst, wer dich anruft, auch ohne den Hinweis mit Mick und Coraline.“ erklang Lance' Stimme. Ich schnaubte genervt. „Wie hätte ich denn bitte wissen sollen wer sich hinter dem Namen De Angelo verbirgt?“ fragte ich und fuhr mir mit der freien Hand durch die Haare. „Ganz einfach. Ich habe den Namen abgeleitet. Von einer Stadt. Ich dachte, dass du so viel Grips besitzt, das zu durchschauen, aber anscheinend habe ich mich getäuscht.“ ich knirschte wütend mit den Zähnen.

„Sehr toller Einfall. Wie ein Engel wirkst du auf mich aber nicht gerade.“ knurrte ich zurück. Wieder ein Lachen. Es schien, als sei Lance durch nichts aus der Ruhe zu bringen, aber ich hörte den gefährlichen Unterton in dem Lachen. „Hör zu, Vittore...“ Ich atmete zischend aus, was ihn zum Verstummen brachte. Mick und die anderen sahen sich ein paar Stücke an, die hier draußen in Kästen hinter Sicherheitsglas lagerten und der Kassierer starrte mich an, als wäre ich ein Attentäter höchster Güte.
„Woher weißt du...“ fing ich an, aber er ließ mich nicht ausreden. „Du bist nicht der Einzige, der Kontakte in Rom hat, mein Freund.“ erwiderte Lance liebenswürdig. Allein für seinen Ton wäre ich am liebsten durchs Telefon gekrochen um ihn mit dem Kabel zu erdrosseln.

Geistesabwesend rieb ich mir über die Stirn und zählte im Kopf langsam bis zwanzig. „Okay gut. Also weißt du davon. Was sollen wir jetzt hier?“ fragte ich dann und ging ebenfalls an den Glaskästen entlang. Beim Telefonieren konnte ich einfach nicht still stehen. Weit kam ich aber nicht, dann war die Telefonschnur zu Ende. Dass es schnurlose Telefone gab, war hier auch noch nicht vernommen worden, dachte ich verächtlich.
„Logan meinte, die Legion hat sich noch nicht aus Spanien weg bewegt, also...“ Diesmal war es an Lance, ungehalten zu seufzen. „Sei doch nicht dümmer als du bist, Vittore. Glaubst du, die Legion weiß nicht längst, dass ihr einen Posten zurück gelassen habt? Oder dass sie nur in Rom, Madrid oder LA auf euch lauern? Sie werden kommen, und wenn sie das tun, solltet ihr die Beine in die Hand nehmen. Derweil könntet ihr aber eure Suche etwas vorantreiben.“ Gelangweilt wickelte ich mir das Kabel um den Zeigefinger. „Und was wäre das, großer Meister?“ fragte ich nach.

Er zischte leise. „Such nach Informationen über die Gegenstände der Titanic, die heute einen besonderen Wert haben. Einrichtungsgegenstände, Geschirr, Schmuck. Besonders den Schmuck. Der lässt sich leichter fort schaffen als eine zwei Meter hohe Flügeltür eines Ballsaales.“ Ohne einen weiteren Gruß legte er auf und ich gab dem Mann wortlos das Telefon zurück.
Dann ging ich zu den Anderen. „Gehen wir uns umsehen.“
Sophia eilte neben mir an die Kasse. Ich hatte schon meine Brieftasche gezückt, aber der Mann winkte ab.
„Der Herr am Telefon meinte, es sei wichtig und dass Sie etwas für die Regierung untersuchen sollten. Sie müssen nichts bezahlen.“ sagte er und winkte uns durch. „Ach...“ Ich drehte mich herum, als etwas klimperte und fing ohne hin zu sehen den Schlüsselbund aus der Luft, den er uns zuwarf. „Danke.“
„Ach und...“
„Fassen Sie nichts an, ich weiß. Wir gehen nicht das erste Mal in ein Museum, wissen Sie?“ fragte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen und ließ den Schlüsselbund auf der Spitze meines Zeigefingers kreisen. Die Tür – eine Nachbildung der Tür zu besagtem Ballsaal – schwang hinter uns zu und wir waren allein in den großen Ausstellungshallen.

Was uns als erstes erwartete war ein Korridor, aufgebaut wie eine der engen Gänge auf dem Schiff. Kam nur mir das so vor oder schwankte der Boden unter unseren Füßen hin und her wie das Schiff? Nein, das musste ich mir einbilden. Gespenstisches Licht um uns herum. Aus Lautsprechern drangen Geräusche, der Seegang, Möwen, Leute riefen etwas. Ich musste um den Kloß in meinem Hals herum schlucken, als ein Bild in meinem Kopf aufblitzte und gleich wieder verschwand. Der Gang vor mir, und wie die Scheiben eingedrückt wurden und Tonnen von Wasser auf mich zu strömten, das so kalt war wie ein Eisschrank...
Ich schüttelte den Kopf. Sophia legte mir die Hand auf den Arm und sah mich fragend an. „Alles in Ordnung?“ fragte sie. „Du wirst doch nicht etwa klaustrophobisch?“ neckte sie und ich lachte. Du weißt ja gar nicht, wie es sich anfühlt, in einem kleinen Gang gefangen zu sein und das Wasser steigt und steigt... dachte ich, sagte aber nichts. Ich schüttelte den Kopf. „Ach was. Mich könntest du in einen Sarg sperren und den Deckel zunageln, das wäre mir egal. Wenn du es jede Nacht in einer Kühltruhe aushalten musst, gewöhnst du dich an so etwas recht schnell.“

Sie sah  verträumt wieder nach vorn, während wir liefen. „Ja, vielleicht kann ich das eine Tages ja auch...“ Ein Blick von mir ließ sie verstummen und sie sah schnell wieder nach vorn. „Hast du eigentlich den Film gesehen?“ fragte sie dann unvermittelt, dass ich Mühe hatte, zu erkennen, was sie meinte. Dann aber verstand ich. „Natürlich, wer hat das nicht? Nur ist er was das Liebespaar angeht nicht ganz wahr.“ rutschte es mir raus und ich biss mir auf die Lippe. Auch Beth und Mick starrten mich ebenso verblüfft an wie Sophia.
„Woher weißt du...“
„Das... hört man doch immer wieder. Lies nur mal die Berichte davon, dann wirst du das merken. Das war wahrlich keine Liebesromanze, sondern ein historisches Drama.“ erklärte ich schnell. Noch immer wich das Misstrauen nicht aus ihren Augen, und ich konnte verstehen, warum. Weil ich ihr nicht die Wahrheit sagte und sie das merkte.

Wir kamen in einen weiteren Raum, der recht unscheinbar wirkte.  Hier lagerten schon interessantere Ausstellungsstücke wie Teile der Schiffsschraube, Holzvertäfelungen, Gläser, Teller... es war kein Ende der Wunder abzusehen.
Sophia ging mit mir zusammen zu einer Vitrine herüber, in der Gläser standen, die aussahen, als wären sie fast neu. Nur ein bisschen Ablagerungen hatten sich angesetzt, aber ansonsten war das Glas unbeschädigt. „Erstaunlich, oder? Wie so etwas noch ganz sein kann, nachdem es so tief gefallen ist und so lange dort unten lag, bei dem Druck...“ es war mir gar nicht bewusst gewesen, dass auch Sophia mehr Ahnung von der Materie hatte, als man so merkte. Nur hatte sie es nicht hautnah miterlebt, worüber sie froh sein konnte...
Anders als sie aber sah ich die Stellen im Glas, wo es gekittet worden war. Es waren nur haarfeine Risse, mit menschlichem Auge nicht zu erkennen, aber mir sprangen sie entgegen, als wären es tiefe Rillen im Glas.

„Da kannst du mal sehen, wie robust Glas manchmal ist.“ sagte ich lächelnd und drückte sie kurz an mich. Sollte sie in dem Glauben bleiben, dass Glas unzerstörbar war, auf die eine oder andere Weise. Ich sah mich weiter um. In einer Ecke stand eine unscheinbare Vitrine, in der ich nur ein kleines Büchlein ausmachen konnte, dass mittig aufgeschlagen in seinem Glaskasten lag. Ich sah mich um und holte dann den Schlüssel hervor. Eine Weile verstrich, ehe ich den richtigen Schlüssel gefunden hatte, aber dann war der Schrank offen und ich nahm vorsichtig das Buch heraus. Das war....
„Und, hast du etwas interessantes gefunden?“ fragte Sophia und spähte an meiner Schulter vorbei auf das, was ich in der Hand hielt.
Hätte ich sie nicht kommen hören, ich hätte mich wahrscheinlich erschreckt und das gute Stück fallen lassen. Eigentlich hätte ich es nicht einmal anfassen dürfen, aber für Reue war es jetzt zu spät.

Was ich sah, war eine Liste aller Passagiere, die damals an Bord gegangen waren. Ich musste eine Weile suchen und mich erinnern, aber dann hatte ich den Namen gefunden, unter dem ich damals an Bord gegangen war. Mein Blick blieb daran hängen und Sophia folgte ihm mit den Augen. „Ist das jemand, den du kanntest?“ fragte sie und lächelte mitfühlend. Mick und Sophia kamen zu uns und schauten mir über die Schulter.
„Ja“, sagte ich leise und strich mit dem Zeigefinger den Namen nach. „Das da bin ich gewesen.“
 
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