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  Grüne Hölle
 
Kapitel 24 – Grüne Hölle

Es dauerte ein paar Tage, aber dann war alles für eine weitere Reise bereit. Nun, da wir den Raub der Teile der Titanic verhindert hatten, was auch immer die Legion damit wollte, galt es, andere Kunstschätze zu finden, die vielleicht von Wert sein konnten.
„Es gibt da eine Legende, die ich gern überprüfen würde.“ sagte Pat an dem Morgen, als wir in Manaus landeten. Es herrschte eine drückende, feuchte Hitze, die zwar nicht so schlimm war wie das Herunterknallen der Sonne anderswo auf der Welt, aber es machte nicht nur den drei Menschen unter uns zu schaffen.

„Und die wäre?“ fragte ich nach und trug meinen Koffer neben mir her zum Ausgang des Flughafens. Hier ganz in der Nähe gab es ein kleines Hotel, in das wir alle einchecken würden, und dann würde man weiter sehen. Bevor wir hier her gekommen waren, hatten wir alle gründlichst neue Kleidung eingekauft und trugen diese jetzt in den Koffern mit uns herum bis zum Hotel.
„Nun, es gibt da eine Legende, die vom sagenhaften Goldschatz der Inkas erzählt. Habt ihr schon einmal etwas vom El Dorado gehört?“ fragte sie und klang dabei ganz wie eine der Professorinnen auf der Universität.
„Gehört ja.“ meinte Mick nach kurzem Zögern. „Heißt es nicht, es gäbe dort eine Stadt ganz aus Gold?“ fragte er und Patricia lachte. „Nein, ganz aus Gold sicherlich nicht. Es gibt die Legende, dass jeder König des Volkes der Muisca bei Amtsantritt ein Opfer für den Sonnengott an einem Bergsee von Guatavita, das heute Bogotá heißt, abgeben musste. Der antretende König wurde mit einer Paste aus Goldstaub eingerieben und in den See geworfen, danach schüttete man Gegenstände aus Gold und Edelsteine hinterher, um so dem Sonnengott zu huldigen.“

Eine Weile gingen wir schweigend weiter, bis sich schließlich Guillermo zu Wort meldete.
„Aber wenn man ihn doch in den See geworfen hat, wie konnte er dann König werden?“ fragte er und wieder kam ein Lachen über die Lippen der Historikerin. „Er ist nicht darin ertrunken, wenn Sie das meinen. Nein, er durfte den Goldstaub später abwaschen. Und die Huldigung des Sonnengottes ermöglichte ihm eine Amtszeit voller Reichtum und Zufriedenheit. Das sagt zumindest die Legende.“

Im Hotel angekommen setzten wir uns alle in Micks Zimmer zusammen, um weiter zu zu hören, was es da noch so gab in dem Land, das wir alle nicht kannten.
„Also meinen Sie, wenn es diesen See wirklich gibt. Und wenn die Organisation davon weiß, werden sie versuchen an das Gold, das sicherlich dort immer noch ist, heran zu kommen?“ fragte ich stirnrunzelnd nach. Patricia nickte.
„Vorausgesetzt natürlich, das Gold gibt es oder hat es je gegeben. Es ist wie gesagt eine Legende.“
sagte sie und blickte stirnrunzelnd auf den Teppich vor sich.
„Aber man sagt, das auch Legenden manchmal einen wahren Kern haben, oder?“ fragte Mick schelmisch grinsend nach. Das galt es jetzt heraus zu finden.

*


Aber es sollte noch einmal eine Woche dauern, bis wir endlich aufbrechen konnten. Es musste viel organisiert und geplant werden. Schließlich konnte man nicht einfach so in den Dschungel aufbrechen, ohne sich vorher informiert zu haben, was man alles benötigen würde und was für Gefahren dort lauerten.
Patricia weihte uns nach und nach ein.
„Naja, da gibt es so nette Tiere wie Kaimane, Jaguare und Panther, Anakondas, Giftschlangen aller Art, giftige Spinnen...“ Ich spürte, wie Sophia neben mir erschauerte und bedachte sie mit einem schiefen Grinsen. Patricia hatte es gesehen. „Ich mag sie auch nicht besonders, aber dort im Dschungel gilt wie überall auch 'Tust du mir nichts, tu ich dir nichts'.“ sagte sie lächelnd. Sophia rutschte trotzdem ein Stück dichter an mich heran und ich legte ihr den Arm um die Mitte.
„Aber der Regenwald hat auch gutes. Da gibt es wunderschöne Vögel, ganz tropisch bunt. Und die Affen  sind auch friedlich, auch wenn es nur noch sehr wenige davon gibt.“ Sie lächelte und zog eine Fotomappe hervor, die vor ein paar Tagen aus Southhampton nachgekommen war.

„Ich hatte immer gedacht, Sie wären Historikerin. Stimmt das denn nicht?“ fragte Beth in bester Reportermanier, sodass Mick und ich nicht umhin kamen, uns ein Grinsen zuzuwerfen.
Beth hatte es gesehen. „Was denn?“ fragte sie und sofort sahen wir überdeutlich in zwei verschiedene Richtungen. „Nichts....“ kam es wie aus einem Mund und alle brachen wir in Gelächter aus.
„Nein, ich meinte die Frage ernst!“ rief Beth dazwischen, sobald wir uns ein bisschen beruhigt hatten.
„Bin ich auch.“ sagte Patricia lächelnd. „Ich habe mich wie gesagt auf die Titanic spezialisiert, aber ich war schon als Kind ein Tierfan. Da bleibt es nicht aus, dass man sich mit den Exoten ein bisschen beschäftigt und etwas über das Land weiß, aus dem sie kommen. Ich hatte sogar mal eine junge Python. Bis sie zu groß für das Terrarium wurde und meinen Hasen verfrüstückt hat...“ sie seufzte theatralisch.

„Na, vor den Schlangen müssen Sie ja keine Angst haben. Wir sind ja da.“ meinte Mick tröstend und Patricia sah ihn ernst an.
„Sagen Sie das nicht leichtfertig. Es sind schon eine Menge Menschen beim Versuch gestorben, eine Anakonda fangen zu wollen, weil die sich um einen wickelt und einem sämtliche Knochen bricht. Bei so etwas sollten Sie lieber eine Waffe dabei haben.“ Mick, Guillermo und ich grinsten uns nur an. „Das haben wir, glauben Sie mir.“ sagte er nur schlicht. Knochenbrüche, was war das schon. Solange die Schlange keine Kettensäge im Gepäck hatte, um uns damit zu enthaupten, konnte nichts passieren. Nur gut, dass Patricia das nicht zu genau wusste.

*


Drückende Hitze und überall war es grün. Es war, als wäre man auf einem fremden Planeten gelandet, auf dem fast alles grün war. Nur ab und zu gab es Farbtupfer durch bunte Vögel oder Insekten, die unseren Weg kreuzten oder die man im Geäst der Bäume ausmachen konnte. Wir liefen schon eine gute Stunde, Patricia ging voraus, mit einer Karte und einem Kompass, dahinter kamen Sophia, Beth, Guillermo, Mick und ich bildete den Schluss.
Die Luft war erfüllt von einer schier unendlichen Menge an verschiedensten Tönen, vom tiefen Brüllen der so passend heißenden Brüllaffen, bis hin zu Vogelgezwitscher und dem Summen der Insekten. Über uns raschelte es und reflexartig sahen wir hoch. In einem Baum, vielleicht drei oder vier Meter über uns, thronte ein Affe und warf mit Zweigen nach uns. Ab und an zog er die Oberlippe hoch und entblößte kräftige, leicht gelbliche Zähne.

„Das heißt dann wohl so viel wie 'raus aus meinem Wald', hm?“ fragte Mick grinsend. Er hörte zusammen mit Guillermo und mir schneller, was dann passierte. Auf einem Ast über dem Affen schlich sich eine große, gefleckte Katze an, augenscheinlich ein Jaguar.
Ich ging zu Sophia, die anderen rührten sich nicht von der Stelle. „Jetzt wirst du gleich Zeuge einer richtigen Jagd.“ flüsterte ich grinsend und sie schluckte.
Gespannt beobachteten wir, was sich weiterhin tat. Der große Kater saß jetzt genau über dem Affen,der ihn noch nicht bemerkt hatte, weil er immer noch damit beschäftigt war, Äste auf uns zu werfen. Ein Fehler. Der Jaguar bewegte sich lautlos und so geschmeidig, dass sogar ich Gänsehaut bekam. Das perfekte Raubtier. Eine Tötungsmaschine mit Zähnen wie Dolche. Sozusagen der Vampir im Jaguarpelz. Meine sonstige Jagdmethode unterschied sich nicht sonderlich von der der Katze. Anschleichen, warten, ob das Opfer etwas merkte oder nicht und dann...
Sprang der Jaguar von seinem Ast herunter auf den des Affen, der federnd nachgab aber nicht brach. Dazu war er zu stark. Erschrocken wandte der Affe den Kopf und kreischte auf. Jetzt sah ich zum ersten Mal, dass es auch die so genannten 'Waldmenschen' verstanden, Waffen zu gebrauchen. Der Affe brach einfach einen Ast ab und schlug damit nach der Katze. Und traf, genau auf die Nase. Fauchend und jaulend machte die Katze auf dem Ast einen Satz zurück, trat fehl und stürzte ab. Aber das erstaunliche an Katzen war, dass sie immer auf allen Vieren landeten. Ich sah, wie sich der Jaguar in der Luft drehte, wie sein Schwanz eine Kurve beschrieb und er mit allen vier Pfoten gleichzeitig auf dem blätterbestreuten Waldboden aufschlug, nur um gleich darauf am Baum empor zu springen und erneut zum Angriff über zu gehen. Raubtiere ließen sich im allgemeinen nur schwer davon überzeugen, dass eine Beute zu groß oder zu gefährlich für sie war, wusste ich aus Erfahrung.

Aber der Affe wusste, was kommen würde und schlug wieder nach der großen Katze. Die jedoch, nicht dumm, hatte gelernt. Sie wich dem Schlag aus, ohne dabei den Halt auf dem Ast zu verlieren und drückte mit der Pranke den Ast beiseite. Das Todesurteil für den Menschenaffen, wäre  da nicht plötzlich etwas in mir aufgeflammt. Ein Gefühl, dass ich nur zu gut von Sophia kannte. Ich wollte mit allen Mitteln verhindern, dass der Affe starb. Ohne darauf zu achten, ob ich mich vielleicht verriet, sprang ich am Stamm nach oben und landete eben so zielsicher wie der Jaguar auf dem Ast. Jetzt stand ich zwischen ihm und dem Affen, der schnell das Weite suchte, bevor der Jaguar ihm folgen konnte.

Ein dunkles Fauchen kam aus der Kehle der großen Katze. Immer noch gab sie nicht klein bei, auch wenn sie doch wissen musste, wie gefährlich der Mensch ihrer Art werden konnte. Immerhin waren bestimmte Tiere nicht einfach so vom Aussterben bedroht. Die fingerlangen Eckzähne beunruhigten mich gar nicht, die hatte ich auch. Und so fauchen wie der Bursche konnte ich schon länger. Auch fiel mir ein, das Katzen sehr gute Ohren hatten. Es sollte ausreichen, ihn in einer niedrigen Frequenz anzuknurren. Und es funktionierte. Sobald das tiefe, rollende Geräusch aus meiner Kehle entkam, dass die Menschen fünf Meter unter mir sicherlich nicht mehr hören konnten, duckte sich die große Katze unterwürfig zusammen. Ich sah vielleicht nicht aus wie einer seiner Spezies, aber ich sprach seine Sprache und das musste mehr sein, als das Tier verdauen konnte, weshalb er sich umdrehte, auf einen anderen Ast sprang und wenig später verschwand.

Wieder unten auf dem Boden schüttelten Guillermo und Mick nur grinsend die Köpfe. Patricia sah mich an, als hätte ich gerade einen besonders spannenden Zaubertrick vorgeführt. Was vielleicht auch stimmte.
„Wie haben Sie...“ fragte sie, brachte den Satz aber nicht zu Ende. „Naja... der Mensch ist immer noch das größte Raubtier der Erde, wenn man es einmal so betrachtet.“ sagte ich schlicht und ging ein bisschen schneller.
Mick lief neben mir. „Ich habe allen Ernstes gedacht du würdest ihn beißen oder ihm wenigstens das Genick brechen.“ sagte er so leise, dass nur ich ihn hören konnte. Ich grinste.
„Das hätte ich niemals getan. Immerhin stehen diese Tiere unter Naturschutz und sind vom Aussterben bedroht. Ich bin doch kein Unmensch. Die Natur soll man achten, oder etwa nicht?“

*


Patricia POV

Tagebucheintrag
Tag 1 unserer Reise. Die Männer benehmen sich eigenartig. Erst vor einiger Zeit haben wir alle beobachten können, wie einer von ihnen sich zwischen einen Jaguar und einen Affen  stellte, um den Menschenaffen vor dem sicheren Tod zu bewahren. Ich verstehe das nicht. Ein anderer würde der Natur ihren Lauf lassen. So ist nun einmal der Kreislauf des Lebens. Die Starken fressen die Schwachen, bis ein noch stärkerer kommt und den Starken frisst. Mr. Fortunato meinte, der Mensch als höchstes Tier in der Nahrungskette habe als einziger das Recht, sich einzumischen. Vielleicht war es für ihn eine gute Tat. Für mich ist es eine Einmischung in den Kreislauf aus Fressen und gefressen werden, aber dennoch bin ich ihm dankbar, dass er dazwischen gegangen ist, um so den Tod einer bedrohten Kreatur zu verhindern, auch wenn das vermutlich nur heißt, dass er an einem anderen Tag von einem anderen Tier gefressen wird. Aber etwas an diesen Männern ist merkwürdig. Sie scheinen so viel Erfahrung in vielen Dingen zu haben, dass es kaum möglich sein kann. Sie sehen alle nicht älter aus als Ende zwanzig. Aber sie scheinen nett zu ein, also will ich nichts weiter darüber sagen. Außer vielleicht, dass es scheint, als würde dort mehr sein, als sie mir sagen wollen. Aber ich werde das Geheimnis schon noch erfahren.

Patricia klappte das Tagebuch zu und legte noch einen Scheit Holz aufs Feuer, von dem augenblicklich helle Funken in den Nachthimmel stoben. Die drei Männer hielten sich abseits des Feuers, fast so, als könnte es ihnen körperlichen Schaden zufügen. Kalt schien ihnen nicht zu sein und sie tuschelten leise miteinander, obwohl Patricia auf die Entfernung nicht hören konnte, was sie sagten. Und eigentlich interessierte es sie nicht sonderlich, denn eigentlich war es privat. Sie kannte diese Männer ja kaum.

Und plötzlich sah sie etwas, dass ihr einen eiskalten Schauer den Rücken herunter jagte.
Einer der drei Männer griff hinter sich und zog ein junges und augenscheinlich totes Capybara, ein Wasserschwein aus dem Gebüsch. Hatte er es tot dort gefunden, oder hatte er es gerade selbst umgebracht? Aber anstatt es auf einen Stock zu spießen oder auszunehmen und in Stücke zu schneiden, um diese dann zu braten, blieb er dort sitzen, wo er war und drehte sich mit dem Rücken zu ihr, damit sie nicht sehen konnte, was genau er tat. Aber sie war sich sicher, dass er dem Tier gerade die Zähne in den Hals gegraben hatte wie eine Schlange, um...
Ruckartig wandte sie sich ab und bekreuzigte sich.
Das hast du nicht gesehen. Dachte sie immer wieder. Du hast nicht gesehen, wie der Mann dem Tier grade seine Zähne in den Hals gebohrt hat um es... was eigentlich?

Als sie noch einmal hin schaute, funkelten drei helle Augenpaare zu ihr herüber wie Katzenaugen, wenn man sie mit einer Taschenlampe an leuchtete. Dann wandten die drei ihr wieder die Rücken zu und die größeren der beiden – Mr. Fortunato und Mr. Rino – begannen auf den kleinen Mexikaner einzureden, aber wieder hörte sie die Worte nicht. Doch dem Anschein nach maßregelten sie ihn für sein Verhalten, was den Mann vollkommen kalt zu lassen schien.
Fröstelnd zog sie die Decke aus ihrem Rucksack und rollte sich darin ein.
Als sie schon schlief war ihr, als würden die drei Männer am Rand des kleinen Camps, dass sie errichtet hatten, Wache gehen. Als würden sie keinen Schlaf benötigen.

*


Am nächsten Morgen ging es weiter, trotz des kleinen Zwischenfalls mit Guillermo. Wir würden wirklich vorsichtiger sein müssen, aber das Tier hatte zu gut gerochen und wir hatten es uns geteilt, als Miss Robins nicht mehr hingesehen hatte. Wir alle hatten Durst gehabt, der uns gequält hatte. Vielleicht hatte sie uns dankbar sein sollen, denn ohne das Nagetier wäre wahrscheinlich einer von uns bei ihr hängen geblieben.
Wir schlugen uns schweigend durch das Grün zu beiden Seiten des schlecht erkennbaren Pfades. Teilweise war dem Grünzeug nur noch mit der Machete beizukommen, einem schweren und scharfen langen Messer, das Mick bei sich trug. Fast schon ein Schwert. Ich hielt nur an, als sich etwas hellgrünes in meinen Weg schlängelte. Wirklich schlängelte, denn nichts anderes war, es, was da von einem Baum baumelte. Eine giftgrüne Schlange, das Maul schon zum Zustoßen geöffnet.

„Warum sucht ihr Viecher euch immer mich aus?“ fragte ich lustlos, rupfte die Schlange von ihrem Ast und ohne, dass es jemand sah, machte ich einen Knoten in ihre Windungen, dass ihr das Rückgrat brach. Sie starb auf der Stelle und ich schleuderte sie von mir in das Gebüsch. Sollte ein anderes wildes Tier sie fressen, ich hatten nicht wirklich Interesse an etwas, das so wenig Blut enthielt und vermutlich noch schlecht schmeckte.

Noch eine ganze Weile später fiel mit etwas merkwürdiges auf. Es wurde still. Zu still für meinen Geschmack und anscheinend auch für den der anderen. Kein Affe brüllte mehr, kein Vogel zwitscherte, sogar die Frösche hatten das Quaken aufgegeben, ganz so, als würde ein Gewitter in der Luft liegen.
„Vielleicht regnet es ja bald.“ meinte Mick. „Man hört doch immer, dass es hier mehr regnet als das es trocken ist.“ Guillermo sah sich wachsam um. „Nein.“ murmelte er. „Selbst dazu ist es zu still.“ er atmete tief durch.
„Sie verfolgen uns.“ murmelte er. Mick und ich sahen uns eben so wachsam wie unauffällig um.
„Die Legion ist hier?“ flüsterte ich zurück. Wir kamen zu einer kleinen Lichtung und kauerten uns nieder. Jetzt sah ich, dass die Lichtung gar nicht so klein war, wie ich gedacht hatte.

Aber das trübe Licht machte es schwer, Entfernungen zu schätzen und so musste die Lichtung wohl die Größe eines Fußballfeldes haben. „Wo sind sie?“ flüsterte ich und Guillermo deutete unauffällig links und rechts von uns ins Gebüsch.
„Sie wissen, dass wir da durch müssen und warten, bis wir es wagen, um uns dann...“ abzuschießen, vollendete ich in Gedanken.
Aber nicht das alleinige Überqueren der Lichtung bereitete mir Sorgen, sondern das, was in den Büschen lauerte. Ich konnte sie riechen und ich hörte ihre Herzschläge, zählte die Sekunden. Wie oft hatte ich allen eingeschärft, sich ruhig zu verhalten? Nur dass ich die Männer der Legion in ihren tarnfarbenen Anzügen im dichten Grün des Dschungels nicht sehen konnte, machte mir zu schaffen. Wir alle wussten, dass sie in den Büschen lauerten, aber mehr auch nicht.
Mick hockte neben mir auf dem Boden und schielte zu mir herüber. Beth und Sophia kauerten etwas weiter weg in der Nähe zu Patricia und Guillermo. Alles war still. Nicht einmal tropische Vögel oder Insekten gaben einen laut von sich, wie der Panther, der seine Beute belauert, belauerte hier jeder jeden und wartete auf seine Gelegenheit.


Neben mir raschelte es, als Mick auf alle Viere hoch kam und sich langsam vorwärts schob. Alle Augen ruhten auf ihm und ich streckte die Hand aus, Zentimeter für Zentimeter, um ihn zurück zu halten.
„Was machst du denn?“ zischte ich kaum hörbar. Das Buschwerk rechts und links von uns zitterte. Sophia und Beth starrten uns mit schreckgeweiteten Augen an und schluckten gleichzeitig.
Mick hatte die Zähne zusammen gebissen und richtete sich noch ein Stück auf. Das ich ihn festhielt, kümmerte ihn nicht.
„Ein Ablenkungsmanöver.“ murmelte er. „Das brauchen wir jetzt.“ er saß in Hockstellung, wie kurz vor dem Start zu einem Sprint, sein Gewicht ruhte auf Fingerspitzen und den Ballen seiner Zehen. Und plötzlich wusste ich, was er vorhatte.
„Bist du wahnsinnig? Das ist das reinste Selbstmordkommando!“ zischte ich, doch da hatte er sich schon losgerissen. In meiner Hand blieb nur ein Stück grün-braunen Stoffes seiner Jacke zurück, dann verfolgte ich stumm, was vor sich ging. Er rannte über die Lichtung, nicht so schnell, wie er gekonnt hätte, hätte er gewollt. Er war wirklich Lebensmüde. Er opferte sich für uns, wurde mir klar, und als sich meine Lippen zu dem Schrei öffneten, den ich schon so lange zurück gehalten hatte, fingen die Gewehre an zu dröhnen....


Dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig und so schnell, dass ich im Nachhinein nicht mehr sagen kann, was schlimmer war, was schneller geschah oder warum. Ich wusste nur, dass Mick immer noch lief und sah die Kugeln in ihn einschlagen,als ich los sprintete, um ihn zu retten, aus der Gefahrenzone zu ziehen und notfalls mit meinem Körper gegen die Kugeln zu decken, auch wenn ich wusste, dass es einfach zu viele sein würden. Gleich einem wütenden Bienenschwarm schossen sie auf uns zu und obwohl ich mit aller Kraft rannte, sah ich alles noch gestochen scharf, so als würden die Kugeln im Flug verlangsamt, was gar nicht sein konnte.
Gleichzeitig sah ich einen weiteren Schatten an mir vorbei zischen, in dem Moment, in dem mich zwei der Projektile in die rechte Schulter trafen und mich aus meinem Schwung rissen. Wer hätte schneller laufen können als ich, dachte ich über das Dröhnen der Gewehre hinweg, die unaufhörlich feuerten, so als gäbe es kein Morgen mehr. Mick war ein paar Meter voraus auf dem Boden zusammen gesunken und ich roch das Blut, das aus den Wunden quoll, die sich viel zu langsam schlossen. Dann merkte ich, wie ich langsamer wurde und ein Schatten an mir vorbeihuschte.

Ich hatte erwartet, dass es Guillermo sein würde, aber ich hatte mich getäuscht. Es war nicht Guillermo. Es war....
Und dann folgte ich einem eigenen Antrieb, als würde mich jemand fernsteuern, bog ich nach links ab, sprang durch das Gebüsch und brach dem ersten Legionär, den ich in die Finger bekam, glattweg das Genick. Einem zweiten bohrte ich meine noch wachsenden Eckzähne in den Hals, mit so viel roher Gewalt, dass er fast augenblicklich starb.
Mick, dachte ich, würde allein klar kommen. Er war ein Vampir und konnte sich selbst helfen. Aber die Kugeln... da war der stechende Geruch des Silbers gewesen, der mich schier wahnsinnig machte, weil ich das Brennen spüren konnte, das von meinen eigenen Wunden ausging.
Plötzlich verstummten die Schreie. Ich drehte mich nicht nach ihnen um. Ich war wie im Rausch, ein Blutrausch, wie er sonst nur Haie oder Piranhas befällt. Nur mit Mühe konnte ich mich wieder beherrschen. Doch ich war immer noch auf Vampir eingestellt und als ich Patricia ansah, wich sie vor mir zurück, als sei ich ein Monster. Nun, in der einen oder anderen Auslegung war ich das sicherlich.

„Guillermo... könntest du mir mal die Kugeln...“ fing ich an, aber er hörte mich nicht. Oder er hörte mich doch und ignorierte es zu Gunsten einer Person, die dort am Boden lag.
„Kannst du dich noch zwei Sekunden gedulden? Hier wirst du eher gebraucht.“ sagte er und ich zwang meine plötzlich butterweichen Knie, mir zu gehorchen und die letzten Schritte zu ihm zu gehen. Der Anblick, der sich mir bot, hätte schlimmer nicht sein können. Aber da lag nicht Mick und blutete aus zahlreichen Schusswunden.
Dort lag jemand unendlich viel wertvolleres und hauchte sein Leben aus...
 
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