Meine Geschichten
  Anderes Ich
 
Am nächsten Tag wurde ich durch lautes Klopfen gegen meinen Kühltruhendeckel wach. Ich schob ihn auf und mir sah Mick erwartungsvoll entgegen. Die anderen waren schon aufgestanden, nur Sophia und Beth sah ich nirgends, die schliefen wohl noch oder waren nicht hier mit uns. Die Kälte verließ langsam meine steifen Glieder und als ich aus der Kühltruhe kletterte und mich anzog, merkte ich, wie ich beweglicher wurde. Ich klappte den Deckel der Truhe wieder herunter und ging schweigend mit den anderen zu Mario. In der Küche hörte ich seine Frau werkeln, augenscheinlich in den Vorbereitungen für ein üppiges Frühstück für sich, ihn und die drei Kinder. Dass wir so etwas nicht brauchten erklärte sich von selbst.

Im Wohnzimmer setzten wir alle uns auf die geräumige Couch und verzehrten unser Frühstück dort. Die drei Kinder waren zuerst scheu, aber dann neugierig und fragten uns aus. Manches verstand ich, in anderer Hinsicht musste Mario übersetzen. Irgendwann rief die Mutter nach den dreien und schickte sie in die Schule, denn es war noch früh. Langsam merkte ich, wie sich mein Schlafrhythmus änderte. Hatte ich früher den Tag verschlafen und die Nacht hindurch gefeiert, gearbeitet oder einfach nichts getan, musste ich mich jetzt den Menschen anpassen, was mir nicht wirklich gefiel.

Mario gesellte sich zu uns, einen Stapel in der Hand, der mit einem Gummiband umwickelt war, dass er jetzt abnahm. Unsere alten Ausweise würden wir hier lassen, bis wir zurück kamen oder sich eine Gelegenheit ergab, sie zurück zu bekommen, denn würde man uns mit unseren alten und den neuen Pässen erwischen, würde uns niemand mehr glauben, dass wir die waren, als die wir uns ausgaben, wenn dort Namen standen, die allen bekannt waren, allen voran aber der Legion.


Mario fächerte den Stapel auseinander und legte erst den echten, dann den gefälschten Pass als Muster nebeneinander auf den Tisch. Man sah keinen Unterschied, nur die Namen und Geburtsdaten waren anders. Wer nicht wusste, woran man einen gefälschten Ausweis erkannte, würde es nicht merken. Ich war stolz auf Mario und zückte innerlich schon die Brieftasche, wohl wissend, dass er jedes noch so kleine Honorar, dass ich ihm zahlen würde, rigoros zurückweise würde.
„So, meine Freunde.“ meinte er grinsend und gab uns die Ausweise aus wie Karten beim Poker.
„Da hätten wir als erstes mal dich, Charles Josef Konstantine“ ich knurrte unterdrückt, aber er fuhr grinsend fort, „Kostan. Du wirst in Zukunft als Vittore Fortunato durch die Gegend laufen.“ ich nahm den Ausweis, den er mir reichte und legte meinen echten widerstrebend zurück auf den Tisch. Hier wäre er wenigstens sicher, bis wir uns die echten Pässe wieder holen kommen würden.
Mario wandte sich als nächstes an Sophia, die neben mir saß.
„Sophia, du wirst von nun an als Giulia Fortunato Rom unsicher machen.“ meinte er zwinkerten und ich legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie an mich.

Sie sah leicht verlegen aus, nahm aber nach kurzem Zögern ihren neuen Ausweis und ließ den alten auf dem Tisch zurück.
Mario machte reihum weiter. Aus Mick wurde Aurelio Rino, Beth würde von nun an Isaia Saturnino heißen und aus Ryder und Guillermo wurden Ricardo Fabio und Nicostrato Rocco. Zufrieden steckten wir alle unsere Pässe weg und standen auf. Ich ging zu dem kleinen Italiener und umarmte ihn. Wie zufällig fand dabei meine Hand ihren Weg in seine Hosentasche und ließen dort einen Stapel Tausend-Dollar-Noten. So konnte ich sicher gehen, dass er sie mir nicht wieder in die Hand würde drücken können.
„Ich denke, wir machen uns dann mal lieber wieder auf den Weg.“ sagte ich lächelnd und ließ ihn wieder los.
„Danke für die Hilfe, Mario. Du hast etwas gut bei mir dafür.“ Und damit meinte ich nicht nur das Geld. Er verabschiedete sich von allen herzlich, aber als ich mich an der Tür noch einmal umdrehte, sah ich, wie er die Hand in die Hosentasche steckte und verwundet die Geldscheine hervorzog.
„Giuseppe, ich...“ hörte ich, dann blendete ich grinsend alles weitere aus und ging schneller, um zu verhindern, dass er mir nach kam. Er würde das Geld brauchen können und ich hatte davon genug, warum also nicht etwas abgeben?

Von Marios Haus aus nahm uns ein Freund mit bis vor die Tore Roms. Weiter würden wir nicht kommen.
„Es tut mir leid, Sir.“ wurden wir vor den Toren zu den Archiven empfangen.
„Die Bibliothek ist noch bis zum Jahr 2012 geschlossen.“ erklärte er sachlich und höflich. Beth wagte sich zaghaft einen Schritt vor.
„Och nun kommen Sie schon. Nur einen ganz kleinen Blick werden wir doch hineinwerfen dürfen? Ich interessiere mich unglaublich für Bücher und... dergleichen.“ dabei lächelte sie so, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn ihr statt der Worte flüssiger Honig über die Lippen gekommen wäre, was aber nicht geschah. Auch schien ihr Gehabe den Wachmann nicht sonderlich zu beeindrucken.
„Wie ich Ihnen schon sagte, Señora. Die Bibliothek ist geschlossen und wird es auch weiterhin bleiben.“ er war höflich geblieben, aber jetzt merkte man, dass er es ernst meinte und das Beth noch so viel schmeicheln konnte, sie würde nichts erreichen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Mick ihr einen Blick zuwarf, den ich von ihm gar nicht kannte. War das Eifersucht?

„Bitte! Wir wollen doch nur...“ fing Beth jetzt dringlicher an, aber der Wachmann hielt sie auf Abstand.
„Es tut mir aufrichtig leid um Ihren Wissensdurst, Señora, aber der wird hier nicht gestillt werden können. Versuchen Sie es wo anders, aber hier bekommen Sie nicht, was Sie wollen.“ Mick nahm Beth am Arm, eher der Mann sie anfassen oder sie etwas sagen konnte, und zog sie zurück.
„Komm, das hat doch keinen Sinn.“ murmelte er und widerstrebend folgte sie ihm. In einiger Entfernung ließen wir uns im Schatten eines Gebäudes nieder. Mick trug immer noch diesen merkwürdigen Blick im Gesicht und Beth sah ihn besorgt an.
„Mick?“ fragte sie, aber er beachtete sie gar nicht. Sein Blick haftete an Ryder.
„Du wirst jetzt die Gegend auskundschaften und sehen, ob hier Männer der Legion herum laufen.“ ordnete er an und drückte ihm das Walkie Talkie in die Hand, das Lance ihm gegeben hatte. Ich zog meines aus der Tasche und gab es Mick, damit er mit ihm in Verbindung bleiben konnte. Ryder nickt einmal.
„Wie du es wünschst.“ erklärte er und war gleich darauf verschwunden. Als nächstes sah Mick Guillermo an.
„Ich möchte, dass du dich hier in der Gegend ein bisschen um hörst. Du bist das Ohr dieser Gruppe, von jetzt an, verstanden?“ fragte er ernst und Guillermo nickte. „Was möchtest du wissen?“ fragte er. Ich setzte mich in einen schattigen Hauseingang, Sophia setzte sich zu mir und lehnte den Kopf an meine Schulter. Ich sah, wie Guillermo Mick verließ und Beth zurück zu dem Beamten ging.

„Und was machen wir jetzt, wenn wir dort nicht hinein kommen? Wir müssen hinein, das ist euch hoffentlich klar.“ meinte ich, gerade als Mick zu uns kam. Er hatte es gehört.
„Das müssen wir in der Tat, Josef.“ sagte er und setzte sich neben uns. „Und ich habe auch schon einen Plan.“ Beth kam zurück und setzte sich ebenso zu uns.
„Und der wäre?“ fragte ich argwöhnisch nach.
„Nun...“ fing er an und betrachtete seine Hände.
„Wir werden warten, bis Wachablösung ist, und dann... werdet ihr sehen. Übrigens“, er sah Beth schräg von der Seite an, „was sollte denn das Geflirte mit dem Wachmann?“ fragte er spitz und ich sah überrascht, dass sie rot wurde.
„Alte Angewohnheit aus Reportertagen... ich dachte, wenn ich ein bisschen flirte, lässt er uns vielleicht trotzdem rein.“ meinte sie geknickt und ließ den Kopf hängen.

Mick sah noch einen Moment so aus, als würde ihm das furchtbar viel ausmachen, dann lachte er.
„Wieso habe ich auch nichts anderes von dir erwartet?“ fragte er leise. Ich sah, wie sich Verblüffung auf ihren Zügen abzeichnete. „Dann bist du nicht sauer oder so?“ fragte sie nach. Er schüttelte den Kopf und strich sich eine schwarze Strähne aus der Stirn. „Nein. Ich wusste ja, das du das nicht getan hättest, wenn es nicht nötig gewesen wäre. Immerhin weißt du ja – du gehörst nur mir. Und jeder soll das wissen.“ murmelte er, bevor er spielerisch an ihrem Ohrläppchen knabberte.
Ich wandte den Kopf ab, bevor Sophia gleiches von mir verlangen konnte. Andererseits wäre das vielleicht eine gute Tarnung gewesen.
So aber blieb uns nichts anderes übrig, als im Schatten des Gebäudes die Bibliothek zu beobachten und zu warten, bis abends die Wachschicht gewechselt wurde.

Der Abend kam viel zu langsam für meinen Geschmack. Im Westen ging die Sonne als rot glühender Ball unter und schickte ihre letzten Strahlen über die Gebäude der Stadt, bevor es merklich dunkler und vor allem kühler wurde. Sophia rutschte dicht zu mir herüber und ich sah, wie Mick auf die Uhr an seinem Handgelenk spähte.
„Wo bleiben die denn so lange...“ murmelte er und wirklich waren Ryder und Guillermo schon lange weg. Hatten sie sich verlaufen? Das glaubte ich kaum, denn Vampire sollten eigentlich über einen guten Orientierungssinn verfügen. Auch hatten die beiden nicht den Eindruck des Gegenteils vermittelt.
Mick stand auf und lief an der Mauer auf und ab, geschmeidig und leise, wie ein Tiger in seinem Käfig. Nur dass Mick keine Gitterstäbe hinderten, hinzugehen, wo er wollte.

Nach einer Weile piepte das Walkie-Talkie in Micks Gürtel und er blieb ruckartig stehen und zog es hervor. Ich lauschte. Außer Rauschen und Knacken verstand ich eine Weile lang nichts.
„Ryder? Hallo?“ rief Mick in den kleinen Kasten, der mehr Ähnlichkeit mit den ersten Handys hatte als mit einem Funkgerät.
„Ryder hörst du mich? Wo bist du? Hallo?“ wieder nur Rauschen und Knacken. Zumindest konnte ich keine Antwort ausmachen. Mick schüttelte das Gerät, als mache das irgend etwas besser. Was es natürlich nicht tat. Frustriert starrte er das Ding an.
„Ryder, wo zur Hölle...“ Jetzt rauschte und knackte das Gerät nicht mehr. Ein kurzes Lachen drang durch es, aber das war nicht Ryder. Sicher nicht.
„Ryder. Wusste ich doch, dass du das bist.“ knurrte eine tiefe Männerstimme. Es gab einen dumpfen Schlag und ein Stöhnen. Sofort waren wir alle bei Mick, um besser hören zu können, was geschah.
„Wer sind Sie und was wollen Sie?“ fragte Mick barsch. Man sah ihm an, wie angespannt er war. Ein falsches Wort, und das Wunder der Technik in seiner Hand würde gegen die Wand fliegen.

„Ich habe hier wohl einen Freund von Ihnen gefangen.“ kam es höhnisch vom anderen Ende der Leitung. Im Hintergrund hörte ich Ryder fauchen. Ein klatschender Schlag, ein Wimmern, Stille. Mick schluckte.
„Sehr unvorsichtig... wirklich sehr unvorsichtig.“ meinte die Stimme kalt. Ich biss wütend die Zähne zusammen. Wo war Guillermo? Hatte der Kerl ihn auch...? Dann fiel mir das viel, viel schrecklichere ein: Ryder hatte dem Mann mit seinem Fauchen und vermutlich gebleckten Eckzähnen genau gezeigt, was er war. Erschrocken klappte mir der Mund auf.
„Was wollen Sie?“ fragte Mick drohend. Das Lachen aus dem Mund am anderen Ende der Verbindung klang belustigt und gelangweilt, so, als öde seinen Sprecher der Verlauf der Unterhaltung ziemlich an.
„Ich denke Sie werden verstehen, wenn ich Ihnen das nicht genau sagen kann. Der Kleine hier lief mir praktisch in die Arme, einen genauen Plan muss ich noch ausarbeiten. Auf Wiederhören!“ Knack, die Leitung war tot.
Frustriert hob Mick den Arm, um das Gerät meiner Vermutung nach gegen die Wand zu donnern, ließ es aber im letzten Moment sein.

„Und was... machen wir jetzt?“ fragte Beth schreckensbleich nach. Mick biss nur die Zähne aufeinander und rang sichtlich um Beherrschung, um sein wahres Ich nicht zu zeigen. Niemand wollte ernsthaft einen vampiristischen Ausbruch erleben, wenn Mick wütend war. Da er keine Anstalten machte, die Frage zu beantworten, übernahm ich diese Aufgabe.
„Der Mann, mit dem wir gesprochen haben, kann nicht sehr weit weg sein. Diese Walkie Talkies haben nur eine Reichweite von vielleicht fünfhundert Metern. Unter Umständen auch weniger. Aber darum können wir uns jetzt nicht kümmern.“ Ich deutete voraus. „Da kommt die Wachablösung, also lassen wir uns besser schnell etwas einfallen. Wir werden verdächtig, wenn wir noch länger hier sitzen bleiben.“ sagte ich und ging ein Stück weg, aber da packte mich jemand stahlhart am Arm und zwang mich zu sich herum.

Mick stand hinter mir, seine Augen leuchtete eisblau und seine Eckzähne wurden sichtbar, während er sprach.
„Du willst ihn allein lassen hier irgendwo? Wenn vielleicht die Legion ihn hat oder irgendwelche scheiß Idioten, die sich einen Spaß erlauben? Sie wissen, was er ist!“ zischte er dunkel und ich riss mich los.
„Das weiß ich selbst! Aber wir haben dringenderes zu erledigen und wir sind zu wenige, um nach ihm zu suchen und gleichzeitig darauf zu achten, dass uns die Wachleute nicht durch die Lappen gehen! Ich will ihm doch auch helfen, aber er schafft das schon!“ meinte ich eindringlich und richtete meine Kleidung wieder, wo er mich gepackt hatte. „Und du gibst besser auch nicht preis, wer oder was du bist, Aurelio. Saudämlich, ihn mit seinem richtigen Namen anzusprechen! Wenn das ein Typ von der Legion war, wissen die doch, das wir hier sind!“

Mick funkelte mich erst wütend an, senkte aber dann den Blick.
„Das tut mir Leid, ich hatte nicht...“
„... nachgedacht, ich weiß. Also, was tun wir?“ fragte ich resignierend. Wieso wusste er nur zu gut, diesen Dackelblick einzusetzen und damit bei mir auch noch durch zu kommen?
Mick überlegte eine Weile.
„Wir können ihm wirklich nicht helfen. Das stimmt. Du hast recht, Jo... Vittore.“ Er ging ein Stück weg, aber Sophia hielt ihn auf.
„Vielleicht können wir doch etwas tun.“ sagte sie und hielt ihn fest. Wir anderen kamen ihr nach.
„Und was?“ fragte er plötzlich mutlos. Sie aber schien gerade zu zu sprühen vor Ideen und Tatendrang.
„Naja... ihr habt doch gehört, dass die Bibliothek bis 2012 wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen bleiben soll. Beth und ich geben und einfach als Restaurateure aus und ihr beiden sucht Ryder.“ meinte sie triumphierend und erntete von allen Seiten skeptische Blicke.
„Und du meinst allen Ernstes, das funktioniert?“ fragte ich stirnrunzelnd nach. Ich sah nämlich sofort den riesigen Fehler in dem Plan der beiden Damen.
„Habt ihr überhaupt Ahnung von Gebäuderestauration?“ fragte jetzt Mick, dem das selbe durch den Kopf zu gehen schien wie mir.
Bevor ich die Bestätigung hatte, wusste ich schon, was passieren würde. Die beiden Frauen schüttelten die Köpfe.

„Wir können es trotzdem schaffen, Mick!“ meinte Beth stur. „Wir... wir improvisieren einfach.“ meinte sie unsicher und sah Sophia an, die nickte. Ich seufzte leise.
„Lass die beiden es versuchen, Mick. Was kann schlimmeres passieren als dass die beiden raus geworfen werden?“ fragte ich. Er sah immer noch nicht überzeugt aus.,
„Sie kennt die Legion nicht, weil sie nicht steckbrieflich gesucht werden, immerhin sind die beiden keine Vampire. Lass die beiden es versuchen!“ machte ich weiter. Ich sah, wie seine Überlegung, die beiden nicht gehen zu lassen, bröckelte. Immerhin hatte ich Argumente vorgebracht, gegen die er so schnell nicht ankam.
„Also schön.“ er ging zu den beiden zurück. „Ihr tut, was ihr könnt, aber versucht so diskret wie möglich zu arbeiten. Wenn Guillermo wieder kommt, nehmt ihr ihn mit.“ gerade kam besagter um die Ecke und schnell hatte er den Plan verstanden und akzeptiert.
„Gut, dann kann es ja los gehen.“ meinte Mick und warf mir einen Blick zu, bevor er den dreien nach sah, die im Gebäude verschwanden.
„Schauen wir, wo Ryder steckt.“ meinte er und lief los. Auch ich sah noch einmal zu dem Gebäude, dann lief ich ihm nach.
 
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