Meine Geschichten
  Auge um Auge, Zahn um Zahn
 

Es hatte zu regnen begonnen, als ich den Weg wieder zurück lief, den ich gekommen war. Vielleicht würde das Wasser, das vom Himmel fiel, das Feuer im Müllcontainer löschen, aber ich glaubte nicht daran. Leere Verpackungen und Plastik brannten einfach zu gut. Dessen Geruch wehte hinter mir her, als ich zurück zum Kampfplatz schlenderte. Eilig hatte ich es nicht. Ich glaubte daran, das meine Freunde ohne mich zurecht kommen würden. Aber ich war von einer inneren Unruhe ergriffen, die es mir unmöglich machte, nicht hinzugehen und tatenlos am Spielfeldrand herum zu stehen wie ein Reservespieler, der eingesetzt wurde, wenn Personen unserer Mannschaft zu Schaden kamen und Ersatz nötig wurde.

 

Plötzlich donnerte es. Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Es lag eine elektrisierenden Spannung in der Luft, typisch für ein Gewitter, aber es war noch etwas anderes. Vielleicht auch nur die Unruhe und die Erregung der Schlacht, die sich vor meinen Augen abspielte. Der Regen fiel jetzt wie eine Wand aus dünnen Perlenschnüren, aber ich sah deutlich die Kämpfe, die sich vor meinen Augen zutrugen. Sophia rang mit einem Mann, der sich das Gewehr partout nicht entreißen lassen wollte. Blitzschnell sprang ich hinzu, versetzte dem Mann einen Kinnhaken und riss ihm das Gewehr aus der Hand, um es hinter mich in den Dreck zu schleudern. Einen aufmunternden Schulterdruck hatte ich für Sophia übrig, dann musste sie allein da durch. Waffenlos war der Mann kein großes Hindernis für sie.

 

Ein Stück weiter schlitterten Mikhael und Devon Danes durch den Schlamm, doch die stellte es geschickter an als ihr Vorgänger, der mir in die Hände gefallen war. Immer wieder entkam sie dem Anführer der Pentagonier, der schon schier wahnsinnig war, weil er sie nicht zu fassen bekam. Ich konnte nur eingreifen, wo ich gebraucht wurde. Sicherlich würde ich Mikhael nicht die Chance nehmen, sich selbst mit dem Oberhaupt der Vereinigung zu messen, die er so hasste.

Auge um Auge, Zahn um Zahn hieß es jetzt. Das schien Devon Danes genau zu wissen und zu behagen schien es ihr nicht. Als ein Blitz vom Himmel herunter zuckte und genau in eine schlammige Pfütze zwischen den beiden einschlug, sah ich die nackte Angst in ihren blauen Augen aufblitzen. Scheinbar fügte der Stromschlag ihr keine Verletzungen zu. Sie sprang mit einer Behändigkeit nach oben, die ich einem Menschen niemals zugetraut hätte.

 

Einen Salto schlagend, landete sie hinter Mikhael. Ich hätte gern noch weiter zu gesehen, wurde aber dann von einem sehr todesmutigen Legionär angesprungen und zu Boden geworfen. Anders als dieser wusste ich mich aber ausgezeichnet zu wehren. Ich drehte ihm einfach den Hals herum und stand auf. Sakko, Hemd und Hose klebten mir an der Rückseite durch den Schlamm und das Wasser, aber das kümmerte mich nicht. Ich hatte schon schlimmeres erlebt.

 

Doch kaum stand ich schon wieder auf den Beinen, versuchte anscheinend ein weiteres äußerst dummes Exemplar dieser Rasse die Ehre der ganzen Kompanie zu verteidigen. Ein bisschen waren sie wie Ameisen. Trat man ein paar von ihnen tot, stürzten sich augenblicklich die anderen auf einen und versuchten ihrem Opfer mit den Beißzangen und der Säure größtmögliche Schmerzen zu bereiten.

Vielleicht versuchte er aber einfach nur, seinen gerade von mir getöteten Freund zu rächen. Dann konnte ihm jetzt ein Wiedersehen mit diesem Mann garantiert werden. Im Jenseits.

Rücksichtslos trat ich nach hinten aus wie ein Pferd und hörte an dem Stöhnen und dumpfen Aufprall hinter mir, dass ich getroffen hatten.

Pfeilschnell wirbelte ich herum und hob den Fuß. Die Kehle des Mannes lag ungeschützt bloß, sein Helm lag ein paar Meter von ihm entfernt. Genüsslich und mit Nachdruck senkte ich meinen Absatz mit aller Kraft, die ich hatte, auf seinen Kehlkopf. Röchelnd bog er sich mir entgegen und gab Ruhe, als ich in sein schlammstarrendes kurzes braunes Haar fasste und ihm den Kopf verdrehte. Im wörtlichen Sinn.

 

Ich sah erst auf, als mich ein Geräusch erreichte, dass meine Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Ein weiterer Blitz zerteilte den Himmel und ich sah, wie Mikhael den Kopf in den Nacken warf und brüllte wie ein verwundetes Tier, ein Geräusch, dass ich aus eigener Erfahrung kannte. Ein ähnliches Geräusch war mir über die Lippen gekommen, als Sarah gestorben war. Es war ein Laut reinster Agonie, und gleich darauf sah ich den Grund für Mikhaels Ausbruch. Panos und Cyriakos lagen bäuchlings im Schlamm. Dass ihnen beiden die Köpfe fehlten, sah ich sogleich. Zwei Legionäre traten grinsend und mit noch gezückten silbernen Klingen von den Körpern weg, die sich unter dem Regen und Schlamm in nasse, brodelnde Asche verwandelten und sich mit dem Untergrund vermischten. Ein Blick – und die übrigen drei Pentagonier kauerten sich kampfbereit nieder. In all den Jahren, die ich sie nun kannte, hatte ich nie einen solchen Ausbruch erlebt. Es war, als würde man einen Vulkan jahrelang studieren, den man für erloschen hielt, und plötzlich brach er aus, so verheerend, das alles, was in seinem Weg stand, vernichtet wurde. So schien es auch hier zu sein.

 

Ein langer Blick galt Mikhael, der da steht wie gelähmt, die Augen durchdringend eisblau und aus seinem Mund mit den spitzen Eckzähnen kam ein tiefes, kehliges Fauchen, das nicht abreißen wollte. Vor Zorn zitterte er am ganzen Körper, jede Sehne und jeder Muskel waren gespannt, bereit, vor zu schießen und den Legionären ein für alle Mal den Garaus zu machen. Jetzt, wusste ich, war es besser, man käme ihnen nicht zu nahe. Weder den Legionären, noch meinen Freunden.

Wie auf ein geheimes Zeichen hin traten Dionysos und Leonidas ein Stück zurück. Wenn Mikhael wollte, sollte er als erster das Recht haben, seine Brüder zu rächen. Der aber tat gar nichts. Er stand einfach nur da, zitternd vor Zorn am ganzen Leib und das Fauchen aus seiner Kehle riss nicht ab.

Devon Danes sah aus, als wären Weihnachten und ihr Geburtstag zusammen gefallen.

 

Sie lachte leise und so glockenhell, dass sich mir die feinen Härchen an dem Unterarmen sträubten.

Ja, das ist bedauerlich, nicht wahr? Aber sicherlich hast du längst erkannt, dass eure Zeit vorbei ist. Du musst es wissen! Vor dreitausend Jahren mögt ihr Macht besessen haben, oder im Mittelalter, aber dann... wurdet ihr zu Märchengestalten. Niemand glaubte mehr an euch und das kam euch scheinbar sehr gelegen, nicht wahr? Denn an was man nicht glaubt, kann auch nicht das gewesen sein, das man gesehen hat? So etwas kann es doch nicht geben, nicht wahr? Ihr wurdet zu Sagengestalten! Und jetzt werden wir euch ein für alle Mal vernichten!“ schrie sie schrill. Irgendwie hatte ich geahnt, dass Devon eine besondere Beziehung zu Vampiren haben musste, aber mir war bis da nicht klar, was genau es war.

 

Was haben wir dir getan?!“ spie Mikhael ihr immer noch bebend vor Zorn vor die Füße. Diesen Satz hatte ich gerade gedacht und er musste es vernommen haben.

Sie lachte so schrill, dass ich mir am liebsten die Ohren zu gehalten hätte, aber ich ließ es sein. Sophia kam zu mir herüber, nun, da die Kampfhandlungen fürs erste zum Erliegen gekommen waren und drückte sich gegen mich. Ich nahm sie gar nicht wahr.

Wieso hasst du mich und meine Spezies so, dass du uns am liebsten alle tot sehen möchtest?“ fragte Mikhael nun mit ehrlichem Bedauern in der Stimme.

Devon lachte zittrig.

 

Ihr habt mir... alles genommen... was einen Sinn hatte in meinem Leben!“ presste sie zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich dachte doch, dass sie weinte. Ich hörte es an ihrer Stimme und sah, wie ihre Schultern zuckten. Plötzlich wirkte sie nicht mehr so kühl und berechnend. Sie war nur noch eine verzweifelte, von Hass zerfressene Frau.

Mikhael sagte lange Zeit gar nichts.

Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ gab er dann ehrlich zu. Sophias Hand fand meine und ich drückte sie beruhigend. Ich hatte so etwas geahnt. Niemand, der noch ganz bei Trost war, würde Vampire scharenweise jagen, foltern und wieder zu Menschen machen. Unsere beiden Spezies konnten nebeneinander existieren, man musste nur wissen wie.

 

Ein Ruck ging durch Devons ganze Gestalt. Sie straffte die Schultern und blickte Mikhael mit funkensprühenden blauen Augen an.

Ihr seid widerlicher Abschaum! Ihr habt kein Recht, willkürlich Menschen zu ermorden!“ schrie sie ihn an. Er zuckte bei jedem Wort wie unter Peitschenschlägen zusammen.

Und wer gibt euch das Recht, willkürlich Vampire zu ermorden?“ fragte er kalt zurück, nachdem er sich wieder gesammelt hatte. Ich sah ein, dass er Recht hatte. Die meisten von uns brachten schließlich für ihren täglichen Hunger keine Menschen um. Wir lebten von Blutkonserven oder frischem Spenderblut. Das dabei eine Person zu Tode kam konnte zwar vorkommen, war aber extrem selten, wenn der Vampir seinen Durst zügeln konnte.

Andererseits gab es immer wieder Individuen, die aus der Reihe tanzten, egal welchen Alters – ob biologisch oder vampirisch – sie waren oder wo sie lebten.

 

Jagd ihr nicht auch Wild für euer Mittagessen? Haltet ihr euch nicht auch Schweine, Schafe, Rinder und Hühner für Milch, Fleisch und Eier? Erlegt ihr nicht auch wertvolle Tiere für Pelze? Sperrt ihr nicht auch Tiere in kleine Käfige, damit sie von anderen angestarrt werden können? Und ihr wollt besser sein als wir? Was tun wir denn anderes? Wir nehmen euer Blut, in Maßen, um davon zu leben! Wenn du eine Kuh melkst, wird sie davon sicher nicht sterben, nicht wahr? Stirbt ein Mensch, wenn ich einen halben Liter seines Blutes nehme, eine Menge, die er bei jeder Blutspende auch abgeben würde? Wir zwingen euch Menschen nicht, uns euer Blut zu geben! Entweder, ihr seid tot, dann ist es euch egal, oder ihr sagt nein, und dieses Nein wird akzeptiert!“ rief er ihr entgegen. Mit einem Mal sah er kraftlos aus, gezeichnet von der Last seiner Jahre, obwohl er bei seiner Verwandlung kaum die dreißig überschritten haben mochte.

 

Insgeheim stimmte ich ihm zu, aber mich interessierte viel brennender der Grund für den Hass Devon Danes' auf uns Vampire.

Das kann man nicht miteinander vergleichen!“ schnappte sie zitternd zurück. „Ihr habt...“ Diesmal hörte ich sie schluchzen.

Mikhael wartete einfach ab, was sie sagen würde. Vielleicht legte er sich insgeheim schon eine Methode zurecht, wie er sie sterben lassen könnte. Am Leben bleiben durfte sie auf gar keinen Fall.

Es ist etwas mehr als ein Jahr her...“ sprach sie dann stockend weiter. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte ich Sophia kennen gelernt, fiel mir dabei ein. War das wirklich erst so kurz her? Und wie viel wir in dieser Zeit erlebt hatten... aber ich beschloss, den Strom der Erinnerungen aufzuhalten und erst dann frei zu lassen, wenn wir allein waren. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.

Mein Verlobter sollte eine Geschäftsreise unternehmen... und als er eine Woche nach seinem vorausgesagten Termin immer noch nicht wieder da war, begann ich mir ernsthafte Sorgen zu machen.“

 

Wow, dachte ich verblüfft, sie hatte allen Ernstes eine ganze Woche gewartet, bevor sie etwas unternommen hatte?

Niemand konnte mir etwas sagen...“ sprach sie dann stockend weiter. Es regnete nicht mehr so schlimm und der Blutgeruch in der Luft wurde weniger, verursacht durch die toten Legionäre um uns herum, deren Blut mit dem Regen fort gewaschen wurde.

Es hieß, er sei für einen nächtlichen Spaziergang in den Wald gegangen und nicht mehr wieder gekommen...“ hier musste sie sich erneut wegen heftigen Schluchzens unterbrechen, bevor sie weiter sprechen konnte.

Die Polizei hat alles abgesucht und schließlich... hat man seine Leiche gefunden.“ stellte sie fest. Verblüfftes Schweigen. Langsam bekam das ungelöste Puzzle weitere, erschreckende Bausteine.

 

Aber was“, meldete sich überraschend Sophia zu Wort, „haben die Vampire...“ sie verstummte erschrocken, als der Blick aus zwei gletscherblauen Augen sie mit solcher Intensität traf, als wären es Schneidbrenner und Sophia müsste auf der Stelle wunderlicherweise Feuer fangen.

Er hatte zwei Bisswunden am Hals!“ schleuderte Devon ihr schrill entgegen. Das Wort rauschte wie ein Pistolenschuss zwischen den Häuserfluchten hindurch und verhallte langsam im Regen.

Da wusste ich, dass diese widerlichen Kreaturen es nicht wert sind, weiter auf diesem Planeten zu existieren!“ keiner von uns verzog eine Miene, auch wenn ich spüren konnte, dass Mikhael unter Strom stand. Es fehlte nicht mehr viel und er würde sich auf sie stürzen.

 

Und warum suchen Sie nicht den Schuldigen und töten den? Warum mussten so viele Vampire sterben?!“ rief er dunkel. Ich spürte, dass unter seiner Oberfläche der Zorn brodelte. Nichts würde ihn davon abhalten, Rechenschaft an dieser Frau zu üben.

Es sollte niemand ein ähnliches Schicksal erleiden wie ich. Vampire sind seelenlose Bestien, denen keine Gnade zu Teil werden darf.“ sagte sie im Brustton der Überzeugung. Dann flackerte ihr Blick. Plötzlich sah sie alt und müde aus, als hätte sie alles gesagt, was wichtig war, und harre nun dem Kommenden.

Mikhael ging langsam auf sie zu und sie wich nicht zurück..

Ich denke Sie wissen, dass Sie sich irren. Das alles hätte nicht sein müssen.“ sagte er ruhig, fast verstehend. Er hatte sich vollkommen unter Kontrolle angesichts der Befriedigung, die er erleben würde, wenn diese verhasste Frau erst einmal tot vor ihm lag.

 

Und ich denke auch, dass Sie wissen, was die Strafe für ein solches Verbrechen ist.“ stellte er klar. Langsam wandte ich mich um und zog Sophia mit mir.

Komm, wir müssen uns das nicht länger ansehen.“ sagte ich leise und ging zu einem der Wagen, die hier standen. Wunderlicherweise steckte der Zündschlüssel noch und als ich ihn herumdrehte und der Motor ruckelnd ansprang, hörte ich hinter mir einen Schrei und ein Knacken. Devon Danes hatte wirklich ihre gerechte Strafe bekommen.

Als wir im Auto saßen, sah Sophia mich merkwürdig an.

Warum bist du gegangen? Sie hat dich und Mick gefoltert, Josef!“ Ich zuckt zusammen und wechselte die Spur. Als ob ich das vergessen könnte!

Das ist noch lange kein Grund, sich an ihrem Anblick im Augenblick des Todes zu weiden.“ erklärte ich knapp und beschleunigte den kleinen Wagen, während wir auf der ausgeschilderten Straße Richtung Krankenhaus fuhren. Der Regen hörte langsam wieder auf, aber die Scheibenwischer hatten doch noch zu arbeiten.

 

Ich sah es gar nicht. Viel mehr hing ich meinen Gedanken nach. Was Sophia kaum wissen konnte war, dass auch ich schon einmal Erfahrung mit jemandem gemacht hatte, der glaubte, einen wichtigen Menschen durch einen Vampir verloren zu haben. Durch mich.

Stockend erzählte ich ihr, wie Sarah mich ihrem Vater vorgestellt hatte. Der damals Mitte vierzigjährige hatte mich vom ersten Anblick nicht gemocht und alles dafür getan, Sarah zu einer Trennung zu bewegen. Und als die Verwandlung dann fehl geschlagen war und ich hatte fliehen müssen, hatte er mir einen Killer nach dem anderen auf den Hals gehetzt. Glücklicherweise hatte John Whitley nicht mehr miterlebt, wie seine Tochter wieder aufgewacht und scheinbar erneut gestorben war, denn das hätte den Industriemagnaten sicherlich ins Grab gebracht.

 

Ich kann ihren Hass ein Stück weit verstehen.“ erklärte ich, während ich den Scheibenwischern mit den Augen folgte. Links – rechts – links. Sophia sah mich mit großen Augen an.

Du kannst es verstehen?“ fragte sie ungläubig und ich nickte. Mehr sagte ich nicht und Schweigen breitete sich zwischen uns aus, während wir durch die Innenstadt in Richtung Krankenhaus fuhren. Um die Zeit standen dort kaum Wagen herum und so sah ich den kleinen Lieferwagen, in dem Guillermo, Beth und Mick hergekommen waren sofort. Ich stieg aus und hielt Sophia die Tür auf, bevor wir zum Empfang gingen.

Guten Tag“, grüßte ich die Empfangsdame freundlich. „Können Sie uns vielleicht freundlicherweise Auskunft über die Zimmernummer eines gewissen Michael St. John geben?“ Ich setzte mein schönstes Lächeln auf und hörte ein Knurren von Sophia, dass der Dame sicherlich entgangen war, denn die suchte in ihrem Computer nach der geforderten Information.

 

Michael... St. John...“ murmelte sie. Ich nickte immer noch lächelnd. „Tut mir Leid, eine Person mit diesem Namen haben wir nicht in unserer Kartei. Wann wurde er denn eingeliefert?“ fragte sie. Ich sah auf die Rolex an meinem Handgelenk. Es war kurz nach zwei Uhr Nachts. Mit dem Wagen hatten wir vielleicht zehn Minuten gebraucht, aber wie lang hatte der Kampf gedauert? Es war mir wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen, aber so lang konnte es nicht gedauert haben.

Heute Nacht, so zwischen ein und zwei Uhr.“ Sie studierte noch einmal den Ausdruck. Dann schüttelte sie den Kopf.

Und einen Aurelio Rino, haben Sie den in Ihrer Kartei?“ fragte ich nach. Was hatte Guillermo nur mit ihm gemacht? Einen anderen Namen als diese zwei hatte Mick nie annehmen müssen, es war also schlichtweg unmöglich, dass er nicht unter einem der beiden Namen zu finden war. Es sei denn, Guillermo hatte sich für ihn einen vollkommen neuen Namen ausgedacht und den genannt.

Wieder ein Kopfschütteln.

Guillermo Gasol?“ versuchte ich es erneut. Wieder ein Kopfschütteln.

Beth Turner?“ Sie sah mich überrascht an und ich hoffte schon auf eine Zusage, aber ich wurde enttäuscht.

Ist ihr Freund den Sie da besuchen wollen denn nun ein Mann oder eine Frau?“

fragte sie argwöhnisch nach. Scheinbar kamen des Öfteren Leute vorbei, die ihre Scherzen mit der freundlichen Frau trieben.

 

Eigentlich weiß ich nicht einmal ob er ein Mensch oder ein Vampir ist, dachte ich im Stillen. Das musste sie lieber nicht wissen.

Also wissen Sie...“ fing ich an, als mich jemand am Ärmel zupfte.

Guillermo stand hinter mir.

Ach wissen Sie... hat sich erledigt.“ meinte ich mit einem Lächeln zu der Empfangsdame, das denken ließ, ich habe Zahnschmerzen. Dann wandte ich mich vollends um und lief im Eiltempo neben Guillermo und Sophia einen Korridor hinunter.

Was soll denn das?“ fragte ich im Flüsterton, als wir an zwei Schwestern mit Bettpfannen vorbei kamen. Guillermo trug schon seine Arbeitskleidung, aber er führte uns nicht hinunter in die Pathologie, sondern auf die gesicherte Station. Moment, gesicherte Station?!

Guillermo hatte meinen Blick gesehen.

Es ist nur zur Sicherheit, Josef!“ flüsterte er zurück. „Nur, falls er sich wieder einmal ausbruchsartig zurück verwandelt. Außerdem hat er ein Einzelzimmer.“ Die Besorgnis und die Ablehnung wollte nicht aus meinem Blick weichen.

Ihr steckt ihn aber nicht in eine Zwangsjacke und schnallt ihn am Bett fest, oder?“ fragte ich mit einem zweifelnden Unterton. Guillermo sah zur Seite und ich wusste, das genau das geschehen würde, wenn mein Freund sich daneben benahm.

 

Es ist alles mit Dr. Thomson abgesprochen. Er kommt gleich. Hat vorhin angerufen und uns eingeweiht.“ er öffnete uns eine Glastür und bog dann schnurstracks nach rechts ab. Noch ein Korridor. Wie ich Krankenhäuser hasste!

Nach weiteren fünf Minuten des Laufens kamen wir vor einer Tür an, die Guillermo auf machte. Mick lag in einem Bett, oder viel mehr saß er aufrecht darin, las ein Buch und Beth saß neben ihm, dösend. Als er sah, wen Guillermo mitbrachte, legte er das Buch leise auf seinen Nachttisch. Sein Blick streifte einmal liebevoll und etwas sehnsüchtig „seine“ Beth, dann wandte er sich uns zu. Guillermo holte aus einer Ecke des Zimmers zwei weitere Stühle. Auf einen davon setzte sich Sophia, Guillermo und ich blieben lieber stehen.

 

Geht es dir ein bisschen besser?“ fragte ich so leise nach, das Beth mich nicht mehr hören konnte. Auf ein Zeichen von Mick hob Guillermo sie hoch, als wöge sie nichts und trug sie zu dem anderen Bett, das noch mit im Raum stand. Selig schlief sie weiter, nichts würde sie wecken können. Sie murmelte nur etwas, dass wie Micks Name klang und er lächelte leicht, dann jedoch rollte sie sich auf die Seite und schlief weiter.

Ein bisschen, ja.“ erklärte Mick abwesend, den Blick immer noch nicht von Beth lassend. Aber anders als vor ein paar Tagen lag dort kein Hunger in den großen blauen Augen. Es war mehr ein Beschützerinstinkt, etwas, das Mick bei Beth an den Tag legte, seit sie vier Jahre alt gewesen war und er sie aus Coralines Klauen gerettet hatte.

 

Dann jedoch wandten diese Augen sich mit sichtlicher Neugier mir zu. „Und, erzähl schon, was genau ist denn jetzt passiert?“ fragte er nach und ich rief mir die Dinge noch einmal ins Gedächtnis, bevor ich ihm erzählte, wie ich den Offizier getötet hatte, wie Panos und Cyriakos durch die Legion gestorben waren und wir erfahren hatten, was es mit Devon Danes' Hass auf die Vampire auf sich hatte. Und natürlich, wie Mikhael sie schließlich bestraft hatte. Danach breitete sich Schweigen unter uns aus.

Mikhael hat immer noch das Buch...“ überlegte Sophia dann laut. Bei der Erwähnung des Buches funkelte Mick mich merkwürdig an.

Ach ja, das Buch...“ murmelte er mit einem merkwürdigen Unterton und sah mich schief an. Irgendwie wurde mir bei diesem Blick gleichzeitig heiß und kalt.

 

Wieso“, fing er dann langsam an, „hast du vor mir gesessen und gesagt, du wüsstest sicher, dass es das Heilmittel nicht geben kann, wenn du doch ein Buch darüber hattest?“ flüsterte er gefährlich leise. Guillermo sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Augenscheinlich lauschte er auf ein Anzeichen für Überanstrengung, die er noch nicht fand. Und wenn, würde er all dem schneller ein Ende setzen, als ich schauen konnte, soviel war sicher.

Ich schwieg. Ich wusste genau, warum ich nichts gesagt hatte. Ich hatte versucht, meine Verblüffung zu verbergen, dass es wirklich so war, dass es ein Heilmittel gegen Vampirismus gab und es mit meiner üblichen herablassend-bissigen Art kaschiert.

Ich glaube, deine genauen Worte waren: „Es gibt kein Mittel gegen Vampirismus, Mick. Keine Zauberpille, die einen wieder in den Bund der Sterblichen zurückholt. Wenn es das gäbe, wüsste ich davon, und nicht, dass es mich kümmern würde. Ich selbst würde nie wieder sterblich sein wollen.“ Hast du nicht genau diese Worte benutzt? Und hast du mich nicht fast ausgelacht, als ich dennoch danach gesucht habe?“ fragte er.

 

Wieder erntete er Schweigen. Ich wollte warten, bis er sich wieder ein bisschen beruhigt hatte, bevor ich etwas dazu sagte. Sophia sah mich an und sah gleich wieder weg.

Ich habe dir das Heilmittel verschafft, Josef! Du weißt, wie es sich anfühlt! Warum wolltest du es ausprobieren, wenn...“ Diesmal musste ich etwas zu meiner Verteidigung beitragen.

Mick...“ seufzte ich und biss mir auf die Lippe. Er sah mich erwartungsvoll an.

Ich wusste, dass es einen Weg gibt, wieder sterblich zu werden, ja.“ gab ich dann stockend zu. Es fiel mir verdammt noch mal nicht leicht, Fehler einzusehen, und jetzt verlangte er genau das von mir. „Aber ich wusste weder, wie es funktioniert, noch, ob es überhaupt ein sicherer Weg ist! Ich hatte nur dieses verschlüsselte Buch. Ich habe es fast vierhundert Jahre mit mir herum getragen und kenne sein Geheimnis nicht! Das ist der Grund, warum David hinter mir her war! Weil er es an mich verloren hat. Das ist der Grund, warum die Legion hinter mir her war! Weil das der Schlüssel zur Ausrottung unserer Art ist! Wie hätte ich damit an die Öffentlichkeit gehen können? Ich hätte es verbrennen sollen, wann immer ich die Gelegenheit dazu sah.“ meinte ich bitter. Etwas in seinem Gesicht zuckte.

 

Für ihn hatte ich gerade den ultimativen Vertrauensbruch begangen. Und als er weiter sprach, wusste ich auch genau, was er meinte.

Nicht jeder von uns hat dieses Schicksal gewollt, Josef! Nicht jeder wollte so ein...“ das Wort „Leben“ kam ihm in diesem Zusammenhang gar nicht erst über die Lippen. Ich stöhnte gequält auf. Seit über fünfzig Jahren andauernd die selbe Ich-bin-ein-Monster-vernichte-mich-Diskussion. Ich hatte es satt!

Wieso kannst du dich nicht einfach mit deinem Schicksal abfinden?“ diese Frage stellte ich an diesem Punkt jedes Mal, und jedes mal bekam ich die selbe Antwort. Mittlerweile konnte ich den Wortlaut auswendig.

Ich wusste nicht, was sie war, verstehst du? Du wusstest es, und du hast dich sicherlich insgeheim lustig über mich gemacht... aber als sie mich verwandelte... ich wäre am liebsten auf der Stelle noch einmal gestorben, verstehst du? Ich habe es auf so viele Arten versucht...“ ich senkte den Kopf. Das beschwor eine Reihe von düsteren Bildern herauf, die ich am liebsten für immer weggesperrt und vergessen hätte.

 

Zwar merkten wir, wie Beth sich besorgt und ungläubig staunend aufsetzte, um ihren Verlobten zu betrachten, aber sie sagte kein Wort.

Ich weiß...“ gab ich kläglich zu. Wer konnte es besser wissen als ich? Wie oft hatte ich ihm die Messer aus den Händen reißen müssen, bevor er sich damit selbst umbrachte? Wie oft hatte er sich in seiner Anfangszeit die Pulsadern aufgeschnitten, nur um mit ansehen zu müssen, wie sie sofort wieder heilten?

Aber meine Gedanken wurden von seiner Stimme unterbrochen.

Es ist nicht gerecht, dass wir Menschen töten, um ihr Blut zu trinken. Wir sind nicht... so etwas wie uns dürfte es gar nicht geben!“ stieß er hervor. Erschrocken wandten sich ihm alle Köpfe zu.

Schließlich sprach ich aus, was alle zu denken schienen.

 

Du klingst, als würdest du glauben, was diese Danes-Ziege erzählt!“ knurrte ich wütend. Auch die anderen waren vor Schock wie gelähmt. Diese Worte konnten nicht aus Micks Mund gekommen sein, und doch hatten wir sie alle klar und deutlich gehört.

Mick“, versuchte ich es einschmeichelnd, „ich weiß, dass du dich nie damit hast abfinden können, was du bist, aber wenn wir es schaffen... Dr. Thomson hat sicher noch etwas von dem Heilmittel, das du nehmen kannst und dann...“ er funkelte mich wütend an.

Du hast keine Ahnung von den Schmerzen!“ zischte er zurück. Seine Augen wurden merklich heller und Guillermo stellte sich eingriffsbereit neben mich, um sich notfalls auf seinen Patienten werfen zu können.

Doch wir wurden von einem Klopfen unterbrochen. Die Tür ging auf und Dr. Thomson kam herein, eine Brille auf der Nase und er las eifrig das Buch, dass ich so lange mit mir herum getragen und sicherlich abertausende Male durchgelesen hatte. Dennoch wurde ich aus den Zahlen und kryptischen Andeutungen nicht schlau, auch wenn das Buch auf Latein geschrieben war. Und er konnte es einfach so lesen und verstehen?

Hinter ihm kam Mikhael herein und ich senkte den Blick. Seine Miene aus raubvogelgelben Augen war hart. Als ich in sein Gesicht sah, wirkten die mandelförmigen Augen hart und spröde, mit einem unbestimmten Glanz darin, wie polierter Bernstein. Vielleicht war es besser, ihn nicht anzusprechen, zumal er sich in einen schattige Ecke des Zimmers zurück zog und aus dem Fenster schaute.

 

Dr. Thomson dagegen sah aus, als wären Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen.

Meine Herrschaften, ich denke, ich kann Ihnen die Lösung all Ihrer Probleme in ein paar Monaten präsentieren.“ sagte er triumphierend und strahlte uns an. Mick, Guillermo, Sophia und ich sahen uns skeptisch an. Meinte er etwa...?

Er strahlte weiterhin.

Jawohl, ich denke, mit ein bisschen Hilfe von Ihnen allen wird es mir bald möglich sein, sie von Ihrem Leiden zu befreien!“ Ich lächelte schwach. Als ein Leiden würde ich es nun nicht bezeichnen, aber wenn er meinte...

Ich boxte Mick lächelnd sanft in die Schulter. „Siehst du, da hast du doch dein Heilmittel!“ Er gab es zwar nicht rundheraus zu, aber ich sah, wie ein schwaches Lächeln über seine Züge glitt.

 


 
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