Meine Geschichten
  Fünf und Einer
 
Derweil in Frankreich

Es war ein Kreuz mit der Legion, dachte Lance, während er die Treppe in den Keller herunter stieg. Auf der Reise von Madrid bis hier her waren sie zwei Mal nur knapp einem Anschlag entkommen und hatten immer eher flüchten müssen, als dass es ihm möglich gewesen wäre, mit diesen Bastarden abzurechnen und sie alle zu töten. Was hieß, dass sie immer noch hinter ihm her waren. Und die Nachrichten, die Mick und die anderen brachten, waren auch nicht gerade erfreulicher. Was freute er sich doch auf ein schönes Glas Blut und seine Kühltruhe.
Er hatte den Treppenabsatz hinter sich gelassen und schloss die Tür auf. Gerade hatte er sie hinter sich zu geworfen, als ihn eine Stimme zurück zucken ließ.
„Ah, der Herr des Hauses ist auch noch da.“ meinte eine Stimme mit griechischem Akzent. Jetzt merkte Lance, dass ein Feuer im Kamin brannte. Er sah nach vorn, dorthin, wo ein Mann in seinem Sessel saß und Wein aus seinem Weinglas trank.

Ein kleines Lächeln schob sich auf sein Gesicht, aber es war nicht echt. „Ah, Mikhael, was kann ich für dich tun?“ fragte er und setzte sich ihm gegenüber. Ungefragt griff er an seinem Gast vorbei nach der Weinflasche und einem Glas, auch wenn er jetzt etwas anderes in seiner Kehle begrüßt hätte, denn der Flug und die ganze Reise hier her waren mehr als anstrengend gewesen.
Aber immerhin war das sein Wein, den Mikhael da einfach so trank, ohne zu fragen. Und wenn es sein Wein war, dann durfte er sehr wohl ungefragt davon nehmen. Auch wenn er bedachte, wem er hier gegenüber saß.
„Lance DuVall, wie schön. Wir haben uns sicher einhundert Jahre nicht mehr gesehen.“ erwiderte der Vampir, der in einem schwarzen Armanianzug mit blutrotem Hemd und grauer Krawatte steckte und sein langes schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebündelt trug.

Lance erinnerte sich nur zu gut an das letzte Aufeinandertreffen mit ihm und den restlichen vier Vampiren um Mikhael. Zusammen bildeten sie die Pentagonier, die schon Bestand hatten, seit es Vampire gab. Seit es Menschen gab. Er konnte es riechen. Dass sein gegenüber sehr, sehr viel älter und mächtiger war als er. Die falkengelben Augen musterten ihn unter zusammengezogenen Augenbrauen, weil er nicht antwortete. „Ich... ja. Entschuldige. Ich habe im Moment einiges im Kopf. Einiges, was es erfordert, dass man gut darüber nachdenkt.“ antwortete er zögernd und trank einen Schluck aus seinem Weinglas. Mikhael nickte. „Ich weiß, worüber du dir Sorgen machst.“ natürlich, dachte Lance. Wenn man bedachte, was Mikhael konnte...

Ein dünnes Lächeln breitete sich auf den Lippen des Älteren aus. „Du hast es erfasst.“ Lance spielte mit seinem Weinglas, ließ den Stiel zwischen den Fingern hin und her kreiseln und beobachtete, wie die rubinrote Flüssigkeit einen kleinen Strudel erzeugte, je schneller er das machte.
„Nun, wenn man bedenkt, was du kannst, wieso liest du dann nicht einfach in meinen Gedanken wie in einem offenen Buch?“ fragte er gelangweilt und sah Mikhael nicht in die Augen. Dieser lächelte ein bisschen breiter und seine Eckzähne wurden sichtbar.
„Weil du das sicher nicht zugelassen hättest.“ sagte er und betrachtete den Inhalt seines Glases, bevor er daraus trank.

„Eine der Regeln bei uns Pentagoniern besagt: Du sollst jedem die Freiheit seiner Gedanken lassen, doch spricht er sie aus, so magst du zu verwahren, was er dir anvertraut hat. Deswegen werde ich nicht in deinen Gedanken wühlen. Sondern warten, bis du es mir erzählst.“ Da kann er lange warten, dachte Lance düster, nahm sich aber im selben Augenblick zurück und überspielte seine Verlegenheit mit einem weiteren tiefen Schluck Wein.
Jetzt wurde Mikhaels Lächeln ein kleines bisschen berechnender. „Nun, du willst mir also nichts erzählen. Ich weiß, dass die Legion hinter dir her ist. Auch hinter uns sind sie her, weil wir ihnen einen Großteil der Arbeit abnehmen, wenn wir können.“ erklärte der dunkelhaarige Vampir und stellte sein Glas auf dem Tisch zwischen ihnen ab. Der Rest Wein schimmerte wie flüssige Rubine im Kerzenlicht und im Schein des Feuers hinter ihnen.

Lance stutzte verdattert und stellte ebenfalls sein Glas weg. „Moment mal. Ihr bringt eure eigene...“ fing er an, aber Mikhael unterbrach ihn mit einer herrischen Geste. „Nein. Denk bitte nach, bevor du uns solcher infamen Unterstellungen und Praktiken bezichtigst, Freund. Du weißt, dass es sonst übel ausgehen könnte. Niemand von uns will mit dieser Bande von Mördern verglichen werden.“ sagte der Grieche scharf.
„Du weißt , dass ein Unterschied besteht zwischen uns, und denen, oder?“ fragte er nach und lehnte sich über den Tisch, Lance entgegen. „Ja. Natürlich. Sie töten grundlos und wahllos Vampire, wo sie sie finden, während ihr...“
„Wir töten Vampire wenn sie zu auffällig werden und wir auf zufliegen drohen. Richtig. Sehr gut aufgepasst.“ Ein missbilligender Blick zog wie ein Schatten über sein Gesicht und die gelben Augen verdüsterten sich. „Aber die Legion behauptet inzwischen auch, sie wäre darauf aus, die zu töten, die zu sehr an die Öffentlichkeit gehen.“ meinte er und zog von dem Stuhl neben sich die Tageszeitung hervor.

Er warf sie zwischen sie beide auf den Tisch, so, dass Lance die Schlagzeile lesen konnte.
„Blutbad in Seattler Innenstadt. Polizei geht von Bande aus.“ lautete die Schlagzeile. Lance las stirnrunzelnd den Artikel, dann sah er Mikhael wieder an. „Und? Was hat das mit uns zu tun?“ er betonte das „uns“, um klar zu machen, wen er meinte. Mikhael legte die Kuppen seiner schmalen, langen Finger aneinander und fixierte Lance emotionslos.
„Nun, ich will dir sagen, was das mit uns zu tun hat.“ sagte er ruhig. „Das“, er tippte mit dem Finger auf das Bild, das unter der Schlagzeile zu sehen war, „war das Werk von zwei Vampiren. Vielleicht kennst du sie nicht, aber du kennst den, der direkt mit ihnen in Verbindung steht.“ sagte er und lächelte wieder. Lance durchforstete sein Gehirn. Auf dem Bild sah man nicht mal einen Täter, nur große Pfützen Blut und abgerissene Körperteile.

„Du müsstest wissen, dass ich zu viele Vampire kenne, als dass ich mich an jeden einzelnen erinnern könnte.“ meinte er leicht gelangweilt. Aber das war nur Fassade, und das merkte sein gegenüber genau. Er war neugierig, wer es denn nun gewesen war. Etwa einer von Mick und seinen Freunden? Aber nein, laut seinen Informationen hielten sie sich gerade in Southhampton auf, unmöglich, von dort aus so schnell in Seattle zu sein und so viele Menschen abzuschlachten.
„Ich komme nicht darauf, wen du meinst.“ sagte er dann verwirrt und betrachtete den griechischen Vampir eingehend. Keine Regung verriet, was er dachte. Wie viel anders war es da bei ihm selbst, seufzte Lance leise.
Ihn immer noch ansehend zog der ältere Vampir einen Stapel Fotos aus der Tasche seines Anzuges und warf sie zu der Zeitung auf den Tisch. Lance nahm sie neugierig in die Hand. Das erste Foto zeigte eine dunkelhaarige Frau, die fast schon böse in die Kameras grinste und dabei ihre beiden spitzen Eckzähne im Oberkiefer preisgab.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich kenne sie nicht, tut mir Leid.“ jetzt kam etwas mehr Leben in den griechischen Pentagonier. „Sie heißt Catherine Bellows. 1834 in Halifax, Schottland geboren. Sie lebte dort zweiunddreißig Jahre lang, bevor sie verwandelt wurde. Vielleicht sagt dir der Name ihres Exfreundes etwas. Josef Kostan, kennst du den? Geboren unter dem Namen...“ Lance knurrte unwirsch. „Ja, der ist mir nur zu bekannt. Also war sie das, das Blutbad in der Zeitung?“ fragte er.
Mikhael nickte. „Ja. Nur leider war sie sehr unvorsichtig. Und sie war nicht allein. Jetzt hat die Legion sie. Die Pentagonier haben allen Grund, sie auszulöschen. Nicht nur hat sie das ganze öffentlich gemacht – wissentlich öffentlich noch dazu – sondern sie hat vor ca. einem halben Jahr auch eine junge Frau entführt, die du sicherlich auch kennst.“ sagte er und zog noch ein Foto aus der Tasche. Lance starrte es an. Das war...

„Sie entführte die junge Frau, um Josef eins auszuwischen, wie wir glauben. Nun, leider funktionierte das nicht, aber mit der Leiche, die sie im Laufe ihres Weges von der Wohnung der Entführten bis nach Ellisville zerstückelte und die Teile gut sichtbar wie Brotkrumen verstreute, sorgte sie bei der Polizei für aufsehen, obwohl ein anderer Vampir hinter ihr aufräumte.“ erklärte Mikhael. „Nicht zu vergessen reiht sich in die Reihe ihrer Verbrechen auch die Legung eines Brandes eines großen Anwesend in New York, mehrere Morde auf ihrem Weg quer über die Welt... wenn man bedenkt, dass die Frau keine Neugebornene mehr ist, bei der ein solches Verhalten noch halbwegs tolerierbar wäre, dann haben die Pentagonier wirklich einen guten Grund, sie zu töten.“ sagte er, stand auf und lief im Raum umher.

„Es wird sie schon niemand vermissen.“ murmelte er, als er am Kamin stand und in die Flammen schaute.
„Was ist mit dem anderen Vampir?“ fragte Lance und sah die Fotos durch. Ein Bild fiel ihm auf, auf dem ein Mann zu sehen war, der Mikhael verblüffend ähnlich sah. Stünden die beiden nebeneinander, könnte er nicht sagen, wer wer war. Der Grieche drehte sich nicht zu ihm um.
„Das ist er. Im Moment nennt er sich David Delano. Du musst das verstehen, das war, bevor Leonidas zu uns kam und wir waren noch jung...“ Nicht mehr ganz so jung, dachte Lance. Wann immer das passiert war, es gab nur diese fünf Vampire auf der ganzen Welt, die so alt waren.
Dann aber fiel ihm etwas anderes ein. „Ihr habt ihn erschaffen?“ fragte er heiser nach und zerknüllte fast das Foto in seiner Hand. Hastig strich er es wieder glatt.

„Nein.“ sagte der Ältere, ohne sich umzudrehen. „Wir erschufen David nicht. Er wurde ein paar Jahre nach uns von unserem Erzeuger gebissen und verwandelt.“ Jetzt drehte er sich mit einem halben Lächeln im Gesicht zu Lance herum. Der Feuerschein tauchte seinen Körper und vor allem sein Gesicht in ein gespenstisches Farbenspiel.
„Wohl eher Jahrhunderte, hm?“ fragte er mit einem trockenen Grinsen nach. Das war das erste Mal, dass Mikhael die Beherrschung verlor. Er knurrte ihn an.
„Es geht hier nicht um die genaue Zeit! Wichtig ist, was geschehen ist. Bei euch war das doch auch nicht anders. Ihr hattet auch alle einen Erzeuger.“ sagte er herablassend und Lance nickte. „Ja, hatten wir. Und, was ist daran so besonders?“ fragte er nach. Es klang kühl. Lustlos schenkte er sich noch etwas Wein nach.
„Nun, wie gesagt, damals war Leonidas noch nicht bei uns und David war der Einzige, der sich nicht in das Leben der Pentagonier einfügen wollte. Er brach aus seinem gewohnten Trott aus und wurde zum Einzelgänger. So lange wir ein Auge auf ihn hatten, sahen wir dabei zu, wie er unzählige Menschen abschlachtete. Fast dreihundert Jahre lang ließen wir ihn gewähren. Immer, wenn wir dachten, es sei zu schlimm, beratschlagten wir uns. Wir wollten ihn nicht töten, unseren Bruder. Er war einer von uns, so etwas durfte man nicht zerstören. Dabei verwandelte er jedoch nie Menschen in Vampire. Er trank sie nur leer und ließ sie dann liegen. Wir sorgten dafür, dass man die Leichen nicht entdeckte und verbrannten sie. Wir gaben ihm sozusagen Deckung. Niemand kann das mehr bedauern als ich, da ich mich immer wieder dafür einsetzte, ihn nicht zu vernichten und immer wieder damit durch kam. Wir hatten ihn zwar verstoßen, doch töten mochten wir ihn alle nicht, auch wenn die Anderen sich nicht so sehr dagegen stellten wie ich.

Aber nach einer Weile machte David einen großen Fehler. Es blieb nicht mehr bloß beim Aussaugen. Eines Abends beobachteten wir, wie er einen Menschen verwandelte. In dem Glauben, der Neugeborene wäre tot, ließ er ihn, wo er war und ging seiner Wege. Damals war er schon reifer, aber weil es seine erste Verwandlung war, dachte er, es hätte nicht funktioniert und ließ ihn liegen, wo er war. Auch wir beobachteten den vermeintlich Toten nicht länger, sondern folgten David. Das konnte er nicht machen, ihn einfach dort liegen lassen. Er hätte ihn wenigstens verbrennen sollen, wenn es nicht funktioniert hätte. Aber das tat er nicht und bevor wir ihn aufhalten konnten, war David verschwunden und der junge Mann am nächsten Morgen auch. Das war 1629. Im Januar 1644 rief uns das Geschehen in dem selben Dorf wieder auf den Plan. David war untergetaucht und niemand suchte mehr nach ihm, in der Hoffnung, er wäre ruhiger geworden. Gesitteter. Sein „Sohn“ war das allerdings nicht. Aber auch hier brachten wir es nicht übers Herz, ihn zu töten. Wir baten ihn stattdessen, mit uns zu kommen, von uns zu lernen. Eine Weile nahm er das Angebot an und wurde ruhiger. Hier hatten wir endlich die Chance, einen der Fehler, die David gemacht hatte, auszubessern. Er wurde zivilisierter, als wir es uns jemals hatten träumen lassen. Heute braucht er keine Beobachtung mehr, ist er doch ein einflussreicher und wichtiger Mann in LA...“ vollendete Mikhael seine Erzählung. Lance sagte einen Moment nichts. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
„Ihr habt... Ist es... er...?“ Mikhael lächelte verstehend.
„Ja. Genau der ist es. Du scheinst ihn besser zu kennen, als ich dachte.“ sinnierte er lächelnd.
 
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