Meine Geschichten
  Halbgott in weiß?
 
Nur ein paar Wochen war es her. Und nachts verfolgte es ihn immer noch in seinen Träumen. Das würde wahrscheinlich auch noch die nächsten Wochen, wenn nicht Monate so bleiben.
Er hatte immer gedacht, einen ganz normalen Arbeitsplatz mit ganz normalen Kollegen und Patienten zu haben, aber jetzt musste er diese Aussage wohl noch einmal überdenken. Aussage. Er wusste nicht, wie oft er schon gesagt hatte, was er gesehen und gehört hatte, im Zimmer wie auch davor. Es war grauenvoll gewesen. Dieses schrille Zischen und Fauchen wie von Tieren. Gut, er hatte eine schwangere Frau als Ablenkung gehabt, die seine Hilfe gebraucht hatte, aber... und der Mann, der dabei war, war ihm auch nicht ganz normal vorgekommen. Der Vater des Kindes war er nicht, das hatten die beiden gleich klar gestellt. Aber Dr. Thomson war es so vorgekommen, als müsse der Mann sich mit aller Kraft zusammen nehmen um... er wusste, dass es abstrus klang, aber für einen Moment hatte er ausgesehen, als wolle er der Frau an die Kehle gehen und ihr nicht helfen.
Richard strich sich eine wirre Strähne seines Haares aus dem Gesicht. Wann hatte er das letzte Mal geduscht? Letzte Woche? Er schüttelte sich. Wenn er nur wusste, was diese Leute von ihm wollten. Warum sie ihn in dieser kleinen sterilen... Zelle festhielten. Er sah sich um. Die Wände waren mit Gummimatten ausgelegt, die Kratzer aufwiesen, wie von Tieren. Wo war er hier nur gelandet? In einer Irrenanstalt?

Hielten die ihn für verrückt, weil er etwas gesehen hatte, was gar nicht sein konnte? Immerhin... das, was er gesehen hatte, konnte es nicht geben. Ausgeschlossen. Er hatte nicht mal einen Namen für das, was sich da ereignet hatte. Er wusste nur, dass die beiden Männer eigenartig ausgesehen hatten. Anders als vorher. Und daraus machte die hier so eine große Sache.
Er ließ den Kopf in die Hände sinken und setzte sich auf seine Pritsche. Warum war er bloß nicht zur Polizei gegangen? Hätten die ihm mehr geglaubt? Aber vielleicht hätten sie sich auch nur über ihn lustig gemacht und dann wäre er doch hier gelandet. Er schüttelte den Kopf. All diese Überlegungen brachten nichts. Es war besser, wenn er wartete.
Etwas klapperte. Und als er den Kopf hob, konnte er sehen, dass durch den Schlitz in seiner Tür ein Tablett mit Essen geschoben wurde. Wieder geisterten ihm tausend Fragen durch den Kopf. Die dringendste: Warum hatte man ihn eingesperrt? War er hier etwa einer Verschwörung auf der Spur?  Ja, eine Verschwörung, das musste es sein. Deswegen auch die verhöre. Und Die Männer trugen alle Uniformen mit einem merkwürdigen Zeichen... war es ein Kreuz? Er hatte es nie genau erkennen können.
Jetzt jedoch zuckte er die Schultern und stand auf, um sein Essen in Empfang zu nehmen. Viel war es nicht und Sternekost schon gar nicht. Dosenfutter, dachte er verächtlich. Da kochen sie sogar in der Krankenhauskantine besser.

Schweigend setzte er sich mit seinem Tablett auf den Boden und aß. So gut er es vermochte. Bei diesem Fertigessen drehte sich ihm jedes mal der Magen um und er musste sich zwingen, das Formfleisch, das schlabbrige Gemüse und die steinharten Kartoffeln überhaupt zu schlucken, bevor sie ihm wieder hoch kamen. Tapfer meisterte er die heutige Mission Essen und schob das Tablett dann wieder unter dem Schlitz hindurch.
Schritte entfernten sich und kamen wenig später wieder zurück. Ein Schlüsselbund klapperte leise und einer der Schlüssel wurde in sein Schloss gesteckt. Er wollte vorstürmen, ermahnte sich dann aber zur Ruhe. So verzweifelt war er noch nicht, dass er ausbrechen musste, oder es zumindest versuchen wollte.
Die Tür schwang auf und zwei Soldaten standen vor ihm.
„Dr. Thomson? Kommen Sie bitte mit. Sie werden gebraucht.“ wortlos trat er vor und ließ sich von den beiden Männern in die Mitte nehmen, wie ein Schwerverbrecher. Er hatte doch nichts getan!

Vorsichtig sah er zur Seite,m doch der Soldat rechts von ihm starrte während des Laufens stumm geradeaus, der Mund eine dünne, verkniffene Linie, die Augen starr und eiskalt. Richard schluckte.
„Verzeihen Sie, aber... ich weiß immer noch nicht so richtig, warum ich hier bin. Ich habe doch niemandem etwas getan!“ er flehte schon fast. Das war sonst nicht seine Art, aber er hatte einfach Angst. Lange Zeit kam gar nichts zurück von dem Mann neben ihm. Auch von dem anderen nicht. Sie wirkten auf Richard wie Roboter, die nur zu funktionieren hatten und nichts anderes sonst. Die keine Auskünfte gaben und keine Gnade kannten. Letzteres mochte vielleicht sogar stimmen, dachte er bange.
Dann hörte er so etwas wie ein unterdrücktes Schnauben und sah den Soldaten neben uns an.
„Du sollst uns nur ein paar Infos geben, Amigo. Mehr nicht.“
Der Arzt schluckte und sah zu Boden. „Aber ich hab doch...“ ein harter Stoß traf ihn in den Rücken und er ging stöhnend in die Knie. Einen Bruchteil einer Sekunde später fühlte er etwas kaltes in seinem Nacken und schluckte. Der schwere, genagelte Stiefel eines der Soldaten senkte sich auf sein Genick und hielt ihn unten, während der Lauf des Gewehrs immer noch auf seinen Nacken zielte.
Richard schluckte. Kalter Schweiß lief ihm den Nacken herunter.
„Du wirst tun, was man dir sagt, Amigo, okay?“ knurrte der Soldat und Richard wagte es, zu nicken, auch wenn er sich des Gewehrlaufes in seinem Nacken so schmerzhaft bewusst wurde.
„Okay.“ flüsterte er. Der Fuß wurde weggenommen und man zog ihn auf die Füße. Wenig später lief er wieder zwischen den beiden, aber er wagte keine Wiederworte mehr. Er hatte Recht gehabt. Diese Kerle schreckten wirklich vor nichts zurück.

*

Lance hielt den Mann am Kragen gepackt ein Stück über dem Boden. Seine fünf toten Kumpane hatten wir schon so gut wie möglich verscharrt, aber dieser eine lebte noch und das sollte er noch eine gute Weile tun. Zumindest hofften wir das, was bei der Menge an Blut, die er verloren hatte und immer noch verlor, nicht gerade wahrscheinlich war.
„Du wirst uns jetzt sagen, wo die nächste Siedlung ist, Hombre, okay?“ knurrte Lance in perfektem Spanisch. Der Mann in seinem Griff zitterte. Mick stand hinter ihm und drückte ihm ein zusammengeknülltes Hemd eines seiner Freunde auf die beiden Einstiche an seinem Hals. Es sog sich immer noch mit Blut voll. Ich wusste gar nicht mehr, wessen Snack er gewesen war, vielleicht Micks oder Ryders.
„Hör zu, wenn du brav bist, sorgen wir dafür, dass du in ein Krankenhaus kommst. Du kannst denen ja erzählen, du wärst von einer Schlage gebissen worden. Das glauben die dir bestimmt.“ schlug er vor und lächelte diabolisch. Man sah seine Eckzähne, und das schien dem Mann die Zunge zu lösen. Oder ihn noch mehr zu verängstigen.

Er rief etwas, sehr schnell. Ich machte nicht viel aus, nur immer wieder das selbe Buchstück, das selbe Wort. „El diabolo“ kreischte der Mann, dass es zum Erbarmen war. Ich seufzte.
„Lance, mach dem endlich ein Ende. Er kann uns nichts mehr sagen.“ knurrte ich und sah zu, wie der Spanier versuchte, sich aus Lance' Griff zu winden, aber der Vampir war um ein vielfaches stärker als er.
Er sah ihm in die Augen, das eine schwarz wie die Nacht, das andere eisblau und fauchte leise. Viel Kraft hatte der Mann nicht mehr.
„Also, du wirst uns doch sicher sagen, wo die nächste Siedlung ist, hm? Wo wir ein Auto und etwas zu essen bekommen können?“ fragte Lance freundlich nach. Wir alle wussten, wenn er so war, wäre der Spanier in den nächsten dreißig Sekunden, in denen er nicht antwortete, tot.
Ich sah ihn schlucken und konnte den Angstschweiß riechen.
„Toledo, Toledo!“ rief der Mann immer wieder in der Hoffnung, das würde Lance das geben, was er wollte und er würde ihn in Ruhe lassen.
„Wie weit?“ zischte der Vampir zurück. Ich drehte mich um und ging zu Sophia und Beth zurück, die etwas entfernt auf ein paar Felsen saßen und sich das ganze ansahen, aus sicherer Entfernung.

„Und, seid ihr schon zu einem Ergebnis gekommen?“ fragte Beth und trank einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Die beiden sahen müde aus, erschöpft. Ich legte Sophia den Arm um die Schulter und zog sie zu mir heran.
„Das übliche. Er weiß, wo die nächste Siedlung ist, hält uns alle für Ausgeburten des Teufels oder die Teufel persönlich und macht sich vor Angst fast nass.“ Sophia seufzte. „Kein Wunder. Wenn Lance mich so anfassen würde, hätte ich auch Angst. Der Mann ist einfach gruselig.“ murmelte sie und ich lachte. „Vor mir hattest du am Anfang auch Angst, weißt du noch? Und jetzt...“ ich knabberte zärtlich an ihrem Ohrläppchen. Kichernd wand sie sich weg. „Ja, aber ich glaube es bringt nicht viel, wenn Lance dem Kerl seine Liebe gesteht.“ Ich versuchte, etwas zu hören von dem, was dort vor sich ging und spitzte die Ohren.
„Einen Tagesmarsch... das schaffen wir. Wir haben uns ja gerade gestärkt.“ grinste Lance und stellte den Mann wieder auf seine Füße. Noch immer lächelte er dieses kalte, tödliche Lächeln. Langsam glaubte ich, er sei zu nichts anderem mehr fähig.
Ich schaltete mein Vampirgehör herunter, als ich sah, wie er die Handkante gegen das Kinn des Mannes drückte und Mick das Hemd weg nahm. Auf diese Entfernung konnte ich das Knacken des Genicks des Mannes nicht mehr allzu deutlich hören. Hatte ich gedacht. Aber das Brechen der Knochen hallte in den Abend wie ein Gewehrschuss. Alle hatten es gehört und Sophia zuckte zusammen. Ich zog sie noch enger an mich und rieb ihr beruhigend die Schulter.

„Er wäre an dem Blutverlust gestorben, Sophia.“ versuchte ich sie zu trösten. Sie sah mich merkwürdig an.
„Ja, aber dann hätte er nicht...“
„Dann hätte er gelitten, nicht lange, aber er hätte. Das, was Lance da gerade gemacht hat, war gnädiger als er sonst ist.“ sagte ich und sah zu, wie Lance zusammen mit Mick und Guillermo den Leichnam des Spaniers in der trockenen Steppenerde vergrub und dann noch trockene Zweige darüber schichtete. Ich stand auf und zog die beiden Frauen mit mir hoch. Einen Tagesmarsch durch die Sonne würden wir überstehen. Lance hatte recht. So brutal es auch war und klang, hatten wir uns doch gestärkt und konnten den Weg ohne Mühen fortsetzen, wenn uns die Legion nicht in die Quere kam.

*

Wenig später saß Dr. Thomson wieder an diesem Tisch, angestrahlt von mehreren Lampen. Ihm gegenüber saß eine Frau, vielleicht Mitte dreißig, in einer Militäruniform. Ein Schild am Revers wies sie als 'D. Danes' aus.
„Nun, Dr. Thomson. Ich muss Sie doch noch einmal fragen, was Sie gesehen haben. Sie waren in manchen Punkten... nun, wie soll ich sagen.... etwas ungenau.“ erklärte sie und verschränkte die Hände unter dem Kinn. Ihr rotes Haar hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt, die blauen Augen blickten fast freundlich. Aber Richard war auf der Hut. Da lag etwas lauerndes in ihrem Blick, wie bei einer Schlange, die ein saftiges Kaninchen beobachtet, bevor sie zustößt und es verschlingt.
Er schluckte nervös. Die beiden Soldaten, die ihn hergebracht hatten, räusperten sich hinter ihm leise. Ein Gewehr wurde mit einem Knall auf dem Linoleumboden abgestellt. Das ermunterte ihn zum Sprechen.
„A-also, Sie wollen wissen, was ich gesehen habe?“ fragte er zögernd nach. Das Lächeln wich nicht aus dem Gesicht der Frau, als sie nickte. „Ja, genau das wollen wir. Nur was Sie gesehen und gehört haben, die reinen Fakten. Wenn Sie etwas dazu dichten, werden wir es wissen. Wir haben die Überwachungsbänder des Krankenhauses gesehen.“ erklärte sie. Stiefelsohlen quietschten über den Boden und er schluckte. Jedes Geräusch enthielt eine versteckte Drohung. Und dabei wusste er immer noch nicht genau, warum er eigentlich genau hier war.

Er schlucke trocken. „Also... ich war drinnen bei der Frau, die mit den Männern rein kam. Und... naja, als das dann vorbei war, bin ich raus gegangen, um allen die gute Nachricht zu überbringen. Vorher hatte ich schon so ein merkwürdiges Kreischen und Fauchen gehört, draußen auf dem Gang, aber ich dachte mir nichts dabei.“ er verschränkte die Hände ineinander und rieb sich geistesabwesend über den Daumennagel.
„Bei uns wurde zu der Zeit gebaut, müssen Sie wissen. Ich hielt es also für Baulärm. Idiotisch, denke ich im Nachhinein, aber...“ Hinter ihm räusperte sich wieder jemand und hastiger fuhr er fort.
„Nun, also ich ging raus, um allen zu sagen, dass alles in Ordnung sein und...Die beiden Männer draußen, Mr. Kostan und dieser andere.... ich weiß seinen Namen gar nicht...“ Noch ein Hüsteln, energischer diesmal. Richard zuckte zusammen. „N-nun, also ich ging raus und die beiden rangen wohl gerade miteinander. Ich weiß nicht warum. Und als sie mich ansahen... Ihre Augen... kein normaler Mensch hat solche Augen... so hellblau und die Pupille war ganz klein. Ich dachte erst, die beiden hätten irgendeine ernste Krankheit. Sie waren auch so blass. Aber dann... haben sie plötzlich wieder normal ausgesehen. Der Eine, der Mr. Kostan festhielt, hatte auch Blut auf seinem Hemd. Ich weiß nicht, wo das herkam.“ er lehnte sich vorsichtig im Stuhl zurück und dachte nach. „Wenn ich es mir Recht überlege, habe ich noch etwas gesehen. Aber das kann nicht sein, das ist total unmöglich...“
Devon Danes sah ihn auffordernd an.
„Ja, was haben Sie noch gesehen?“ fragte sie freundlich nach. Er begegnete ihrem Blick und sah schnell wieder weg.

„Ich... ich sah... ihre Zähne. Nicht, dass das ungewöhnlich war, aber... naja... die Eckzähne waren länger als normal und ganz spitz. Ich meine, das kennt man ja heutzutage... die Jugendlichen lassen sich Vampirzähne feilen, weil sie das cool finden, auch wenn Ihnen jeder Zahnarzt sagt, was für Risiken das hat. Aber Sie kennen ja sicher die Kinder...“ er lachte nervös.
„Aber das merkwürdigste war, dass... die Zähne wieder schrumpften. Auf die normale Länge. Ich meine, vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet...“
Sein Blick wanderte unsicher zu der Frau ihm gegenüber, die den Kopf schüttelte.
„Sie bestätigen uns nur, was wir schon wussten oder vermutet haben. Aber sie waren uns dennoch sehr hilfreich.“ Sie sah über seine Schulter und Richard fühlte plötzlich die Präsenz eines anderen Menschen hinter sich.
„Danke für Ihre Mühe, Doktor. Aber jetzt, wo wir das wissen und Sie schon viel zu viel erraten haben, können wir Sie leider nicht mehr gehen lassen, tut uns Leid.“ Der Mann hinter ihm packte Richard und schleifte ihn davon.
„Was soll das heißen, ich kann nicht gehen? Ich habe Ihnen doch gesagt, was ich weiß, ich...“ Aber da bekam er einen Schlag gegen den Hinterkopf und wusste nichts mehr.
 
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