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Kapitel 32 – Neue Erkenntnis

Es dauerte einen Moment, bis ich klar sehen konnte, wer da durch den Nebel zu uns herüber kam. Um uns herum tobte das Feuer, aber ich merkte es gar nicht richtig. Es war nur wie ein warmer Lufthauch, noch keine grelle Hitze, die mir und den anderen das Fleisch versengte.
Logan, Ryder, Ray, Guillermo, Dr. Thomson und Lance schauten nicht minder erstaunt auf die sechs Männer, die jetzt zu uns herüber kamen und dann mit einem Abstand von vielleicht drei Metern zu uns stehen blieben.
Als ich zu Lance herüber sah merkte ich jedoch, dass er  nicht halb so verblüfft aussah wie ich. War es nur Einbildung oder lächelte er gar zufrieden?

Plötzlich fauchte es hinter uns und wir drehten uns herum. Die sechs Vampire vor uns hatten die Neuzugänge eher gesehen als wir. Da standen Catherine, Damian und Lielan, die Logan und die anderen aus dem Verlies der Legion, dass jetzt hinter uns in Flammen stand, gerettet hatten. Beim Anblick von Catherine entblößte ich meine kräftigen weißen Eckzähne und fauchte drohend. Sie lächelte, machte sich aber nichts aus dem Vorteil, in meinem Rücken stehen zu bleiben, wo ich nicht sehen konnte, was sie tat. Sie kam aufreizend langsam nach vorn und stellte sich zu den anderen. Lielan und Damian gesellten sich nach anfänglichem Zögern dazu.
Das Frontenverhältnis wurde allmählich erkennbar.
Die sechs Vampire der Pentagonier – denn nur sie konnten es sein, auch wenn mir der Mann ganz am Ende der Kette so gut wie unbekannt war – Lielan, Damian und Catherine gegen mich, Logan, Ryder, Guillermo, Sophia, Ray und Lance. Den Arzt, Ben, Patricia und Beth rechnete ich nicht mit, da sie als Menschen nur wenig Chancen gehabt hätten. Mick war uns ebenso keine große Hilfe, denn er war mehr bewusstlos als alles andere und zudem im Moment kein richtiger Vampir.

Das Frontenverhältnis stand 9 zu 6 gegen uns. Wir waren in der Unterzahl und sollte es zu einem Kampf kommen, würden wir das durch Teamarbeit und Kraft wettmachen müssen.
„Wer wird denn gleich so böse sein, Josef?“ fragte Catherine in meine Überlegungen hinein und wenn es möglich war, fauchte ich noch drohender.  Ich hatte die Nase gekraust und die Zähne gebleckt wie ein Hund, dem man mit Schlägen droht. Catherine hatte allen Grund, mich zu fürchten, denn wenn ich ihr zu nahe kam, war es vorbei. Ich würde sie leiden lassen für das, was sie mir und Sophia angetan hatte. Und dabei kannte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die ganze Geschichte. Doch als ich sie erfuhr, ein bisschen später, war es mit Catherine endgültig vorbei.

Aus den Reihen der Männer trat ein einzelner nach vorn. „Friede, Leute. Lasst uns das in einem kleinen Gespräch klären und nicht aufeinander losgehen.“ Ich kannte ihn. Er war das Oberhaupt besagter Pentagonier. Mikhael. Er lächelte mir zu.
„Josef, wie schön. Oder vielleicht sollte ich Charles sagen, wie früher?“ fragte er und trug den Ausdruck eines Großvaters im Gesicht, der seinem Enkel ein schönes Geschenk gemacht hat. Nur dass er nicht viel älter aussah als ich. Aber im Gegensatz zu mir verzichtete er auf die Verteidigungshaltung. Seine Augen hatten nicht das kranke weiß blau meiner Augen, und seine Eckzähne behielten ihre normale Länge bei. Anscheinend wusste er genau, dass er alles unter Kontrolle hatte. Noch.
„Mir ist beides recht.“ meinte ich und versuchte ein nicht ganz o gefährliches Lächeln. Mir gelang es nun mal nicht richtig, mich zu entspannen, vor allem mit dem brüllen der Flammen in unserem Rücken.

Dennoch hatte ich ihn gut verstanden, auch wenn er in normaler Lautstärke gesprochen hatte, die das Röhren des Feuers eigentlich hätte verschlucken müssen. Eigenartigerweise war dem nicht so.
„Nun...“ er machte noch zwei Schritte in den Kreis, der sich gebildet hatte und blieb dort stehen wie ein Zirkusdirektor in der Manege vor der großen Show. „Ich möchte euch allen eine kleine Geschichte erzählen.“ fing er an und ging langsam im Kreis herum. Die Eigenschaft schienen wir beide gemein zu haben. Wenn ich über etwas wichtiges reden musste, ging ich auch immer umher, wie er jetzt. Vielleicht machten das alle alten Vampire so, nur das Mikhael und seine fünf „Brüder“ gut zehnmal so alt waren wie ich.
„Es begab sich vor rund dreitausend Jahren“, machte er weiter und kümmerte sich nicht um das Feuer, dass uns dazu zwang, den Kreis enger zu ziehen, als wir das unter normalen Umständen getan hätten, „dass ein alter Vampir, nennen wir ihn.... James, sich entschloss, sich Gefährten zu schaffen. Also wählte er fünf junge, starke Männer mit gutem Blut aus, seine Gefährten zu werden. Er biss sie und verwandelte sie. Er lehrte sie, was ihn sein Lehrmeister gelehrt hatte, ihre Stärke und Kraft, ihre Schnelligkeit und all die anderen guten Dinge, die er konnte, weise einzusetzen. Wie auch er wollten die fünf bald nicht gegen die Menschen arbeiten, sondern mit ihnen. Sie wurden die ersten Beschützer der Vampirrasse, die Pentagonier. So, wie sie damals sind, gibt es sie heute noch, nämlich mich, Panos, Cyriakos, Leonidas und Dionysos. Doch knapp eintausend Jahre später sehnte der alte Vampir sich erneut nach einem Neugeborenen, dem er etwas beibringen konnte, denn wir fünf hatten selbst Schüler zu versorgen, die gezähmt und trainiert werden wollten.“

Er schwieg und drehte sich zu dem sechsten Mann um. Mit einer Handbewegung machte er ihm deutlich, nach vorn zu kommen. Langsam kam der Mann der Aufforderung nach. Er schien fast ein direkter Zwilling von Mikhael zu sein, obwohl das unmöglich war, wenn er mehr als tausend Jahre nach ihm geboren worden war.
„Unser Lehrmeister schuf David hier, aber dieser fügte sich nicht wirklich den Gesetzen, die wir erlassen hatten. Natürlich lebte er einigermaßen zivilisiert, er verscharrte die Leichen der Menschen, die er austrank, ordnungsgemäß und wurde nie auffällig, aber ihm schien das strenge Regelleben unserer Gruppe nicht zu behagen und nach und nach zog er sich aus unseren Kreisen zurück. Wir billigten das, denn keiner von uns würde einen Vampir zum Bleiben zwingen, der das nicht möchte. Dennoch behielten wir ihn im Blick, denn wir waren uns nicht sicher, ob er allein dort draußen in der Welt zurecht kommen würde.
Nun begab es sich aber vor ungefähr dreihundert achtzig Jahren, dass...“ Mikhaels Blick streifte mich und ich fauchte im Reflex. Instinktiv wusste ich, was jetzt kommen musste. Ich hatte Beth und Sophia die Geschichte meiner Verwandlung erzählt, sicher wussten auch sie, was jetzt kommen musste.

„Dass David einen Menschen nicht bloß aussaugte. Er verwandelte ihn, ob unabsichtlich oder nicht. Vielleicht war er sich nicht bewusst, was er getan hatte, doch anstatt sich seines Neugeborenen anzunehmen und ihn zu zähmen, ließ er ihn liegen, wohl in dem Glauben, er sei tot und die Verwandlung fehlgeschlagen. Wir folgten David, der sich aus dem Staub machte, fanden ihn aber nicht wieder. Zurück am Ort des Geschehens war auch der vermeintlich tote junge Mann nicht mehr anwesend. Monatelang beobachteten wir, wie er wahllos mordete. Vielleicht hatte er zuerst versucht – gegen alle Vernunft, soviel ist sicher – sein altes leben weiter zu leben. Vielleicht hatte er Frau und Kinder, ich weiß es nicht. Als...“
„Hör auf.“ ich wusste nicht, woher ich den Mut nahm, ihn überhaupt zu unterbrechen, und dennoch tat ich es. Ich hielt den Blick gesenkt, aber als ich auf sah, galt mein Blick nur David, der nicht so aussah, als hätte er Angst vor der in Wut verzerrten Fratze, die ihm entgegen starrte.

„Du bist es gewesen! Du hast mich einfach dort liegen gelassen, und mich...“ ich wollte weitersprechen, aber da war plötzlich ein Stahlband um meinen Kopf, das zugezogen wurde, bis ich meinte, mein Schädel müssen platzen wie eine Melone, die hart auf Asphalt aufschlägt. Ich ging unter dem Druck und den Schmerzen in die Knie und stöhnte auf.
„Ich wusste nicht, was ich tat.“ sagte er sanft und umkreiste mich. So viel konnte ich gerade noch sehen, bevor ich die Augen erneut zusammenkneifen musste gegen den Schmerz, der jetzt erneut wie eine Welle über mich hinweg rollte, mich stumm, blind und taub für alles um mich herum machte und mein ganzes Dasein zu beherrschen schien. Ich knurrte, was nur zur Folge hatte, dass der Schmerz noch schlimmer wurde, wenn das möglich war. Ein Fauchen, ein Schrei und der Schmerz schien mich zu verlassen. Schwer atmend hockte ich auf allen Vieren auf dem Boden. Ich zitterte und spukte Blut aus, wo ich mir im Schmerz auf die Lippe gebissen hatte. Schon spürte ich, wie sich die Wunde schloss und mich kräftige Arme hochzogen. Ich fühlte mich schwach, zittrig, wie jemand der nach langer Krankheit das erste Mal wieder das Bett verlässt. Um mich herum drehte sich alles und wären nicht Ray und Guillermo gewesen, die mich stützten, ich wäre vor ihnen allen in den Staub gefallen, schwach, unfähig noch einen Muskel zu rühren.

Genau so hatte ich mich gefühlt, nachdem David mich verwandelt hatte, nur dachte ich, nach fast vierhundert Jahren könnte ich dem Schmerz besser widerstehen. Das schien nicht der Fall zu sein.
Ich merkte, dass der Schmerz auch nur deshalb nachgelassen hatte, weil Mikhael David weggezogen hatte.
Noch immer schwer auf Guillermo gelehnt sah ich auf und atmete tief durch.
„Gut, also...“ ich wollte keine weitere Schmerzattacke riskieren, deshalb sprach ich David nicht an.
„Hat er mich verwandelt, sich fünfzehn Jahre nicht um mich gekümmert, bis ihr gekommen seid und mich gezähmt habt. Wieso habt ihr fünfzehn Jahre gewartet? Ich... ich habe hunderte, tausende von Menschen umgebracht! Ich habe nicht mal vor Kindern oder Alten Halt gemacht, ich...“ ich sank noch ein Stück zu Boden, aber Guillermo hielt mich fest. Irgendwie war es seltsam tröstlich, jemanden zu haben, gegen den man sich lehnen konnte, auch wenn ich sonst niemand war, der au vermehrten Körperkontakt stand. Doch ich wusste, sobald ich versuchtem frei zu stehen, würde ich ohnehin wieder stürzen, also blieb ich, wo ich war.

„Wir haben versucht, etwas bei David zu finden, dass äußerst wichtig ist. Ein Buch, dass er kurz vor deiner Verwandlung stahl. Aber es brachte ihm keinen Nutzen, denn er konnte nicht entziffern, was darin geschrieben stand. Er fragte uns um Rat, aber keiner von uns wusste etwas damit anzufangen. Wir glaubten, es sei nicht so wichtig, bis uns eine Spur darauf brachte, was es sein könnte. Doch als wir uns wieder aufmachten um David zu suchen, hatte er dich bereits verwandelt und war geflohen, in dem Glauben, das Buch noch immer zu besitzen. Ich weiß nicht, wann ihm aufgefallen war, dass es nicht so war. Vielleicht versuchte er sogar, dich zu finden, schaffte es aber nicht. Du warst, auch in deinem jugendlichen Leichtsinn und deiner Zerstörungswut, erstaunlich vorsichtig, was das Entdeckt werden egal von wem, anging.
Ich nehme mal an, dass du weißt, wo sich das Buch jetzt befindet?“ fragte er und sah mich an. Ich richtete mich ein Stück auf und suchte in den Innentaschen meines Jacketts nach dem Buch und fand es, noch immer sicher in seiner Plastikhülle. Nur zögerlich streckte ich die Hand aus und gab es Mikhael.

„Gut. Nun, wie du dir denken kannst, ließen wir dich nur fünfzehn Jahre in Ruhe, weil wir in dieser zeit Nachforschungen über das Buch anstellten und was David damit angestellt hatte. Wir wagten es nicht, weder ihn noch dich zu vernichten. Eigentlich hätten wir es tun müssen, ihn, weil er dich einfach liegen ließ und dich, weil du in den fünfzehn Jahren alles getan hast, wenn auch unabsichtlich, was unsere Art in Gefahr brachte, entdeckt zu werden. Wir taten es nicht, weil niemand gern etwas umbringt, in dass er zeit und Kraft investiert hat. Würdest du dein eigenes Kind umbringen?“ ich fauchte so tief, dass die Luft um uns herum zu flackern schien, aber das konnte auch von der sich dauernd ausbreitenden Hitze kommen.
„Siehst du? So ähnlich ging es uns auch. Wir berieten lang darüber, was zu tun sei. David würde seiner gerechten Strafe schon zugeführt werden, so viel war sicher. Aber du warst noch jung, lernfähig und formbar, auch in deinem Bestienmodus, in dem du dich zu befinden schienst.
Wie du weißt, nahmen wir dich bei uns auf und zähmten dich, zeigten dir ein anderes leben abseits von Töten und Grausamkeiten.“

Sein Blick wanderte zu Catherine, und ich wusste warum. „Dann trat Catherine unserem Zirkel bei und zeigte dir, was es bedeutete, sich wirklich zivilisiert zu verhalten. Und noch mehr. Ihr wart fast einhundert Jahre ein Paar.“ sagte er in einem Ton, als wollte er uns beide daran erinnern, was uns verband. Aber in meinen Augen verband uns nichts mehr miteinander.
„Und dann gingst du fort. Du sagtest zwar mir und deinen anderen Freunden im Clan Bescheid, nicht aber Catherine.“ Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. Jetzt hatte er auch sie so weit, dass sie die Zähne bleckte und mich anknurrte. Sophia stellte sich neben mich und fauchte zurück. Die Wut, die von Catherine ausging, war fast körperlich spürbar. Sie rollte in orangeroten, glühenden Wellen von ihr weg.
Ich gab mich gleichmütig.
„Vielleicht war es nicht sehr nett, was ich getan habe. Leid tut es mir trotzdem nicht. Es ist so lange her, lass doch einmal die Vergangenheit ruhe, Cathe!“ meinte ich unwirsch.
„Nebenbei darf ich dich an das erinnern, was du getan hast?“ fragte ich nach, legte den Kopf schief und kreuzte die Arme vor der Brust.

Mikhael sah zwischen uns beiden hin und her.
„Dass sie dich und Sophia verfolgt und fast getötet hätte, ist uns bekannt.“ sagte er in geschäftsmäßigem Ton. Dann wurde sein Blick plötzlich berechnend, als wisse er mehr als wir anderen. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus. Als hätte mir jemand eine Packung Eiswürfel in den Schlund geschoben. Meine Eingeweide verknoteten sich zu einem kleinen, harten Ball. Ich hatte Angst vor dem, was Mikhael als nächstes aussprechen würde.
„Was dir vielleicht nicht bekannt ist, Josef, ist die Tatsache, dass Catherine noch mehr tat, um dir zu schaden. Seelisch gesehen. Wir wissen von der Sache mit Sarah Whitley, und keiner macht dich deswegen verantwortlich. Es war nun mal ein bedauerlicher Unfall, und...“ ich hatte eine Hand gehoben, um ihn zum Schweigen zu bringen und er verstummte sofort. Dabei sah ich ihn jedoch nicht an. Mein Blick war auf Catherine gerichtet und ich zitterte vor Zorn.
„Du!“ spie ich heiser aus. „Du... du hast....“ Das Knurren, dass als nächstes aus meinem Mund kam, ließ sogar Mikhael und Lance ein ganzes Stück vor mir zurückweichen. Ich jedoch sah wie durch ein rotes Glasfenster nur noch Catherine und ihr überhebliches Grinsen.
„Padre, du erteilst mir sicherlich die Erlaubnis...?“ fragte ich an Mikhael gewandt, den Blick noch immer nicht von Catherine nehmend, die vor mir zurückwich.
Er nickte.
„Natürlich. Lass deine Wut ruhig an ihr aus.“ meinte er gütig und ich schoss vor. Catherine drehte sich um und floh, in das brennende Gebäude hinein. Und ich setzte ihr nach. Mein Denken war nur noch von einem beherrscht: Sie zu finden und in kleine Fetzen zu reißen.
Jetzt würde ich Sarahs Tod rächen, das schwor ich mir.
 
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