Meine Geschichten
  Kriegsbote
 
„Und jetzt“, tat Mick lachend kund und legte mir ein Stück weißen Stoff über die Augen, den er hinter meinem Kopf verknotete, „Entführen wir deine Liebste und du wirst hoffentlich alles tun, um sie zu finden.“
Ich spürte den Luftzug, als er mit einer Hand an meinem Gesicht vorbei wedelte.
„Okay, wie viele Finger sind das?“ fragte er und ich hörte jemanden – es klang wie Beth – kichern. „Weiß ich nicht... sieben?“ Er lachte leise und ich gestattete mir ein Grollen. Immerhin war ich es gewöhnt, mich immer und überall auf meine Sinne verlassen zu können. Doch jetzt, wo ich nichts mehr sah, war das fast so schlimm, als wäre ich blind, taub und geruchlos zugleich. Wie ich das hasste.
„Nein, es waren vier. Verlass dich mal ganz auf deinen Geruchssinn und dein Gehör, dann klappt das schon.“ Er drehte mich ein paar Mal schnell im Kreis und ich wahr froh über meinen guten Gleichgewichtssinn. „So, dann viel Spaß beim Suchen.“
Ich rollte genervt die Augen, was er durch die Augenbinde nicht sehen konnte und es gelang mir auch nicht richtig, dazu saß sie zu fest.
„Mick, ich kann sie immer noch hier riechen.“ stöhnte ich genervt. Keine Antwort kam. Ich lauschte. Da war niemand mehr. Niemand der atmete, und niemand der einen Herzschlag hatte.
Oder sie verhielten sich nur total still.
„Hallo? Mick? Das ist nicht lustig!“ rief ich und plötzlich war er doch wieder da, rechts von mir. Er packte einen meiner Arme und zog.
„Na komm,  ich bringe dich zu deiner Angebeteten.“ frotzelte er und ich ließ mich ziehen.,

„Moment mal. Was macht das denn dann für einen Sinn, wenn du mich da hin führst? Ich denke, ich muss sie suchen?“ fragte ich argwöhnisch nach. Er lachte. Zu gern hätte ich jetzt sein Gesicht gesehen. Meine Hand tastete nach dem Knoten der Binde, aber er zog sie weg.
„Nein, gelinst wird nicht, merk dir das.“ grummelte er und ich ergab mich seufzend meinem Schicksal.
„Ich bringe dich auch gar nicht zu ihr. Bloß so weit, dass du den Geruch aufnehmen kannst. Dann musst du alleine weitermachen.“ Ich ließ mich weiter von ihm ziehen. Endlos schien es zu dauern und ab und an holte ich tief Luft um wenigstens den kleinsten Hauch ihres Duftes in der Luft auszumachen.
Plötzlich ließ er mich los.
„So, ab hier musst du allein weiter, tut mir leid.“ meinte er und ich hörte ihn davon gehen, während ich blieb, wo ich war, um mich zu orientieren. Nur der Fairness halber behielt ich diese dämliche und obendrein total störende Augenbinde auf und schnupperte. Ich konnte Sophia nun mehr als deutlich riechen und folgte einfach dem Geruch, bis ich gegen etwas hartes stieß. Jemand kicherte.
„Sehr lustig.“ grummelte ich und tastete darüber. Das fühlte sich nach einer Wand aus Stein an.

Während ich weitertastete, wurde der rauhe Backstein unter meinen tastenden Händen zu Holz. Aus der anderen Richtung roch es nach Buchenholzrauch. Flammen prasselten und ich zischte leise. Aber die Wärmequelle befand sich in meinem Rücken, also drohte mir noch keine Gefahr, mich zu verbrennen. Ich drehte mich um und wich dabei instinktiv der Hitze des Feuers aus, die mir vom anderen Ende des Zimmers entgegen schlug. Wie ein Schlafwandler oder Blinder tastete ich mich durch den Raum und hielt erst an, als ich etwas weiches, mit Stoff bedecktes erfasste. Fühlte sich an wie ein Oberarm.
„Falsch. Versuch es wo anders.“ lachte Logan heiser. Aha. Das Cybergenie war also auch hier.
Wieder zog ich prüfend die Luft ein. Ein kleiner Hauch von dem Parfum, dass ich so an ihr mochte, ihr eigener Geruch und das kratzige Kitzeln von Seide und Chiffon in meiner Nase. Wieder tastete ich mich an einer Person entlang.
„Bingo, Romeo. Du darfst die Binde abnehmen.“ hörte ich Mick hinter mir sagen und dann griffen zwei Hände hinter das Band und knoteten es auf. Als die Augenbinde fiel, sah ich Sophia lächelnd vor mir stehen und beugte mich zu ihr herunter, um sie zu küssen, was einen Ausbruch von Johlen, Pfiffen und Rufen zu Folge hatte, aber es war mir egal.

Ich unterbrach den Kuss und genoss noch eine Weile ihren Geschmack auf meinen Lippen, bevor ich mich umwandte und die Einrichtung und vor allem den Raum näher in Augenschein nahm.
Das sah aus wie ein Stück Kellergewölbe mit einem Kamin. In einer Ecke standen plüschige Sessel um einen Tisch.
„Wo sind wir hier?“ fragte ich und merkte trotz des Feuers, das mein Atem in einer kleinen, weißen Wolke vor mir her wehte, genau wie bei allen anderen Anwesenden.
„Unter der Kirche. Hier hat man früher die Sünder der Kirche bestraft, so im 17. Jahrhundert.“ gab Mick Auskunft und ich nickte nur und zog Sophia näher zu mir heran.
Aus dem Nirgendwo holte Mick plötzlich eine Sektflasche hervor.
„Wir wollen aber nochmal auf das glückliche Paar anstoßen, bevor wir uns in Ruhe zusammensetzen und quatschen.“ plötzlich wurde sein Lächeln gemein. Mit dem Daumen seiner rechten Hand hielt er den Korken unten. Es war sogar noch das Siegel aus Wachs daran. Das war keineswegs ein schlechter Tropfen.

Abwehrend hob ich die Hände, weil ich mir denken konnte, was nun kam.
„Oh nein, Mick. Bitte! Du willst doch so einen edlen Tropfen nicht verschwenden, in dem du...“ Aber da hatte er schon angefangen zu schütteln.
„Jetzt wird geduscht!“ lachte er fröhlich und schüttelte die Flasche so schnell, dass man sie gar nicht mehr sah. Ich wusste, wenn er so weiter machte, wäre der Sekt entweder schal oder uns würde die Flasche um die Ohren fliegen.
„Ich denke nicht.“ kam es von der Tür und Mick ließ vor Überraschung den Korken los. Pfeifend und schäumend prallte er an der Decke ab und verging dann zischend in den Flammen des Kamins, während sich der Sekt völlig antriebslos über uns ergoss und wir alle aussahen wie nasse Hunde,
Verdattert starrten wir alle ausnahmslos zum Eingang.

Dort, im Zwielicht einer Laterne standen auf halber Höhe der Treppe drei Gestalten.
Ich atmete zischend aus und drückte Sophia hinter mich. Aus dem Augenwinkel sah ich Mick mit Beth genau so verfahren. Denn als sie durch das Licht, das vom oberen Treppenabsatz kam, gingen, sah man, wer dort gekommen war.
„Lance!“ grollte ich, während Mick im selben Augenblick entsetzt aufkeuchte. Wie ein Echo stimmte Beth mit ein, denn die Frau, die neben Lance stand, kannten wir alle.
„Coraline.“ murmelte mein Freund tonlos. Lance' Mund verzog sich zum Ansatz eines Lächelns und ich war froh, dass Treasure gerade bei ihrer Großmutter war.
„Sehr gut erkannt.“ Sein eisblaues Auge richtete sich auf mich, das andere Schwarze, blieb starr und ausdruckslos, wie tot. Mir lief unwillkürlich ein Schauer über den Rücken.
„Was willst du hier?“ fragte ich knurrend. Auch bei mir stellte sich die Verwandlung ein. Keiner von uns würde dem mächtigsten Vampir Europas gegenübertreten, waffen- und schutzlos. Ich sah, dass es Mick, Logan, Ryder und Guillermo nicht anders ging. Bei allen konnte man die Eckzähne sehen, als sie leise fauchten. Es lag eine Drohung in diesem laut, bloß nicht näher zu kommen, und doch taten die drei Vampire genau das.
Lance hatte die Hände erhoben, sein Lächeln war das eines gütigen Vaters, doch es erreichte seine Augen nicht, die kalt und hart blieben.

„Friede, meine Freunde.“ sagte er lächelnd. Was wieder mit einstimmigem Grollen beantwortet wurde. Alle kauerten sich wie auf einen unsichtbaren Befehl nieder, bereit zum Sprung. Sollte jemand eine falsche Bewegung machen, waren wir bereit. Aber sie waren es auch und das wussten wir genau.
Nur ich stand als Einziger noch aufrecht und schob Sophia unauffällig näher zu Mick, der sie an sich zog. Logan schloss die entstandene Lücke durch mein Austreten sofort wieder.
Lächelnd und die Arme ausgebreitet änderte ich mein ganzes Gebaren sofort.
„Lance! Wie schön, dass du Amerika mit deiner Anwesenheit beehrst!“ sagte ich freundlich. Innerlich stand ich unter Strom. Lance war sicherlich nicht wegen meiner Hochzeit hier. Wenn er einen Grund hatte, Europa zu verlassen, war das ein triftiger Grund. Wie das Heilmittel.
Ich schluckte. Hätte ich gekonnt, ich wäre wahrscheinlich in Schweiß ausgebrochen.
Deswegen war er hier. Ich schielte zu Mick. Er schien das gleiche zu denken wie ich, rührte sich aber nicht von der Stelle.
Lance erwiderte das Lächeln, es war nicht ganz so herzlich wie meines. Etwas verschlagenes lag darin, eine unterschwellige Drohung.
„Nun, ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden... ich bin nicht hier, weil ich dir zu deiner neuen Blutspenderin gratulieren möchte.“

Aus meiner Kehle kam ein Laut wie ein eingesperrter Bienenschwarm, der hinter mir sein Echo fand.
„Sie ist nicht mein Freshie.“ knurrte ich. Ich wollte nicht zu weit gehen, wenn er es nicht tat, aber das gerade hatte mich zu etwas verleitet, was nicht hätte passieren dürfen, und er wusste das. Er reizte mich absichtlich.
„Nun, eigentlich liegt mein Interesse in erster Linie auch nicht bei dir, sondern bei deinem Freund.“ Sein Blick wanderte zu Mick, der ebenfalls einen Schritt vortrat. Die Lücke hinter ihm schloß sich ebenso wie bei mir wieder und versperrte Lance und den anderen Beiden die Sicht auf die beiden Menschenfrauen.
„Du hast das Heilmittel gestohlen, ist es nicht so?“ fragte Lance mit emotionsloser Stimme und ich verkrampfte mich innerlich. Wenn Mick das wirklich getan hatte, hatte Lance keine andere Wahl als...
Doch Mick schüttelte einmal kurz den Kopf. Er hatte keine Angst, das sah man ihm an.
„Nein, ich stahl das Präparat nicht, jemand brachte es mir.“ Seine Stimme war deutlich vernehmbar, weil es bis auf ihn vollkommen still im Raum war. Ich sah Caroline an, die meinem Blick begegnete, dann aber die Lider mit den langen schwarzen Wimpern niederschlug und meinem Blick auswich. Hatte sie... Angst?

Lance machte noch einen Schritt auf Mick zu. Die Beiden waren etwa gleich groß, nur das Lance schwerer gebaut war als Mick und über erheblich mehr Kraft verfügte. Ich könnte nicht rechtzeitig bei ihm sein, wenn Lance beschließen sollte, Mick zu köpfen. Eine Bewegung, so schnell, das nicht mal meine Augen sie gesehen hätten und es wäre vorbei...
Vorerst aber verzog Lance den Mund nur ein bißchen weiter zu einem schiefen Lächeln, das seine Eckzähne entblößte.
„Nun, da sich das Präparat bis zu diesem Zeitpunkt in Frankreich befand, kann ich mir denken, wer es dir brachte.“ sagte er und drehte sich halb zu Caroline herum. Ein unwirsches Rucken mit dem Kopf befahl ihr, näher zu kommen. Der dritte Mann blieb stehen, wo er war und beobachtete uns genau.
„Nun, Mick, wie du verstehen kannst, war ich sehr.... enttäuscht, als ich merkte, welchen Verrat meine Schwester begangen hatte, indem sie dir das Heilmittel damals gab... ich dachte, sie hätte ihre Lektion gelernt. Scheinbar ist dem doch nicht so, sonst hätte sie es nicht schon wieder getan, nicht wahr, Schwesterherz?“ fragte er mit liebenswürdiger Stimme, aber auch ein unerfahrener Vampir als ich hätte die Drohung hinter den Worten verstanden. Die unausgesprochene Geschichte dahinter, was er mit ihr gemacht hatte...
Coraline hatte die Augen immer noch gesenkt und nahm nur zögerlich Blickkontakt mit Lance auf. Zu zögerlich für seinen Geschmack, denn er packte ihr Kinn und drückte ihren Kopf nach oben, dass sie ihm in die Augen sehen musste. Mick zischte leise, doch er wurde ignoriert.
„Ist es nicht so, Schwester?“ Coraline sagte immer noch nichts. Lance grollte, dann ließ er ihr Kinn los, um gleich darauf so hart zuzuschlagen, dass sie zu Boden ging. Mick grollte lauter, aber Lance lachte nur. Es klang so eiskalt, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.
„Das war nur ein Vorgeschmack.“ versprach er ihr, bevor er sich uns zuwandte.

„Nun, sie brachte dir das Heilmittel. Und was hast du damit getan?“ fragte er nach und verschränkte die Arme im Rücken. Mein Blick huschte unruhig zwischen Lance und Mick hin und her, glitt wieder zu Coraline, die sich langsam wieder vom Boden aufrappelte.
„Ich...“ fing Mick an, aber das konnte ich nicht zulassen. Ich konnte nicht zulassen, dass mein Freund sich opferte, dass er all die Schuld auf sich nahm...
„Er gab es mir.“ sagte ich klar vernehmbar und Lance' Blick suchte den Meinen. Ich hielt ihm stand.
Er nickte wissend und hob die Hand, damit ich nicht weitersprechen konnte. „Er gab es dir, Josef Kostan, der nie im Leben mehr ein Mensch sein wollte. Der das Leben als Vampir, als seine wahre Bestimmung ansieht.“ höhnte er.
„Und was tatest du damit?“ Sein Blick wanderte über die anwesenden Vampire und blieb bei Sophia hängen. Er lächelte wissend.
„Sag es mir nicht. Ich habe das Kind bei dieser Frau gesehen. Erstaunlich, diese Ähnlichkeit...“ Er ging in dem Gewölbe langsam auf und ab. Als er uns den Rücken zuwandte, warfen Mick und ich uns einen Blick zu.

„Ja, ich nahm es und dass du Treasure gesehen hast, sollte dir Zeugnis genug sein. Ich nehme jegliche Schuld und Strafe auf mich, solange du den anderen nichts tust.“ flüsterte ich. Plötzlich versagte meine Stimme,. Aber er hatte mich trotzdem gehört.
„Nun, wir sind nicht hier, um zu bestrafen, Josef. Nicht heute. Ein andermal vielleicht. Aber heute...“ er zögerte und sah die kahlen Steinwände an.
„Ist es richtig, dass du etwas besitzt, das mir gehört?“ fragte er vernehmbar und ich runzelte die Stirn. Die Frage brachte mich vollkommen aus dem Konzept.
„Etwas, dass dir gehört? Ich denke nicht.“ antwortete ich angespannt. Er sah mich mitleidig an. „Nun, noch gehört es nicht mir, aber ich werde dafür sorgen. Ich denke du weißt, welche Gegenstände ich meine. Den Rest sollten wir vielleicht nicht gerade hier besprechen. Mich dürstet es nach etwas Blut und sofern ich dich richtig verstanden habe, sind die beiden hübschen Damen hier nicht nur Trinkgefäße. Vielleicht sollten wir irgendwo hin gehen, wo man sich besser unterhalten kann.“ bot er an. Ich witterte die Falle schon jetzt. Aber abzulehnen wäre genau so dumm wie riskant.
Zögernd sah ich zu Mick. Er nickte leicht. Lance für einen Moment aus den Augen lassend, drehte ich mich zu Sophia und beugte mich zu ihr herunter, um in ihr Ohr flüstern und sicher gehen zu können, dass Lance mich nicht hörte.

„Es muss sein, verzeih mir. Ich bin bald wieder da, ich versprechs dir.“ murmelte ich und Lance hinter mir lachte. Während ich mich halb umwandte sah ich, dass auch Mick sich von Beth verabschiedete.
„Ich hatte mit keinem Wort erwähnt, dass ihr eure attraktiven Begleitungen zu Hause lassen dürft, glaube ich...“ meinte er und lächelte Sophia anzüglich an. Sie wurde sofort tomatenrot und ich grollte. Ihr Duft, der mir in die Nase stieg, beruhigte mich wieder etwas.
„Sie bleiben hier.“ zischte ich und stellte mich schützend vor Sophia.
„Oh bedauerlicherweise haben die beiden das nicht zu entscheiden.“ erwiderte er und sah mir in die Augen.
„Ich denke, mein Domizil in Mexico City sollte fürs Erste genügen.“ er schnippte mit den Fingern und Coraline und der fremde Vampir sammelten sich um ihn, um dann fast die Treppe hoch zu schweben. Oben blieb er stehen und sah uns verärgert an.
„Ich dachte nicht, das ihr so dumm seid. Das war eine Aufforderung, mir zu folgen, also vorwärts.“ rief er mit wütender Miene und wir sahen uns einer nach dem anderen an, bevor wir ihm folgten. Ich ging als erster die Treppe nach oben und in das helle Sonnenlicht. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie viel Zeit vergangen war.
„Gott verdammt“ dachte ich. „In was haben wir uns da nur rein geritten...?“
 
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