Meine Geschichten
  Vorbei
 
Sie sah von mir weg und wieder zurück, während ich ihr erklärte, was in den letzten Jahrzehnten, die sie nicht miterlebt hatte, passiert war. Vieles, vor allem was die Sachen der Frauen anging, konnte ich ihr nicht erklären. Wenn sie mit nach Seattle ging, sollte Sophia ihr das erklären. Sie wusste über so etwas sicher besser Bescheid als ich.
„Aber dann... Du bist ein Vampir, hast du gesagt.“ Es klang fast anklagend. Plötzlich verstand ich, wie Mick sich fühlen musste. Mit dem Gedanken zu leben, ein Monster zu sein. Jemand, der anderen immer nur Schaden zufügte. Aber anders als Mick hatte ich mich mit dem Gedanken arrangiert, hatte das beste daraus gemacht. Zumindest hatte ich das dreihundertfünfzig Jahre lang geglaubt.
„Ja, das bin ich.“ gab ich zu. Jetzt schadete ich ihr mit diesem Wissen nicht mehr.
Sie schluckte hörbar und sah mir in die Augen.
„Aber warum... bin ich dann nicht so wie du? Du hast mich gebissen und von mir getrunken, mir dein Blut zu trinken gegeben, an so viel erinnere ich mich zumindest. Warum hat es dann nicht geklappt? Ich... ich wollte für immer mit dir zusammen sein! Du hast es versprochen! Du hast geschworen, das uns dann nichts mehr trennen kann!“ Ihre Stimme war immer lauter geworden und schnitt in meine Seele und in mein herz gleichermaßen wie dünne, rasiermesserscharfe Klingen, rissen mein Herz in Stücke und ließen es bluten.
Ich zuckte wie unter Schlägen zusammen und machte mich instinktiv klein, weil das die Worte waren, die ich mir selbst immer wieder zu gebrüllt hatte, tief in meinem Innern. Weil ich wusste, das es stimmte, was sie sagte. Weil ich wusste, das ich versagt hatte.
„Sarah...“ ich war nicht mehr Herr über mich selbst, meine Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen.

Sie schlug die Hände vor den Mund und sah mich mit großen Augen an, dann nahm sie mich in den Arm. Ich versuchte, die Kontrolle wiederzuerlangen, aber ich konnte nicht mehr. Es war zu viel.
„Ich... ich wollte das nicht...“ schluchzte ich und vergrub den Kopf an ihrer Schulter. Sie tat nichts, um mich zu beruhigen, sie hielt mich einfach nur fest.
„Gott allein weiß, wie sehr ich mich die letzten Jahrzehnte verflucht habe, dass ich dir das angetan habe. Ich weiß, was ich versprochen habe, und ich weiß, es wäre besser, gegebene Versprechen zu halten, aber...“ ich schluckte und sah zu ihr auf.
„Vielleicht ist es besser, wenn du ein langes und glückliches Leben hast und es eines Tages an der zeit für dich ist, zu gehen, als das du die Ewigkeit mit mir verbringst und ihrer eines Tages überdrüssig wirst.“ sagte ich vorsichtig. Nur ich allein wusste, wie weh mir diese Worte taten, aber vielleicht sah man es mir auch an.
Sie nahm mein Gesicht vorsichtig in die Hände und sah mir in die Augen.
„Das würde ich nicht wollen. Sehen wir es doch als... misslungenen versuch und versuchen es noch einmal von neuem?“ fragte sie und neigte den Kopf zur Seite, sodass ihre Kehle ungeschützt bloßlag und ich nur noch hätte zubeißen brauchen, um...

Nein, nein, nein. So hatte ich das nicht gemeint.
Ich stieß sie fast schon grob von mir und sie sah mich verwirrt an.
„Nein!“ ich schrie das Wort fast heraus, als würde es mich ersticken, wenn ich es zu lange im Mund behielte.
„Nein.“ sagte ich dann sanfter und fuhr mir in einer hilflosen Geste durch die Haare.
„Was ist denn, wenn das wieder passiert? Wenn du wieder ins Koma fällst? Willst du in fünfzig Jahren dann wieder aufwachen und all das nochmal von vorn erleben?“ Meine Stimme zitterte und sie wollte nach mir greifen, aber ich entzog mich ihr.
„Da wäre es besser, du wärst tot.“ würgte ich hervor und wandte ihr den Rücken zu, konnte aber noch hören, wie sie entsetzt aufkeuchte. Schließlich hörte ich sie weinen. Ich wollte mich umdrehen und sie in den Arm nehmen, aber ich traute mich nicht. „Gut, dass wir das geklärt haben.“ sagte sie plötzlich kalt, aber Tränen erstickten ihre Stimme.
„Wenn du so denkst, hast du hier nichts mehr verloren.“ Ich weiß bis heute nicht, woher ich die Dummheit oder den Gleichmut nahm, einfach aufzustehen und zu gehen, aber dennoch tat ich es, mit hängenden Schultern.
Der Butler reichte mir meinen Mantel und ich stieg ohne ein Wort des Protestes hinein.
„Sie reisen schon wieder ab, Sir?“ fragte Paula hinter mir, aber ich nickte nur, den Kopf zu voll mit Gedanken, als das ich noch etwas anderes wahrgenommen hätte. Die Hände in den Manteltaschen ging ich nach draußen auf die Straße und diese herunter, irgendwo hin.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich lief. Ich achtete nicht auf den Weg. War das alles für sie nur ein Spiel? Man hatte einmal verloren, aber man konnte es ja immer noch einmal versuchen? Das wollte ich ihr nicht antun. Nicht noch einmal würde ich fünfzig, über fünfzig Jahre an ihrem Bett sitzen, wartend, hoffend, das ein Wunder geschähe. Mich selbst verfluchen für das, was ich ihr angetan hatte. Das würde ich kein zweites mal durchstehen. Sie sollte ein Mensch bleiben, an meiner Seite alt werden und irgendwann an Altersschwäche sterben. Ich würde bei ihr sein, bis zum letzten Atemzug.

Irgendwann drehte ich um, weil es sinnlos war, durch die Straßen zu wandern, außerdem hatte ich Durst. So würde ich Sarah sicher nicht begegnen. Die Gefahr, sie zu beißen und von ihr zu trinken, war zwar nicht sehr hoch, denn auch wenn ich Durst hatte, konnte ich mich noch bis zu einem bestimmten Grad beherrschen, aber ich wollte kein Risiko eingehen.
Ich war auf halber Strecke zurück zum Whitley-Anwesen, als mich ein Geruch erreichte, den ich über alles hasste: Der Geruch von Feuer.
Jedem Vampir ist dieser Geruch und alles, was damit verbunden wird, ein Graus. Feuer ist eine von vielen Arten, einen Vampir zu töten. Nimmt man noch eine genügend große Menge Silber oder das Enthaupten dazu.

Meine Nasenlöcher blähten sich, ich knurrte und sah hoch. Und stockte im Schock. Rauch quoll aus dem Dach des Whitley-Hauses, brüllende Flammenzungen leckten aus den Fenstern und ich knurrte noch lauter, sodass mich einige Passanten erschrocken anstarrten.
Mit sicher nicht mehr menschlicher Geschwindigkeit begann ich zu laufen. Ich rannte so schnell, wie ich noch nie in meinem Leben gerannt war und mir schwirrten die Worte im Kopf herum, die ich Sarah gesagt hatte, bevor wir uns trennten: „Es wäre besser, du wärst tot.“
Und ich hoffte gegen jede Vernunft, noch etwas tun zu können, und sei es,Seite an Seite mit ihr in diesem Haus zu verbrennen, das schon lange genug ihr Gefängnis gewesen war.

Vor dem Anwesen fuhren Krankenwagen, Feuerwehr und Polizei vor. Die Löscharbeiten würden zu lange dauern, um noch etwas zu retten. Aber das Haus war nicht wichtig. Häuser konnte man wieder aufbauen, ein Menschenleben nicht.
Ich traf draußen auf Paula, die mir völlig aufgelöst entgegeneilte und aussah, als fiele sie jeden Moment in Ohnmacht. Ich packte sie und hielt sie fest.
„Wo ist Miss Whitley, Paula? Wo ist Sarah?“ Sie schüttelte nur den Kopf, teilnahmslos, als ginge es sie nichts an. Ich sah zu dem Haus herüber und schluckte.
Dann fasste ich einen Entschluss und stürmte durch die Eingangstür.

Sofort schlugen mir Rauch und Hitze entgegen. Ich fühlte mich, als sei ich direkt in einen Brennofen gelaufen und hustend musste ich mir die Hand vor den Mund halten, um nicht zu ersticken. Ich versuchte, nicht zu atmen, aber es war unmöglich.
„Sarah?!“ schrie ich und schluckte einen Mund voll Asche. Hustend musste ich innehalten, während ich über Trümmerteile stieg. Gerade rechtzeitig sah ich hoch, als ein Deckenbalken herunterkam. Wäre ich nicht ausgewichen, das Ding hätte mich erschlagen.
Ich bahnte mir einen weg durch das Flammenmeer. Bei Sarah hielt ich nur an, weil ein Arm und ein Schopf roter Locken unter den Trümmern hervorlugten. Wie ein Irrer begann ich zu graben, riss mir die Hände an Holzbalken auf, die mir ihre Splitter unter die Haut trieben, aber es kümmerte mich nicht. Ich musste nur Sarah erreichen.

Ich grub sie aus. Die Holzbalken zu bewegen, war nicht das Problem. Das Feuer tobte um mich herum, hielt aber Abstand zu mir, als hätte es Respekt vor meiner Tat.
Schließlich zog ich Sarah ganz aus den Trümmern. Der Deckenbalken, der sie getroffen hatte, hatte ihr das Rückgrat gebrochen. Sekundenlang wollte ich es nicht glauben. Wie in Trance lief ich nach draußen, Sarah im Arm. Sie rührte sich nicht. Gab keinen Ton von sich, schlug nicht die Augen auf und lächelte mich an, sagte mir nicht, alles würde wieder gut. Es war wie ein Alptraum, aus dem man nicht wieder aufwachte. Nur das ich wusste, dass das kein Traum war. Das war die harte, bittere Wirklichkeit.
Draußen stürzten Rettungssanitäter auf mich zu, Angestellte, Passanten. Ich sah sie nicht. Ich sah nur Sarah. Meinen Engel.
Jemand wollte sie mir aus dem Armen nehmen, aber ich presste sie an mich, als wäre sie meine Lebensversicherung, meine Rettungsleine.

Vorsichtig legte ich sie auf dem Pflaster ab, kniete neben ihr nieder.
Du könntest sie retten. Aber wenn du das hier vor all den Leuten machst, kannst du gleich wieder in das Haus gehen und warten, bis die Flammen dich zu einem Aschehäufchen gemacht haben.
Ein Sanitäter kniete auf ihrer anderen Seite, prüfte ihren Puls, ganz kurz, und sah dann mich an. Ich stand immer noch wie versteinert.
Um zu wissen, das Sarah gerade gestorben war, musste ich kein Arzt sein. Das dumpfe Pochen, früher immer Musik in meinen Ohren, blieb aus. Da war nichts. Nur Stille. Einen Moment lang drohte die Welt über mir zusammen zu brechen. Dann drehte sie sich weiter, und ich verstand nicht wieso. Wie kann alles weitergehen wie zuvor, wenn gerade ein Mensch gestorben ist? Wie kann das Leben, mein Leben weitergehen?
Ich sank auf die Knie. Mittlerweile hatte es angefangen zu regnen, und meiner Kehle entrang sich ein unmenschlicher, tierischer Schrei.
 
  Heute waren schon 16 Besucher (21 Hits) hier!  
 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden