Meine Geschichten
  Ich sage es Beth
 
Für zwei Sekunden überlegte ich noch, ob ich nicht umdrehen und etwas An- und vor allem Verstand in ihn rein prügeln sollte, ließ es dann aber sein. Was hätte es gebracht? Wahrscheinlich wäre einer von uns beiden dabei gestorben und ich war weder scharf darauf, ihm den Hals umzudrehen noch, mir von ihm den Hals umdrehen zu lassen.

Ich ging langsam zum Aufzug und drückte den Knopf. Es summte leise und ich summte mit, weil ich gerade ohnehin nichts anders zu tun hatte. Ich war aufgekratzt und nervös. Warum tat Mick das? Warum flüchtete er gerade jetzt, wo sich alles zum Guten zu wenden schien für ihn und Beth? Die Aufzugtür schwang auf und ich trat hinein. Halb hoffte ich noch, Mick würde mir nachkommen und mich zurückhalten, aber das tat er nicht.

Fünfzig Jahre, Mick. Flüsterte ich in Gedanken. Du wirfst fünfzig Jahre Freundschaft einfach so weg. Bin ich dir denn gar nichts wert? Ist Beth dir so wenig wert, das du ihr einfach den Rücken kehrst?
Der Fahrstuhl hielt und spuckte mich auf der untersten Etage wieder aus. Nachdenklich trat ich in die kühle Nachtluft hinaus. Sollte ich bis zum Morgen warten, bis ich Beth alles erzählte? Mick war bis dahin wahrscheinlich weit, weit weg. Wenn er mir wenigstens gesagt hätte, wohin er ging. Aber das wusste er wahrscheinlich selbst nicht und je weniger Menschen und Vampire es wussten, desto besser. Für ihn. Für mich bedeutete das eine endlose Suche, die vielleicht nicht mal von Erfolg gekrönt war. Ich seufzte leise und rief mir ein Taxi zu meinem Büro. Ich würde alles mögliche tun, um Mick aufzuhalten.

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Es war schön später am Morgen, fast schon Mittag, als ich bei Beth klopfte. Zuerst hörte ich nichts, dann das Klopfen von bloßen Füßen auf Holzboden und die Tür ging auf.
„Na endlich! Ich habe schon gedacht, du würdest nie mehr...“ Dann sah sie, wer in der Tür stand und stockte.
„Oh.“
Ich lächelte und stieß mich vom Türrahmen ab, an dem ich gelehnt hatte.
„Hallo Beth. Freut mich auch wahnsinnig, dich zu sehen.“ Sie trug noch ihr Nachthemd und lächelte mich peinlich berührt an.
„H-hallo, Josef.“ stotterte sie. Sie sah aus, als könnte sie nicht glauben, wer vor ihr stand. Sie machte die Tür noch ein Stück weiter auf und ließ mich rein.

„Ich zieh mir nur schnell was an.“ rief sie mir zu und flitzte ins Schlafzimmer. Während sie zwischen Bad und Schlafzimmer hin und her huschte, warf sie mir merkwürdige Blicke zu. Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch.
„Willst du was essen?“ fragte sie und schien total vergessen zu haben, wer und vor allem was ich war.
Ich lachte und entblößte eine Reihe weißer Zähne. „War das ein Angebot? Ich weiß ja nicht, was Mick dazu sagen würde...“
Sie kam in T-Shirt und Jeans wieder ins Wohnzimmer und bürstete ihre Haare.

„Nein, ich glaube auch, das er das nicht so toll fände... wo ist er eigentlich? Wir waren für zwölf Uhr verabredet und als du gerade kamst, habe ich gedacht...“
„Dass er in der Tür steht? Nein, tut mir Leid, Beth.“ Ich rieb nervös meine Hände aneinander und sie ging vor mir in die Hocke, um mir ins Gesicht sehen zu können.
„Ist ihm was passiert? Bist du deswegen hier, Josef? Weil er verletzt ist oder verschwunden oder...“ ich hielt ihr sanft, aber bestimmt den Mund zu.
„Nein, ihm ist nichts passiert. Jedenfalls nicht so, wie du das meinst.“ Sie sah mich aus großen, ängstlichen Augen an und einmal mehr verfluchte ich Mick, weil er sie alleine ließ und ich verfluchte mich, weil ich derjenige war, der ihr solchen Kummer bereiten musste.

Sie setzte sich neben mich auf die Couch und band sich ein Gummi ins Haar.
„Was ist passiert?“ fragte sie leise und nahm meine Hände in ihre. Zwei Sekunden hielt ich das aus, dann machte ich mich los und ging zum Fenster.
Ich atmete tief durch. Es musste kurz und schmerzlos sein.
„Er ist weg.“ Ich hörte das Schaben von Stoff auf Leder. Sie rutschte ebenso unruhig auf dem armen Polstermöbel herum wie Mick.
„Wie meinst du das, „er ist weg“?“ fragte sie leise und so, als traue sie ihrer eigenen Stimme nicht mehr.  Ich konnte von meinem Platz am Fenster das Zittern in ihrer Stimme hören.
„Er hätte es dir selbst sagen sollen, Beth. Das weiß ich. Ich war gestern Abend bei ihm und er hat seine Siebensachen gepackt und ist verschwunden. Ich weiß nicht, wohin oder für wie lange.“
Sie schluckte und ich drehte mich wieder zu ihr um. Gedankenverloren starrte sie an die Wand. Ich konnte sehen, wie ihre Unterlippe zitterte und wie sich Tränen in ihren Augen sammelten.

„Warum?“ hätte ich nicht mein gutes Vampirgehör gehabt, ich hätte die Frage wahrscheinlich nicht verstanden.
Ich biss mir auf die Lippe und schwieg. Endlich drehte sie den Oberkörper zu mir und jetzt sah man deutlich, das sie weinte. Sie versuchte, es zurück zu halten, aber das schaffte sie nicht. Stumm liefen die Tränen ihre Wangen hinab.
„Warum, Josef?“ fragte sie wieder, diesmal lauter.
Ich schloss für zwei Sekunden die Augen. Nur nicht rührselig werden, mahnte ich mich selbst.
„Beth, du weißt doch, wie Mick ist. Er ist der noble kleine Held, der sich lieber köpfen lasen würde, als das dir etwas passiert.“ Ich sah den erschreckten Ausdruck in ihren Augen und hob beschwichtigend die Hand.
„Er hat sich nicht köpfen lassen, okay? Lass mich ausreden.“ sie nickte stumm und starrte auf ihre Schuhe.
„Er ist nur der Meinung – und das ist die Meinung seines kranken kleinen Hirns, nicht meine – das er eine zu große Gefahr für dich ist und es besser wäre, wenn du dir einen menschlichen Freund suchst. Es ist ja nicht so, als ob er dich nicht lieben würde, oder so, aber...“ Ich zog eine Packung Taschentücher aus meinem Sakko und warf es ihr in den Schoß. Sie nickte mir dankbar zu, den Blick immer noch abgewandt. Ein Taschentuch zog sie aus der Packung und putzte sich die Nase, ein weiteres entfernte die zweifellos gerade erst aufgetragene Wimperntusche von ihren Augen, wo sie schwarze Streifen hinterlassen hatten.

Als sie endlich sprach, hatte sie Schluckauf und ihre Stimme klang rau.
„Das ist doch immer das selbe Argument. Es ist zu gefährlich für dich, Beth. Ich bin ein Monster, Beth. Ich habe Menschen getötet, Beth! Mir ist klar, das er vielleicht irgendwann die Beherrschung verlieren könnte, aber... ich meine, ich habe keine Angst vor ihm oder so, es ist einfach nur...“ sie hickste und putzte sich erneut die Nase mit einem frischen Taschentuch.
„Ich meine,“, wandte sie sich jetzt an mich, „du hattest auch menschliche Freundinnen, oder? Und... du hast keine davon getötet, oder?“ fragte sie und sah mich an. Etwas flehendes lag in ihrem Blick, dem man sich nicht entziehen konnte.
Ich dachte eine Weile nach.
„Nein, getötet nicht, aber du weißt genau, was mit Sarah...“ ich seufzte. Wieso war es immer das Thema, das aufkommen musste? Ich ging in die Küche und kochte ihr Tee, den ich ihr ins Wohnzimmer brachte. Sie dankte mir mit einem Blick und schloss die Hände um die Tasse.

„Warum hat er denn solche Angst? Selbst wenn er mich beißen würde... das hat er schon mal getan, das ist nichts, wovor ich Angst habe. Und wenn es darum geht, das er Angst hat, er könnte es übertreiben, dann...“ ich schüttelte den Kopf. „Mach dir nichts vor, Beth. Du hast sehr wohl Angst davor, was passiert, wenn er wirklich mal zu weit geht. Und glaubst du, Mick könnte sich selbst noch in die Augen sehen, wenn er dich umgebracht hat? Du kennst ihn doch. Er nimmt immer das Schlimmste an und tut dann alles, damit das nicht eintritt.“ Sie trank einen zögerlichen Schluck aus der Tasse. Plötzlich trat etwas entschlossenes in ihren Blick, als sie mich ansah.
„Du weißt wirklich nicht, wo er hin ist?“ fragte sie drängend. Ich schüttelte nur den Kopf.

„Wenn ich es wüste, würde ich es dir verschwiegen?“ ja, dachte ich, das würde ich. Weil es nichts bringt, wenn du ihm nach reist.
Ihre Augen waren kalt, als sie sich in meine bohrten.
„Ja, das würdest du, wenn er dir gesagt hätte, du solltest es mir verschweigen.“ sagte sie und nahm noch einen Schluck Tee.
„Nein, selbst dann würde ich es dir sagen. Glaubst du, ich könnte keine eigenen Entscheidungen fällen? Wenn ich wüsste, das es besser wäre, wenn du wüsstest, wo er ist, würde ich mich ganz sicher nicht nach dem richten, was Mick sagt. Aber er hat mir nicht gesagt, wo er hin wollte. Vielleicht weiß er es selbst nicht. Er ist ziemlich überstürzt aufgebrochen gestern Abend.“
Sie trank ihre Tasse aus und stellte sie vor sich auf den Tisch.
Zögerlich und Hoffnungsvoll ah sie mich an.
„Gibt es nicht vielleicht eine Möglichkeit, herauszubekommen, wo er ist? Wir könnten Logan oder Ryder fragen, ob...“ ich unterbrach sie unwirsch.

„Es ist nicht so, das er einen Peilsender implantiert hat oder ein Halsband auf dem steht: „ich bin verloren gegangen, bitte bringt mich zu meiner Freundin zurück“, Beth! Um ihn irgendwo zu finden, muss er sich in  einer Stadt registrieren. Wahrscheinlich wird er das unter falschem Namen tun, damit wir ihm nicht auf die Schliche kommen.“
Sie sank wieder in sich zusammen.
„Dann gibt es keine Möglichkeit, ihn zu finden? Du... du könntest doch seine Spur aufnehmen, oder?“ fragte sie und wurde rot, als ich die Zähne bleckte.

„Beth, mal ganz unter uns. Sehe ich für dich aus wie ein Spürhund? Ich kann versuchen, ihn von seiner Wohnung aus zu verfolgen, aber die Spur ist schon seit ein paar Stunden kalt, könnte ich mir vorstellen. Da werde selbst ich nicht mehr viel riechen. Nein. Entweder, er kommt selbst zurück, oder er tut es nicht.“ fügte ich hinzu. Es klang unbeteiligt und kalt, und das sollte es auch. Beth sah mich mit großen, geschockten Augen an wie ein Kind.
„Du willst gar nicht, das er wiederkommt, oder?“ fragte sie leise und schluckte. Ich wandte den Blick ab und ging unruhig hin und her.
„Nein. Das will ich nicht.“ sagte ich noch leiser als sie.
„Aber warum, Josef? Ich verstehe das nicht. Du... du musst das doch auch... ich meine, es muss dir doch auch schwer fallen, zu akzeptieren, dass er...“

„Natürlich tut es das! Aber das war seine Entscheidung, Beth! Ich hinderte ihn nicht daran, weil ich wusste, das er auf seine Weise das richtige tut!“ sagte ich und funkelte sie wütend an. Sie stand langsam auf und sah mich an, wies zur Tür. Während ich nach draußen ging, drehte ich mich noch einmal zu ihr um.
„Wenn du ihn findet, er dich anruft oder er wieder her kommen sollte, aus welchen Gründen auch immer... sag ihm...“ sie stockte und holte dann tief und wütend Luft, „sag ihm, ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sag ihm, meinetwegen kann er bleiben, wo der Pfeffer wächst. Sag ihm das genau so, hörst du?“ fragte sie, wartete aber eine Antwort ab, sondern knallte mir die Tür vor der Nase zu.
Du weißt, das du dich gerade selbst belügst, Beth?
Dachte ich traurig, während ich mich von der Tür abwandte und davonging.
Natürlich willst du ihn wiedersehen. Nur noch nicht jetzt.
 
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