Meine Geschichten
  Gefangen
 
Ich spürte, wie man mir den Holzpflock aus dem Körper zog und die Starre nachließ. Bevor ich mich meinem Angreifer entgegen werfen konnte, zog man mir blitzschnell den Sack vom Kopf und der Kerl, der vor mir stand, sprang außer Reichweite meiner Reißzähne. Ich zog die Oberlippe zurück und knurrte tief und durchdringend, aber da wurde die Gittertür schon zu geworfen. Ich wollte nach vorn schnellen, die Tür aus ihren Angeln und den Typen ihre Kehlen herausreißen, aber ich kam nicht dazu. Metall rasselte, dann kam ich nicht mehr vorwärts, zwei Meter von der Tür entfernt. Da hörte der Spielraum der Ketten auf, mit denen man mich an die modrige Steinwand gekettet hatte.
Ich knurrte immer noch. Wieso hatte man mich gefangen genommen? Wieso hatte man mich mit ketten gefesselt in ein modriges kleines Verlies gesperrt, wogegen die Kerkerzellen des Mittelalters Paläste waren?

Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Es ergab einfach keinen Sinn. Wem hatte ich etwas getan, dass man mich einsperrte? Hatte vielleicht der Typ im Wald mit ihnen etwas zu schaffen? Nein, das konnte nicht sein. Sie jagten gezielt Vampire. Da würden sie nicht mit einem von uns zusammenarbeiten, und wenn er noch so durchtrieben und rachsüchtig war.
Aber wenn sie uns jagten, dann sicherlich nicht, um mit uns Poker zu spielen. Und dass ich noch nicht tot war, musste auch einen Grund haben. War das hier vielleicht so etwas wie eine moderne Gladiatorenarena? Man fing uns ein und ließ sich uns zur Belustigung einiger Eingeweihter zerfleischen? Darüber nachzudenken war müßig. Ich versuchte mit einer Kraftanstrengung, die Ketten zu sprengen, aber sie waren zu stark. Oder war ich einfach nur zu schwach? Ich setzte mich auf die Pritsche, die an der Wand angebracht war. Sie war splittrig und morsch. Ich ließ mich sehr behutsam darauf nieder, aus Angst, sie könnte unter meinem Gewicht brechen.
Dann beschäftigte ich mich wieder mit den ketten. Sie waren schwergliedrig und stahlhart. Nur, dass das kein Stahl war, wie ich bei näherem Hinsehen feststellte. Das war reines, massives Silber. Tödliches Gift für jeden Vampir. War das am Ende gar der Plan? Uns langsam zu vergiften? Es qualvoll zu machen und später unsere Leichen zu verbrennen? Nein, so wollte ich nicht sterben.

Wieder begehrte ich gegen die Fesseln auf, riss, zog, wand mich. Zum Schluss knurrte ich die verfluchten Dinger sogar an, weil ich keinen anderen Weg sah, meiner Wut und Hilflosigkeit anders Luft zu machen. Rechts von mir raschelten ebenfalls Ketten. Da saß noch jemand auf einer anderen Pritsche. Wir waren nur durch Gitterstäbe getrennt, aber ich bezweifelte, dass meine Ketten so weit reichen würden.
„Lass es besser sein.“ sprach der Vampir mit müder Stimme. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, weil er im Schatten saß, aber das Bein, das ins Licht ragte, gab den Blick frei auf eine dreckige, zerrissene Hose. Ketten rasselten, als der Vampir aufstand und ich sein Gesicht sehen konnte. Er kam zu mir ans Gitter und ich ging zu ihm.
„Du bist schon länger hier, oder?“ fragte ich und kniete mich vor den Gitterstäben hin. Der Blick in seine Augen sagte mir alles. Er wirkte abgestumpft, leer. So als habe er das Schlimmste gesehen und erfahren. Und so als hätte er sich damit abgefunden. Er nickte schwach. „Ich bin seit zwei Monaten hier. Anscheinend“, er lachte rau „habe ich ihnen noch nicht die Informationen geliefert, die sie brauchen. Ich hab nichts gesagt, so oft sie mich gefragt haben. Wenn sie dich fragen, darfst du nichts sagen, verstanden? Nicht ein Wort!“ bei den letzten Worten packte er meine Handgelenke mit überraschender Kraft. Das Silber hatte ihm mehr zugesetzt als mir. Seine Augen waren durchdringend gelb und von roten Äderchen durchzogen. Als ich seine Gestalt weiter betrachtete, fielen mir Narben auf, Brandmale und Striemen, die auch von einer Peitsche kommen konnten.

„Was... was machen die hier mit uns?“ fragte ich mit schreckgeweiteten Augen und er grinste. Endlich ließ er meine Handgelenke los, seine Haut war ungewöhnlich heiß. Silberfieber.
„Wie heißt du, Bursche?“ fragte er mich und studierte mein Gesicht.
„Josef.“ flüsterte ich. Ich ließ mich normalerweise nicht leicht von etwas beeindrucken, aber das... setzte mir doch zu, mehr als ich zugeben wollte.
„John.“ stellte er sich vor und ich nickte, die Zungenspitze zwischen den Lippen.
„Was machen die hier mit uns? Das“, ich zeigte auf seinen Körper, „ist doch nicht normal!“ er hatte den Blick abgewandt und lauschte den Gang herunter.
„Ich denke, das darfst du jetzt selbst herausfinden.“ sagte er, aber es klang nicht höhnisch oder spöttisch, eher ernsthaft besorgt. Er trat vom Gitter zurück und verschwand in den Schatten.
„Denk daran: Kein Wort! Egal, wie sehr sie dich foltern, sag ihnen nichts!“ kam es aus der Dunkelheit, dann klickte das Schloss meiner Zellentür und drei Männer kamen herein, ausgerüstet mit Holzpflöcken.
Ich wandte mich um. Meinem Schicksal, meinem Tod wollte ich aufrecht gegenüber treten. Einer von ihnen trat vorsichtig näher. Gerade so weit kam er an mich heran, dass er mir die Fesseln lösen konnte, dann sprang er zurück. Als ich ihm nachsetzen wollte, streckte mich ein Faustschlag zu Boden. Als nächstes folgte der Holzpflock in mein herz und ich wurde starr.

*

Sophia lief unruhig in ihrer Wohnung auf und ab. Wieso meldete er sich nicht? Es war schon weit nach Mitternacht. Natürlich erwartete sie nicht, ihn immer überall erreichen zu können, aber Sorgen machte sie sich doch. Ihre Mutter stand im Türrahmen. „Geh ins Bett, kleines. Er ist doch ein erwachsener Mann, der auch mal länger wegbleiben kann, wenn er das möchte.“ sagte sie aber Sophia hörte sie nicht.
Eigentlich hat sie ja Recht. Josef kann mehr als gut genug auf sich selbst aufpassen. Aber wenn ihm nun doch etwas passiert ist? Wenn Catherine...
Sie hastete zum Telefon und wählte Josefs Festnetzanschluss.
Tuuut, tuuuut, tuuuut... endlich....! Die Mailbox.
Hallo. Dies ist der Anschluss von Josef Kostan. Leider haben Sie mich gerade nicht zu Hause erreicht. Bitte versuchen Sie es doch zu einem späteren Zeitpunkt erneut oder hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton.
Sophia musste sich zurückhalten, damit die Tränen, die in ihren Augen brannten, nicht überliefen.
Meeeeeep.
„Josef? Wo bist du, bitte melde dich! Ich mache mir Sorgen! Sophia.“ dann legte sie auf. Sie wusste, es würde nichts bringen, aber sie rief auch noch auf seinem Handy an.
Nichts. Nicht mal ein Freizeichen. Die Leitung war tot. Vielleicht....
In ihrer Hast verwählte sie sich zwei Mal, bis sie die richtige Nummer gefunden hatte.
„Mick? Oh Gott sei Dank! Josef ist nicht nach Hause gekommen, ans Telefon geht er auch nicht und ich weiß einfach nicht...“ jetzt konnte sie nicht mehr verhindern, dass ein Schluchzen ihre Kehle hochstieg und über ihre Lippen brach.
„Ich dachte vielleicht du wüsstest, wo er ist. Ist er bei dir? Habt ihr... nicht. Okay. Weißt du, ob er noch irgendwo hin wollte?“ fragte sie leise. „Ja, mach das. Ich warte auf dich. Bis gleich.“ dann legte sie auf und konnte nicht anders, sie sank weinend am Boden zusammen. Josef, wo steckst du nur?

*

Ich wachte erst wieder auf, als mir jemand den Pflock aus dem Herzen zog.
Ruckartig wollte ich hochschießen, aber starke Lederbänder verhinderten es, nur mehr als meinen Kopf zu heben. Menschen waren bei mir, das roch ich, auch wenn ich sie nicht sehen konnte. Eine grelle Lampe schien auf mich herab und plötzlich waren da doch Gesichter, die sich über mich beugten.
„Er ist noch in einem sehr guten Zustand.“ sagte einer. Seine Stimme war gedämpft durch den Mundschutz, den er trug. Etwas zischte, aber der Mann hob die Hand.
Mit einem kleinen Metallstäbchen schob er mir die Oberlippe nach oben. Ich hatte nie zum Zahnarzt gemusst, aber jetzt fühlte ich, wie es sein konnte. Ich zog die Lippe von allein noch etwas weiter nach oben, krauste die Nase und fauchte schrill. Ich kämpfte mit aller kraft gegen die Fesseln an, aber ich hatte keine Chance.
„Ah. Vielleicht fangen wir damit an, seinen widerstand zu brechen, bevor wir ihn fragen.“ sagte einer von ihnen, und wieder zischte etwas. Ich verrenkte mir den Hals um neben mich schauen zu können, wo ein Gasbrenner stand. Jemand hielt einen Eisenstab hinein, bis dieser kirschenrot glühte.

Instinktiv wusste ich, was jetzt geschehen musste, aber wehren konnte ich mich nicht. Die Fesseln verhinderten jegliches Ausbrechen und als das glühende Metall meinen Arm berührte, war ich nicht mehr Herr über mich selbst. Ich schrie, wie ich noch nie zuvor geschrien hatte. Der Schmerz war einfach unbeschreiblich. Auch wenn die Wunde schnell heilte, war dort ein schmerzhaftes Stechen, wie von glühenden Sonnenstrahlen, dass sich vom Arm bis in mein herz zog und dort verschwand. Ich hatte die Zähne zusammengebissen. Die Fangzähne sah man deutlich als ich damit um mich biss. Jedes Mal gab es ein lautes, klackendes Geräusch, aber ich schnappte nur dünne Luft, kein festes Fleisch, wie ich zuerst gehofft hatte.
Es gab ein lautes, klatschendes Geräusch, als mich eine Hand im Gesicht traf und ich knurrte schon wieder. In dem Moment gaben die Lederfesseln nach, aber bevor ich mich hoch stemmen konnte, drehten mich starke Hände auf den Bauch.
Etwas zischte, dann war dort glühender Schmerz in meinem Rücken.
„Also, willst du uns nicht doch etwas sagen? Das muss weh tun. Es wäre sicher besser für dich, wenn du uns sagst, wo die anderen sind, umso schneller lassen wir dich in Ruhe.“
Ich grollte tief und fletschte die Zähne.
„Nur über meine Asche!“ knurrte ich und der Mann lächelte.
„Das lässt sich einrichten.“ wieder zischte es. Die Lederbänder gaben einfach nicht nach, so sehr ich mich im Schmerz auch aufbäumte. Irgendwann biss ich nur noch die Zähne zusammen, bis meine Kiefermuskeln hervortraten, um nicht bei jeder Schmerzwelle erneut zu schreien, aber kein Wort kam über meine Lippen.

Nach einer Weile gaben sie auf. Ich merkte es schon gar nicht mehr. Zu sehr war ich in Trance gefangen, als sie mich los schnallten und hochhoben. Die Fetzen meines Hemdes bedeckten notdürftig meine Wunden, aber der Schmerz hörte nicht auf. Er zog sich vom Steißbein den ganzen Rücken hoch bis in meinen Kopf. Tränen der Wut standen in meinen Augen, die zu Tränen des Schmerzes wurden, als sie mich wie einen Sack Mehl in die Zelle fallen ließen und ich mit meinem geschundenen Rücken zuerst am Boden aufkam. Mühsam unterdrückte ich ein Stöhnen und richtete mich zitternd auf. Meine Hände und Füße trugen mich bis an das Gitter zu John, dann brach ich zusammen. Ich zitterte, aber weder vor Kälte noch, weil ich weinte, einfach aus schier unbändigem Hass auf meine Peiniger.
Seine Hände griffen kühl durch die Gitterstäbe und strichen durch mein Haar. Ich sah ihn nicht an.
„Jetzt weißt du, was sie mit dir machen. Und das werden sie jeden Tag tun, damit sie Antworten bekommen.“ ich schluckte. Noch immer zitterte ich, aber der Schmerz ebbte langsam ab, schrumpfte zusammen.
„Sie wollten wissen, wo noch mehr von uns sind. Die … anderen Vampire.“ presste ich mühsam hervor. Ich war heiser von den Schreien. Meine Kehle fühlte sich an als müsse sie reißen.
Er nickte mitfühlend.
„Ich habs... ihnen nicht... gesagt...“ murmelte ich erschöpft und lehnte den Kopf gegen die kühlen Gitterstäbe. Wieder nickte er. Dann zog er sich zurück, weil meine Zellentür wieder aufging.
Ich fuhr herum.
Doch dort standen meine Peiniger, zusammen mit einer jungen Frau. Sie kam mir gerade so nahe, dass ich ihren Geruch aufnehmen konnte. B-Positiv, dachte ich leise, da ging sie auch schon nach draußen und die Tür schloss sich. Wohl streckte sie mir aber einen ihrer Unterarme durch die Gitterstäbe.
„Komm. Du musst doch durstig sein nach dem verhör.“ säuselte sie. Verhör nannte sie das also, ahoi.
Trotzdem ging ich friedlich zu ihr und nahm ihre Hand. Der Vampir in mir übernahm die Kontrolle. Ich war ausgehungert. Ich musste...
Schon hatte ich meine Zähne in ihre Ader gerammt und fing gierig an zu saugen. Viel zu schnell und viel zu früh rissen sie mir den Arm unter den Fängen weg und ich leckte mir das Blut von den Lippen. Meine Wunden heilten wieder, der Schmerz verschwand.
„Bis morgen, du Bastard!“ zischte einer der Kerle und sie verschwanden zusammen mit dem Freshie.

Ich ging zurück zu John ans Gitter. Er nickte lächelnd, als er sah, dass es mir viel besser ging als noch vorhin.
„Denke nicht, dass das ein Akt der Gnade war. So halten sie uns frisch, damit wir die „Verhöre“ überstehen. Morgen geht das alles von vorne los und dann wirst du dir wünschen, man hätte dich schon lange in Stücke gerissen und verbrannt. Niemand wird uns hier raus holen.“ sagte er müde und drehte sich weg.
„Doch“, sagte ich bestimmt. „Meine Freunde kommen und bringen uns hier raus! Ich weiß nur noch nicht wann.“ gab ich kleinlaut zu und setzte mich auf meine Pritsche.
Gott, Mick, Sophia, irgendwer, beeilt euch...
 
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