Meine Geschichten
  Jagd nach Ellisville
 
Ich schwang mich durchs Fenster herein und hockte kurz darauf auf dem Boden, auf dem noch immer das Blut klebte. Ich roch. Es roch stark nach Sophia und Catherine, aber da war noch ein anderer Geruch, von dem Blut. Ich prüfte die Luft genauer. Das Blut war nicht von Sophia, nur ihr Geruch, der in der ganzen Wohnung klebte, hatte mich abgelenkt und mich glauben lassen, das es ihr Blut war, das man hier vergossen hatte.
Ich sah zurück zu dem offenen Fenster. Offensichtlich hatte Catherine Sophia mitgenommen. Aber wozu? Mir erschloss sich der Sinn dieser Tat noch nicht ganz. Von draußen war die Spur nicht ganz so leicht zu verfolgen, aber ich gab mir alle erdenkliche Mühe. Ich musste Sophia finden, wenn es noch nicht zu spät war. Nein, dachte ich glich darauf, das hätte Catherine anders gelöst. Sie hätte die Leiche dann in der Wohnung zurück gelassen, damit ich sie finden konnte.

Warum aber lief ich jetzt bei Nacht quer durch Seattle, um eine Frau zu befreien, die ich seit gerade mal einer Stunde kannte? Von der ich praktisch nichts wusste und die mir eigentlich egal sein konnte? Aber sie war mir nicht egal. Warum? Warum nahm ich Anteil am Schicksal einer völlig Fremden?
Ich war der Spur bis zu einem kleinen Park gefolgt. Im Gras kauerte ich am Boden und knurrte mit gebleckten Zähnen. Meine Nasenlöcher waren bloß flache Schlitze, bis ich erneut witterte und sie blähte. Es roch stark nach Sophia, also war sie hier gewesen, wenn auch nur Kurz. Ich konnte den Angstschweiß in der Luft riechen und das Blut. Catherine roch ich und wieder war da dieser Duft, der mir schon in der Wohnung aufgefallen war und den ich einfach nicht einordnen konnte, weil er mir völlig Fremd war. Ich roch bloß, das die Person eine Frau sein musste, noch dazu ein Mensch.
Vorsichtig folgte ich dem Geruch, immer auf einen Hinterhalt gefasst, aber niemand griff mich an.
Weil Catherine mit Sophia längst weg ist und du hier zum opfer einer perversen Schnitzeljagd geworden bist. Schoss es mir in den Kopf, aber ich folgte dem Geruch weiter bis zu einer alten eiche, wo zwei abgetrennte Finger wie ein Wegweiser am Boden lagen. Einen davon hob ich hoch, roch daran und musste ihn sofort würgend wieder fallen lassen.
Sophia! Dachte ich panisch und knurrte noch lauter. Die Duftspur führte fort von dem Baum, und ich wandte mich in die Richtung, die mir die abgetrennten Finger wiesen.

Ich merkte nicht, das Mick meine Warnung in den Wind geschlagen hatte und mir gefolgt war, lautlos, wie nur ein Vampir es kann. Aber er  folgte mir nicht nur, er sorgte auch dafür, das niemand die Leichenteile finden würde, denn er verbrannte hinter mir jedes einzelne Stück, das er fand und folgte mir mit so viel Abstand, dass ich ihn nicht bemerkte.

Ich folgte dem Geruch so lange, bis mein Geruchssinn streikte und sah mich um. Ich stand praktisch vor dem Wahrzeichen Seattles, der Space Needle. Von hier aus führte die Duftspur fast senkrecht in den Himmel und ich fluchte unterdrückt.
Oh bitte sag mir nicht, das sie das getan hat... flüsterte ich in Gedanken, aber es blieb kein Zweifel: Catherine musste Sophia die Space Needle nach oben gezerrt haben. Ich seufzte leise. Einem Vampir machte man das leben nicht gerade leichter, indem man ihn zu Kletterpartien in mörderischen Höhen verführte. Hier unten ging kein Lüftchen, aber ich wusste, weiter oben würde der Wind mörderisch sein.
Und doch hatte ich keine andere Wahl. Von hier unten ließ sich die Spur nicht weiter verfolgen, also musste ich dort hinauf, ob ich wollte oder nicht.
Aus dem Stand sprang ich ein paar Meter an der Space Needle nach oben und fing an zu klettern. Schon jetzt brauchte ich meine ganze kraft, um mich nicht von heftigen Windböen in die Tiefe reißen zu lassen, denn ich wusste, wenn ich aus dieser Höhe, in der die Autos unter mir nur noch Leuchtpunkte waren, stürzen würde, würde es schmerzhaft, wenn nicht gar tödlich enden.
Also bot ich meine ganze Willensanstrengung auf und kletterte Stück für Stück, bis ich oben angekommen war. Die Plattform war rutschig von Eis und ich sah sofort die abgerissene Hand, die wie eine Trophäe auf dem Blitzableiter steckte und bereits Eis ansetzte. Die mir bekannten Gerüche – Sophia, Catherine und die fremde und wahrscheinlich tote Frau – nahm ich auch hier wahr und folgte ihnen die Space Needle wieder herunter und folgte dem Geruch von da aus.

Es war eine ganze Weile vergangen, als ich am nächsten Zielort ankam, der Lake Washington Bridge. Wieder überließ ich mich ganz meinem Geruchssinn. Hier roch es stärker nach Sophia als irgendwo anders, wo ich vorher nach ihr gesucht hatte. Und bald wusste ich auch warum. Blut bedeckte in Spritzern den Betonboden und auch die Seite der Brücke. Sophia musste hier verletzt worden sein. Oder war Catherine am Ende so weit gegangen, Sophia in den Lake Washington zu stoßen? Bei ihr konnte ich mir das alles noch vorstellen. Ich fand auch den rechten Unterarm der Leiche in einem Mülleimer, aber ich ließ ihn dort,wo er war. Mit so etwas wollte ich mich nicht aufhalten.

Am Brückengeländer zog ich mein Jackett aus und zögerte. Sollte ich wirklich hier in das eiskalte Wasser springen? Je länger ich überlegte, was zu tun sei und was nicht, desto weiter konnte Catherine mit Sophia gekommen sein. Und wenn ich mir noch länger zeit ließ, würde Catherine vielleicht auf dem Gedanken kommen, Sophia wäre es nicht wert, dass ich nach ihr suchte und würde sie kurzerhand umbringen. Ich stellte mich auf das Brückengeländer und wartete ab. Hier sah mich niemand, die Trucks, die alle zwei Sekunden an mir vorbei donnerten, würden jedes Geräusch schlucken und wen interessierte es heute noch, wenn sich irgend ein verrückter von einer Brücke stürzte?

Ich wagte es und sprang. Das Wasser war angenehm kühl und ich tauchte und schwamm. Als ich auftauchte und die Spur weiter verfolgen wollte, stockte ich. Denn da gab es nichts mehr zu verfolgen. Die Spur war wie ausradiert. Fast schon panisch schwamm ich in schnellen Zügen ans andere Ufer und nahm von dort aus die Spur wieder auf. Sie führte mich ostwärts.

Es dauerte länger als gedacht, um zu meinem Ziel zu kommen, zumindest betete ich, das es das Ziel war, denn ich glaubte nicht daran, das Sophia noch viel mehr durchstand.
Und gerade deswegen musste ich mich beeilen. Ich rannte, wie ich noch nie in meinem leben hatte rennen müssen und erreichte nach einigen Minuten ein kleines Häuschen in Ellisville. Für einen Weg, für den Man mit dem Auto Stunden gebraucht hätte, brauchte ich nur ein paar Minuten.

Geschmeidig kam ich auf dem Dachfirst auf und sah mich wachsam um. Ich würde nicht so kurz vor dem Ziel in eine von Catherine gestellte Falle tappen, das hatte ich mir geschworen.
Vorsichtig kletterte ich durch das offene Dachfenster i das schäbige Häuschen. Hier war vor kurzem jemand umgebracht worden, und ich hoffte, das es nicht Sophia war.
„Hallo? Sophia?“ rief ich leise, aber doch laut genug, um gehört zu werden. Das Fenster hatte mit Sicherheit für mich offen gestanden, also musste Catherine hier auf mich warten, um es zu Ende zu bringen. Oder vielleicht, um mich mit ansehen zu lassen, wie Sophia starb. Was mir die Frage entlockte, warum ich eigentlich Anteil nahm an dem Schicksal dieser Frau. Ich kannte sie kaum und jagte ihr durch halb Seattle hinterher, um sie zu befreien.
Aus einer Ecke des Zimmers stürzte sie auf mich zu und warf sich mir um den Hals. „Oh Gott, ich bin so froh, dass du hier bist... ich dachte schon...“
„Ja, ich bin auch froh, das du hier bist, Josef.“ kam eine Stimme hinter Sophia und Catherine riss sie so grob von mir herunter, das sie in eine Ecke des kleinen, dunklen Zimmers flog und ich im Impuls knurrte.

„Eigentlich sollte ich dich jetzt töten, wie ich es vorgehabt habe... aber ich habe schon zu lange gewartet!“ sagte sie und ich runzelte die Stirn. Mein blick huschte zu Sophia, die sich benommen aufrappelte.
„Auf was hast du gewartet?“ fragte ich nach und kauerte mich in Angriffsstellung nieder.
„Auf dich!“ zischte sie und sprang mich an. Ich konnte mich ducken und sie versetzte mir einen Tritt, der mich weg fliegen ließ. Bevor ich in die Wand krachen konnte, hatte ich mich schon wieder gefangen und wollte sie anspringen, aber da fiel sie mir schon in den Rücken. Ich machte eine Rolle vorwärts und schleuderte sie so von mir herunter, bevor ich meinerseits knurrend und mit gefletschten Reißzähnen auf sie losging. Wie ein Klammeraffe saß ich ihr im Rücken und hatte mir fest vorgenommen, mich nicht abschütteln zu lassen, aber das war leichter gesagt als getan.

Sie rollte sich genau auf die gleiche Weise ab, wie ich es zuvor getan hatte und überrollte mich. Gerade als sie über mir war, winkelte ich die Beine an und trat ihr mit solcher Wucht in den Bauch, das sie davon und durch eine Wand in den nächsten Raum flog. Holzsplitter und Trümmerteile segelten durch die Luft. Ein Holzsplitter riss mir die Wange auf, aber der Schnitt heilte sofort wieder.
Ich ging Catherine nach und im Nebenzimmer ging der Kampf genau so erbittert weiter wie vorher. Ich lauschte zwischen den Attacken immer wieder ins Nebenzimmer und hörte Mick, wie er Sophia nach draußen half, dann war er plötzlich bei mir und half mir, Catherine zu bekämpfen, aber es reichte nicht. Ich hörte und roch, das Sophia schon wieder bei uns war, mitten in dem Kampfgetümmel und dem kreischen und Schreien dreier ausgewachsener Vampire.
Catherine biss mich in die Schulter und wandte sich dann an Sophia. Bevor ich noch etwas anderes sagen oder tun konnte, Catherine vielleicht aufhalten oder Sophia von ihr fort zerren und Catherine den Kopf von den Schultern schrauben zum Beispiel, zerriss ein gellender Schrei die Stille.

Ich sah mich um. Von Sophia war der Schrei nicht gekommen. Sie starrte nur fassungslos auf das Blut an ihrer Kleidung, das nicht ihr eigenes war. Catherine lag am Boden, in ihrem eigenen Blut, einen armlangen Holzsplitter in ihrem Bauch, den Ausdruck des Entsetzens noch im Gesicht.
Ich ging zu Sophia, hob sie hoch und trug sie nach draußen, was sie sich widerstandslos gefallen ließ. Vor dem Haus sahen wir noch, wie Mick aus dem Fenster sprang, das sich in einer Explosion und einer Feuerwolke auflöste.
 
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