Meine Geschichten
  "Vampire sind keine sagengestalten, Miss Diego."
 
Ich drückte dem Taxifahrer hundert Dollar in die Hand und stieg aus, holte meine Taschen aus dem Kofferraum und sah mir das Haus an. Oben ging die Haustür zu und wenige Minuten später brannte im zweiten Stock Licht.
Hier war Miss Diego also zu Hause. Nicht gerade das tollste Viertel Seattles, aber naja.
Ich dachte nach. Entweder, ich sprang hoch zu ihr in den zweiten Stock und erschreckte sie zu Tode, oder ich wählte den netteren, weniger schockierenden und bequemeren Weg und klingelte einfach.
Ich entschied mich für letzteres. Zwar war ich stolz auf meine Fähigkeiten, aber man musste ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, vor allem nicht, da ich nicht wusste, ob sie allein lebte oder nicht.
Ich ging zur Tür und zog meine Scheckkarte aus dem Portemonnaie.
Vorsichtig öffnete ich die Haustür und ging die Treppe nach oben. Im laufen zog ich das Strumpfband hervor, das ich ihr abgenommen hatte, dann suchte ich im zweiten Stock nach ihrem Klingelschild und wurde fündig.

Die Tür rechts neben dem Aufzug war es. Ich zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, dann klingelte ich. Nach ein paar Sekunden öffnete sich die Tür und Sophia Diegos überraschtes Gesicht blickte mich an. Ich lächelte und spielte mit dem Strumpf in meinen Händen.
„Mr. Kostan! Ist etwas passiert, dass Sie mich aufsuchen?“ fragte sie und kaute hinter vorgehaltener Hand. Ich hatte sie wohl gerade beim Abendessen gestört. Sie schluckte und ich prägte mir den Geruch des Strumpfbandes – ihren Geruch – ein wenig besser ein.
„Passiert nicht direkt, aber Sie haben das hier auf dem Bahnsteig verloren und gut erzogen wie ich nun mal bin, dachte ich mir, ich bringe es ihnen zurück.“ sagte ich und sie nahm mir zögernd das Strumpfband aus den Händen.
„Möchten.... möchten Sie vielleicht auf einen.... Kaffee mit reinkommen?“ fragte sie zögernd und ich lächelte.
„Vielleicht nicht auf einen Kaffee, aber gerne, ja.“ erwiderte ich und sie ließ mich eintreten. In der Küche stand ein kleiner Tisch und bunt zusammengewürfelte Stühle drum herum. Sie machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen und während sie mir den Rücken zuwandte, zog ich aus der Kühltruhe einen Stapel Blutkonserven und versteckte sie in meinem Jackett.
„Ich kann doch mal gerade Ihr Bad benutzen, oder?“ fragte ich so höflich wie möglich. Eine kleine grau getigerte Katze schlüpfte an mir vorbei in die Küche und fauchte, als sie mir zu nahe kam.
Sophia nickte abwesend und maß Kaffeepulver ab.
Ich schob mich ins Badezimmer und schloss hinter mir ab. Am Waschbecken schob ich meine Eckzähne aus dem Oberkiefer und stach sie durch die dünne Plastikmembran des Beutels mit 0-Positiv. Ich trank den ersten leer, aber es war nicht genug. Zwei weitere Beutel mussten dran glauben, der vierte platzte mir in der hast in den Händen und sprenkelte das Badezimmer in schaurigem Rot.

„Verdammt!“ knurrte ich. Ich vergewisserte mich, das ich keine Spritzer abbekommen hatte und wie durch ein Wunder war ich verschont geblieben. Auf dem dunklen Anzug hätte man die Flecken ohnehin nicht gesehen, aber ich ging besser kein Risiko ein.
Gründlich wischte ich das Blut von den Spiegelschränken, dem Waschbecken und dem Boden. Ich schnupperte. Kein Fleckchen Blut mehr zu sehen oder zu riechen. Sicherheitshalber wusch ich mir noch Gesicht und Hände, trocknete mich ab und zog die Klospülung, damit ich Sophia wenigstens glauben machen konnte, ich sei auf der Toilette gewesen, dann schloss ich die Tür wieder auf und trat hinaus.
Sie saß schon wieder am Tisch, einen Teller mit einem belegten Brötchen vor sich, eine Kaffeetasse in der Hand und sah stirnrunzelnd von einer Zeitung auf, als ich hereinkam.
Sie sprang erschreckt auf. „Oh! Ihr Kaffee, den hatte ich ganz vergessen...“ stammelte sie, aber ich hielt sie zurück, als sie wieder in die Küche flitzen wollte.
„Machen Sie sich keine Mühe, junge Frau. Kaffee ist nicht gerade mein Lieblingsgetränk.“
Sie blieb mitten in der Küche stehen, die Tasse schon in der Hand.
„Kann ich Ihnen sonst etwas anbieten, Saft oder Wasser vielleicht? Oder Tee?“ fragte sie und stellte die Tasse zurück in den Schrank.
„Danke, nein.“ erwiderte ich höflich und sie ging schulterzuckend zurück zu dem Tisch und setzte sich. Mit dem Zeigefinger zeigte sie auf den Artikel, an dem sie gerade las.

„Haben Sie das schon gesehen? Da sind irgendwelche Jugendlichen unter mysteriösen Umständen verschwunden und keiner weiß, wieso oder warum. Einer wurde letzte Woche tot aufgefunden.“ sagte sie. Ich setzte mich ihr gegenüber und zog ihr die Zeitung unter den Händen weg, dann las ich selbst, was dort stand.

Von den Verschwunden wurde bisher nur eine Leiche gefunden. Zwei kleine Einstichstellen am Hals scheinen der Todesgrund zu sein, auch wenn die Mediziner bezweifeln, dass der Junge dadurch verbluten konnte. Tatsächlich ist der gesamte Leichnam blutleer. Ob es sich hierbei um ein Tier oder einen Serienmörder handelt und das Verschwinden der anderen Personen mit dieser Tat zusammenhängen, ist unklar.

Es war so offensichtlich! War Mick deswegen hier her gekommen? Hatte er davon gewusst und wollte reinen Tisch machen? Aber er hatte sich sonst auch nicht um das gekümmert, was anders wo als in los Angeles in der Vampirgemeinde los war, warum sollte er es jetzt tun?
Zwei kleine Einstichstellen am Hals...  gesamte Leichnam blutleer....
las ich. Und ich kam nur auf einen gemeinsamen Nenner, eine Kreatur, die das verursacht haben konnte.
„Vampir.“ flüsterte ich leise, doch nicht leise genug. Sophia hatte mich gehört. Sie schnaubte spöttisch. „Vampire? Sie glauben nicht wirklich, das es sie gibt, oder, Mr. Kostan?“ fragte sie mit hochgezogener Augenbraue und ich sah sie an.
„Nun, ich muss nicht an etwas glauben, um zu wissen, dass so etwas möglich ist, wissen Sie?“ fragte ich zurück und lehnte mich mit dem Stuhl lässig gegen die Wand.
Aber so lässig war ich gar nicht, wie ich gerade tat. Ich stand auf, zog mein Handy aus der Tasche und rief Mick an.

Ich sorgte dafür, das Sophia mich nicht verstehen konnte, indem ich Infraschall sprach, etwas, das die Menschen mit ihrem unterentwickelten Gehör nicht wahrnehmen konnten und gerade jetzt war ich dankbar dafür.
Dann setzte ich mich wieder an den Tisch zurück und las den Artikel noch einmal durch. Kein zweifel. Da draußen lief ein wilder Vampir herum. Vielleicht ein neugeborener, dem man die Regeln nicht erklärt hatte und der jetzt willkürlich mordete.
„Das ist so ähnlich wie mit Nessie, wissen Sie?“ fragte ich und lächelte. Sie runzelte skeptisch die Stirn.
„Es gibt immer wieder Leute, die meinen, Nessie gesehen zu haben, Fotos und so weiter, aber man konnte es noch nie ganz beweisen.“ Es schellte an der Tür.
„Oh, ich habe einen freund von mir gebeten, vorbeizukommen und sich das ganze anzuschauen. Er ist genau so an... ungewöhnlichen Phänomenen interessiert wie ich.“ sagte ich so beiläufig wie möglich und sie stand auf und ging zur Tür.

„Naja, aber wenn es Nessie wirklich geben soll, dann muss es mindestens so alt werden wie eine Galapagosschildkröte und es müsste sich paaren, und dann hätte man zwei Nessies sehen müssen, wissen Sie?“ fragte sie über die Schulter, während sie die Tür aufzog und Mick dort stand. Er lächelte Sophia freundlich an und zog dann seinen Ausweis aus der Tasche.
„Mick St. John, freut mich sehr.“ sagte er und schob sich an ihr vorbei in die Küche.
„Ahh, Josef. Vor dir kann man sich auch nirgends verstecken, hm?“ fragte er lachend und schlug  mir auf die Schulter. „Verstecken vielleicht, entkommen nie.“ erwiderte ich und lächelte, dann wurde ich augenblicklich ernst.
„Hast du das mitbekommen?“ fragte ich und deutete auf den Artikel. Er las ihn, er überflog ihn und ich konnte an seinem Gesichtsausdruck sehen, das er das gleiche dachte wie ich.

„Du denkst, es ist einer von...?“ flüsterte er eindringlich und ich nickte.
„Vielleicht jemand, der die Regeln nicht erklärt bekommen hat.“
„Oder jemand, der einfach nur so tut, als ob. Wir haben keine Fotos oder andere Beweise, nur das, was in dem Artikel steht.“ murmelte er zurück.
„Ja, aber glaubst du wirklich, es war...“
„Vielleicht war es auch einer Ihrer Vampire, Mr. Kostan?“ fragte Sophia scharf. Sie hatte es offensichtlich satt, das wir sie nicht in das Gespräch mit einbezogen.
„Nun, sehen Sie, es sind nicht meine Vampire, wissen Sie?“ fragte ich mit einem kleinen Grinsen und Mick neben mir zischte leise. „Josef! Da kannst du es ihr ja auch gleich zeigen!“
Ich lächelte gewinnend und zeigte meine Zähne.
„Wieso zeigst du es ihr nicht, du kannst dich besser beherrschen als ich.“ Währenddessen war Sophia immer weiter vor uns zurückgewichen und stand jetzt an der Tür.
„W-was geht hier vor?“ fragte sie zitternd.
„Miss, ich bin sicher, wir können dafür eine friedliche Lösung...“ fing Mick an, aber ich ließ ihn nicht ausreden. Der Geruch – ihr Geruch, der Geruch ihres Blutes – machte mich hungrig. Wahnsinnig hungrig. Ich wechselte fast sofort in den Vampirmodus und schoss knurrend an Mick vorbei, aber er ließ mich nicht. Er hielt mich fest um die Mitte gepackt, und er musste eine Menge Kraft aufwenden, um mich unter Kontrolle zu halten.
„Josef! Hör auf. Hör auf!“ es nutzte nichts, so sehr ich auch um mich trat, er ließ nicht los. Schließlich griff ich zu dem einzigen Mittel, das mir übrig blieb. Ich fletschte die Zähne und biss ihn in die Schulter. Auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg.
„Nur ein Schluck, Mick!“ winselte ich und gab es auf, um mich zu schlagen. „Ein Schluck schadet doch niemandem!“ Er hielt mich immer noch fest. Roch er das denn nicht? Merkte er denn nicht, wie gut sie roch, wie das Blut durch ihre Adern schoss?

„Nein! Du machst alles kaputt, wofür wir immer gekämpft haben!“ zischte er zurück. Ich zog die Eckzähne in den Oberkiefer zurück und wechselte meine komplette Erscheinung. Mick ebenso.
Von der Tür kam ein Schrei. Sophia konnten wir nicht sehen, weil sie um eine Ecke hatte biegen müssen, um zur Tür zu kommen. Die Tür wurde aufgerissen und wir beide konnten hören, wie sie bei der Nachbarin Sturm klingelte. Ich hätte leicht verstehen könne, was die beiden sagten, wenn ich gewollt hätte.
Sophia stand wieder allein im Gang. Scheinbar hatte die Nachbarin nicht das getan, was Sophia sich erhofft hatte.
Mick trat langsam auf sie zu, den Blick nur auf Sophia gerichtet.
„Josef, es ist vielleicht besser, wenn du jetzt gehst.“ sagte er, ohne sich nach mir umzudrehen. Für ihn existierte nur noch Sophia. Aber ich war nicht bereit, sie zu teilen, nicht einmal mit Mick. Also rührte ich mich nicht von der Stelle, während er weiter auf Sophia zuging.
„Josef, ich weiß, ich bin nicht in der Position, dir Befehle zu erteilen, aber geh einfach!“ der Ansatz eines Knurrens schwang in seiner Stimme mit, ganz schwach nur.
Ich schob mich langsam an ihm vorbei. Sophia stand an der Treppe und ich ging so dicht n ihr vorbei, das wir uns streiften. Ich merkte, wie sich ihr ganzer Körper im Schock versteifte, dann war ich am Fuß der Treppe angekommen und drehte mich noch einmal zu ihr um.

„Lassen Sie Mick das erklären. Es... sah wirklich schlimmer aus als es ist.“ sagte ich, dann ging ich weiter die Treppe herunter. Sekunden später fiel oben die Tür ins Schloss.
Würde Mick ihr jetzt alles erklären? Das wollte ich auf keinen Fall verpassen.
Ich umrundete das Haus einmal und sah zu meiner Erleichterung, das in ihrer Wohnung das Schlafzimmerfenster offen stand.
Erst sah ich mich um, ob mich niemand sehen konnte, dann sprang ich aus dem Stand in den zweiten Stock und klammerte mich am Fensterbrett fest, um mich hinein zu ziehen.

Lautlos schlich ich mich bis in die Küche, in der die beiden saßen. Ich lehnte mich gegen eine Wand im Wohnzimmer und konnte so mühelos hören, was gesprochen wurde. Falls Mick mich gewittert hatte, ließ er es sich nicht anmerken.
„Lassen Sie mich das erklären. Dann können Sie immer noch entscheiden, ob Sie die Polizei rufen oder nicht.“
Sie antwortete nichts darauf. Und ich konnte es nicht riskieren, um die Ecke zu spähen, denn dann hätten die beiden mich sicherlich entdeckt.
Eine Zeitung raschelte.
"Haben Sie das aufmerksam gelesen? Das, was da passiert ist, war nicht die Tat eines Verrückten. Kein menschliches Wesen kann einem Wunden zufügen wie diese Jugendlichen sie gehabt haben. Fledermäuse könnten es, aber die trinken bis auf eine Art kein Blut und dann nicht so viel. Aber zählen Sie doch mal eins und eins zusammen. Die Bissstellen am Hals. Der Körper blutleer. Mein und Josephs verändertes Aussehen. Die unmenschliche Kraft." Er stand auf und ging ins Wohnzimmer. Ich drückte mich flach an die Wand, damit er mich nicht entdeckte. Auf dem Schreibtisch stand eine metallener Briefbeschwerer. Damit ging er zum Tisch zurück. Er nahm ihn in die Hand, schloss die Augen und drückte zu.
Sekunden später war der Metallgegenstand ein verschrumpeltes Stück Blech. "Vampire sind keine Sagengestalten, Miss Diego." sagte er leise und sah ihr in die Augen.
 
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