Meine Geschichten
  Das Heilmittel
 
„Es gib kein Heilmittel, Mick. Wenn es eines gäbe,
wüsste ich davon. Und nicht, dass es mich kümmern würde.
Ich persönlich würde niemals mehr sterblich sein wollen.“

Episode 1.07 „Das Ebenbild“


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Solange meine Hände und mein Kopf etwas hatten, womit sie beschäftigt waren, war ich ruhig. Es war, als hätte man mich in einem Glaskasten gesperrt, denn ich nahm das drum herum gar nicht richtig wahr. Ich merkte wohl, dass die anderen mich mit nach draußen nahmen. Wir müssen nach Hause gelaufen sein, aber ich erinnere mich nicht an den Weg. Vielleicht war das am Ende ganz gut so. Guillermo, Ryder und Logan verließen uns an einer Wegbiegung, nur Ray und Mick nahmen mich in die Mitten und liefen schweigend mit mir weiter. Ich kann nicht mehr sagen, wie weit wir gegangen sind, bis wir vor dem Haus standen, in dem Mick seine Wohnung hatte.
Wieso waren wir hier? Ich verstand nicht ganz. Ray ließ uns allein. Vielleicht hatte er noch etwas gesagt, aber ich hörte es nicht richtig.
Mick musste mich praktisch die Treppe nach oben schleifen, bis wir vor seiner Wohnungstür standen.

Er schloss auf und schob mich hindurch. Wie in Trance ging ich zum Sofa und ließ mich darauf fallen. Mick war derweil zum Kühlschrank gegangen und füllte zwei Gläser mit Blut.
Bah. A-Positiv. Aber immerhin war es besser als nichts, und ich hatte Durst, weil meine letzte Mahlzeit schon ein paar Stunden zurücklag.
Er drückte mir schweigend ein Glas in die Hand und setzte sich still neben mich. Ich versuchte nicht zu denken, an gar nichts, aber es ging nicht. Also beschränkte ich mich auf das Trinken des Blutes, das mich ein bisschen lebendiger machte. Irgendwann stand Mick auf – sein Glas stand ausgetrunken auf dem Couchtisch – und ging die Treppe nach oben. Wenig später kam er mit einem Hemd wieder und hielt es mir hin. Ich sah erst ihn, dann das Hemd verständnislos an, bis ich an mir herunter sah.

Mein Blick schweifte über Brandmale und Schnittverletzungen, die Wunden, die der Pflock ein ums andere Mal geschlagen hatte. Ich trank noch einen tiefen Schluck Blut. Langsam schlossen sich die Wunden wieder, als frisches Blut durch meinen Kreislauf gepumpt wurde und damit die Wunden erneuerte. Auf meiner Haut würde man nicht einmal mehr Narben erkennen, aber ich würde immer wissen, was mir angetan worden war. Weiter sah ich, nicht nur auf meine Haut, sondern auch das, was ich darauf trug. Meine Hose konnte ich vielleicht gerade noch waschen und flicken und dann anziehen, wenn mich keiner darin sah, aber das Hemd war ruiniert. Schmutzig, zerknittert und ohne einen Knopf, mit mehr ausgefransten Rissen als die Rinde einer Eiche. Daran konnte kein Schneider der Welt mehr etwas ändern. Das war ein einziger Stofffetzen, den man vielleicht noch zum Aufwischen gebrauchen konnte, aber sicherlich nicht mehr zum Anziehen.
Er reichte mir das Hemd, dass er aus seinem Fundus ausgesucht hatte, und für einen Augenblick streifte er mich.

Mit einem Satz schoss ich hoch und saß einen Lidschlag später an der nächsten Wand, knurrend, die Eckzähne gebleckt. Mick starrte mich eine Weile perplex an, während das Knurren aus meiner Kehle beständig lauter wurde. Normalerweise war das eine Warnung an alle, mir nicht zu nahe zu kommen, und doch tat er genau das. Er kam auf mich zu und drängte mich in die Ecke. Das Knurren aus meiner Kehle erreichte einen Punkt, an dem sogar die Fensterscheiben in Schwingungen versetzt wurden, und er blieb immer noch nicht stehen. Erst als er genau vor mir stand,. Schoss ich weg. Das heißt, ich wollte es, kam aber nicht dazu. Weil er die Arme zu beiden Seiten gegen die Wand stemmte und ich festsaß, wie in einem Käfig. Und wenn ich eines nie wieder sein wollte, dann gefangen. Wusste er denn nicht, was er mir allein mit seiner Körpersprache signalisierte? Anscheinend nicht. Also hatte ich nur ein Mittel ihm das klar zu machen. Ich schob mich an der Wand hoch, bis ich auf Augenhöhe mit ihm war, die Eckzähne immer noch deutlich sichtbar, neigte den Kopf zur Seite und rammte ihm selbige ansatzlos in den Hals.

Er knurrte und ich knurrte zurück, schob ihn von mir weg. Die Zähne aus seinem Hals ziehend duckte ich mich an ihm vorbei und stand hinter ihm. Er war ein paar Sekunden wie versteinert, dann sah ich, wie sich die Wunde an seinem Hals schloss. Sein dunkelblaues Hemd hatte jetzt einen recht großen Blutfleck, aber es interessierte mich nicht. Er drehte sich zu mir um und kam wieder auf mich zu. Was sollte ich denn noch tun, damit er Abstand zu mir hielt und mich nicht bedrängte?
Er hatte die Hände gehoben. „Josef, ganz ruhig. Ich tue dir doch nichts! Ich will dir nur helfen!“ sagte er. Er blieb immer noch nicht stehen, also knurrte ich weiter, auch wenn ich davon morgen ganz sicher heiser sein würde.
Mit einem Sprung war ich bei der Tür. Ich wollte hier nur raus. Dabei war mir entgangen, dass Mick, als ich auf der Couch gesessen hatte, abgeschlossen hatte und ich ergo nicht raus kam, es sei denn, er gäbe mir die Schlüssel.
„Lass mich raus.“ fauchte ich dunkel und entblößte die Eckzähne. Ich wusste, dass man ihn damit nicht einschüchtern konnte, aber versuchen wollte ich es trotzdem.
„Nein. Erst, wenn du mir zugehört hast. Ich kann dich jetzt nicht gehen lassen.“ sagte er und ich knurrte noch lauter. „Ach nein?“ Mit einem Satz schoss ich auf ihn zu und bemerkte zu spät, den Holzpflock, den er aus dem Nichts aus der Tasche oder ich weiß nicht woher zog und ihn mir in die Brust rammte.

Augenblicklich erstarrte ich und sank gegen ihn. Er fing mich auf. Ich spürte, wie er mich davontrug, hoch in sein „Schlafzimmer“ wo neben der ersten Kühltruhe noch eine zweite stand, wahrscheinlich für Gäste. Nur dass ich hier ziemlich unfreiwillig Gast war. Er ließ mich in die Kühltruhe gleiten und zog mir den Pflock aus dem Herzen. Bevor ich noch etwas sagen oder tun konnte, merkte ich, wie die Totenstarre mich erneut zu lähmen begann und er den Deckel der Truhe schloss.
„Tut mir Leid, mein Freund. Anders konnte ich dir nicht helfen.“ hörte ich ihn durch das Glas sagen, dann verschwand er und ließ mich zurück, während mein Bewusstsein ins Vergessen kreiselte.

*


Irgendwann wurde ich wieder wach, ganz ohne eigenen Antrieb und schob den Deckel meiner Kühltruhe zurück. Als ich die Treppe nach unten kam, schenkte Mick sich gerade etwas zu trinken ein und drehte sich dann zu mir um. Ich hatte mir einen seiner Bademantel geliehen und stellte mich neben ihn an die Anrichte, bevor er auch mir ein Glas einschenkte. Ich war wahrscheinlich noch nie in meinem leben so durstig gewesen wie jetzt, deswegen trank ich das Glas schnell leer und hielt es ihm zum Nachfüllen hin.
„Na, gut geschlafen?“ fragte er grinsend und sah zu, wie ich das zweite Glas langsamer leerte. Ich grummelte nur und machte eine unbestimmte Bewegung mit dem Kopf, die man auch als Nicken deuten konnte.
Immer noch wunderte ich mich darüber, warum ich so durstig war. Mick füllte mir das Glas zum dritten Mal. So viel trank ich sonst nie nach einem kleinen Schläfchen und ich sah ihn verwirrt von der Seite an.
„Wie lange habe ich geschlafen?“ fragte ich nervös nach.
Er tat, als müsse er ernsthaft darüber nachdenken und die tage zählen. Er machte mich ganz bewusst wütend.
„Ahm... so fünf Tage?“ es war eine Feststellung. Das Fragezeichen dahinter störte mich, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Deshalb also hatte ich so einen Durst. Kein Wunder nach fünf Tagen ohne Nahrung.

Ich trank mein Glas aus. Jetzt war ich satt, fürs erste. „Und wann bedenkst du, mich gehen zu lassen?“ fragte ich scheinbar desinteressiert und starrte auf den Fliesenboden.
„Wenn du dich vollkommen unter Kontrolle hast.“ gab er zurück und spülte die Gläser ab. Mein Blick traf ihn aus dem Augenwinkel und ich wunderte mich, warum er nicht auf der Stelle starb.
„ich habe mich immer unter Kontrolle.“ sagte ich leise. Er zog nur eine Augenbraue hoch und lächelte leise. Nach einer Weile senkte ich den Blick. Ein Auge-um-Auge-Duell mit Mick konnte man nicht gewinnen.
„Okay, bis auf das eine Mal bei Sophia.“ gab ich zögernd zu und sah noch weiter weg.
„Siehst du? Deswegen kann ich dich noch nicht zu ihr lassen. Und bevor du fragst: Ja, sie weiß, wo du bist und nein, sie wird nicht hier her kommen.“ er ging zur Couch herüber und ich folgte ihm zögernd. Über der Stuhllehne hing noch sein Hemd und ich schlüpfte aus dem Bademantel und zog es an. Es war gerade lang genug, um zu verhüllen, dass ich sonst nichts anderes trug.
„Nicht mal ein Anruf?“ versuchte ich es weiter, weil er schon automatisch meine zwei ersten Fragen zu Nichte gemacht hatte. Blöder, alles wissender Mercedesfahrer.
Er schüttelte lachend den Kopf. „Nein. Zieh dir was an, ich habe eine bessere Idee für dich.“ ich blieb stehen, mit gesenktem Kopf. Dann entschied ich, dass es wirklich nicht schaden konnte, etwas mehr an zu haben als ein Hemd und fügte diesem noch Shorts und eine Hose sowie Socken und Schuhe hinzu, alles aus Micks Fundus. Okay, bis auf die Schuhe.

Langsam ging ich die Treppe nach unten, da saß er schon wieder auf der Couch, ein kleines, silbernes Döschen in der Hand. Er bedeutete mir, mich neben ihm nieder zu lassen und hielt mir die kleine Schachtel hin. Neugierig klappte ich sie auf und sah mir den Inhalt an. „Und was ist das jetzt? Astronautenfutter?“ fragte ich skeptisch und roch an der rot-schwarzen, zähen Paste. Er lachte und schüttelte den Kopf.
„Rate mal schön weiter.“ sagte er amüsiert und beobachtete mich. „Okay... weiß ich doch nicht, ein... Potenzmittel? Und wozu bitte soll ich das brauchen?“
Ja, Josef. Wozu bracht man(n) ein Potenzmittel? Fragte ich mich selbst, aber da schüttelte er schon wieder den Kopf, diesmal mit einem stummen Lachen.
„Einen Versuch hast du noch.“ sagte er und ich roch wieder an der Paste. Den Geruch kannte ich irgendwo her, aber ich wusste nicht, woher.
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
„Das ist... das Heilmittel?“ flüsterte ich eindringlich. Meine Augen schienen ihn zu durchbohren. Er nickte. Ruckartig klappte ich das Döschen zu und streckte es ihm entgegen.
„Nimm es. Ich will es nicht. Ich habe dir immer gesagt, es gibt nichts in der Welt, was mich wieder dazu bringen könnte, ein Mensch sein zu wollen, und der Dackelblick bringt da genau so wenig etwas.“ sagte ich rasch und er nahm mir die Schachtel wieder aus den Händen. Nachdenklich drehte er sie hin und her.

„Schade. Ich dachte eigentlich, nachdem du gesehen hast, was mit mir und Beth...“ fing er an, aber ich ließ ihn nicht ausreden. Schon wieder kochte Wut in mir hoch.
„Es geht hier aber nicht um dich oder Beth, Mick!“ zischte ich. „Ich habe akzeptiert, was ich bin, ich fühle mich gut damit! Schon lange! Wieso kannst du das nicht auch, hm? Wieso musst du dem nachtrauern, was nicht mehr ist? Du hast gesehen, was am Ende dabei raus gekommen ist! Du hattest nicht gerade die Chance, das Mensch-Sein zu genießen, wenn ich mich recht erinnere!“
Nein, weil du mich am Ende praktisch angefleht hast, das wieder rückgängig zu machen, weil du wieder Vampir werden MUSSTEST, um Beth zu retten.
Er seufzte leise.
„ich wollte damit nur sagen...“ ich war aufgesprungen und lief erregt in dem kleinen Zimmer hin und her.
„ja, ich weiß, was du sagen wolltest und danke, nein, ich will es nicht hören! Mir ist egal, wie kompliziert deine Beziehung zu Beth ist, meine ist es nicht! Die zu Beth nicht, im freundschaftlichen Sinn, und die zu Sophia erst Recht nicht. Sie hat akzeptiert, was ich bin, sie liebt mich so, wie ich bin und was ich bin ist ihr egal!“
Ich schluckte.
Und irgendwann fand ich heraus, dass sie es wusste. Sie wusste es und es war ihr egal.
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte das nicht hören. Das nicht.

Mick grinste mich wissend an, wo als könnte er meine Gedanken lesen und allein dafür hätte ich ihm den Hals umdrehen können, gleich jetzt, auf der Stelle.
„Und was“, fragte er und stellte das Döschen auf den Tisch, „ist, wenn sie dich bittet, sie zu verwandeln, weil sie die Ewigkeit mit dir verbringen will? Ich meine, das ist doch denkbar, oder?“ fragte er. Stählerne Klauen gruben sich bei seinen Worten in mein Innerstes und rissen den Empfindsamsten Teil davon auf.
„Ich werde sie nicht verwandeln, und wenn sie mich täglich mit der selben Frage nervt. Nie. Sie soll ein Mensch bleiben, wenn sie kann.“ Jetzt sah er mich ernst an. Ich hielt in meinem Achten ziehen auf dem Teppich inne und sah ihn an. „Was?“
„Und wenn sie das nicht kann? Lässt du sie dann sterben?“ fragte er mit gerunzelter Stirn. Ich wandte mich ab. „ich weiß es nicht. Beten wir einfach, dass dieser tag nie kommt.“ sagte ich und schielte doch zu dem Döschen herüber.
Er hatte meinen Blick bemerkt.
„Also willst du, dass sie ein Mensch bleibt, weil du Angst hast, sie zu verwandeln? Oder einfach nur, weil du dir mit deinem Statement von vorhin nicht mehr sicher bist?“ fragte er und lächelte dünn.

„ich meine, da ist der Josef Kostan, der mir sagt, er genießt es, ein Vampir zu sein, und würde das um nichts in der Welt ändern wollen, und dann ist da der Josef Kostan, der sagt, Sophia solle ein Mensch bleiben, solange sie kann? Was soll das? Ich dachte du lebst nach der Devise, wenn man schon ein Vampir ist, soll man es auch genießen?“
„Ja, aber...“
„Wieso verwandelst du sie dann nicht einfach, wenn es so toll ist, ein Vampir zu sein?“ fragte er weiter. Langsam wurde er richtig penetrant.
Ich versuchte die Worte zu verstehen, die er mir an den Kopf geworfen hatte und kam nur langsam mit.
„Moment mal, das sagst du mir, der Mick St. John, der das Dasein als Vampir von der ersten Sekunde an verflucht hat und so gern wieder ein Mensch sein möchte? Der Mick St. John rät mir, meine Freundin in ein „Monster““, ich malte Gänsefüßchen in die Luft bei dem Wort Monster, „zu verwandeln? Was hast du genommen? Hattest du zum Frühstück einen Fixer?“

Er schüttelte nur lachend den Kopf, stand auf und nahm das Döschen mit. Bei mir angekommen drückte er es mir in die Hand und klopfte mir auf die Schulter.
„Alles was ich sage ist: Denk einfach mal in Ruhe drüber nach.“ sagte er, dann verschwand er die Treppe nach oben. Nachdenklich drehte ich das Döschen in den Händen hin und her.
Er hatte ja doch irgendwie Recht.... Nein, nein hatte er natürlich nicht! Was dachte ich da? Oder doch?
Je länger ich es drehte und wendete, desto interessanter schien mir das Schächtelchen auszusehen. Und dann fasste ich einen Entschluss.
 
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