Meine Geschichten
  Abschied
 
Ich weiß nicht, warum ich dachte, zu ihm zu gehen und ihn zur Rede zu stellen würde alles ändern. Ich wollte es trotzdem versuchen, weil ich glaubte, das mehr dahinter steckte als ich erraten hatte und er mir sagen wollte.
Also machte ich mich auf den Weg zu seiner Wohnung, spät abends ein paar Tage nach der Sache in meinem Büro. Ich wollte Antworten, und ich wollte sie First Hand, von ihm direkt.
Was konnte meinen Freund so verändern, das er nicht einmal mit mir darüber sprechen konnte? Oder wollte er nur nicht? War vielleicht Beth in Gefahr, oder er selbst?

Nein, den Gedanken verwarf ich im Laufen sofort wieder. Dann hätte er sich erst recht an mich gewandt.
Ich erreichte das Haus, in dem er wohnte und stieg in den Fahrstuhl.
So lautlos wie möglich verschaffte ich mir Zutritt zu seinem Apartment und sah mich um. Hier unten war niemand, aber Mick war zu Hause. Das konnte ich riechen und ich hörte, wie er im Obergeschoss werkelte, an was auch immer.
Noch lautloser schlich ich die Treppe nach oben. Normalerweise hätte er mich riechen müssen, denn die Tür stand offen und ich konnte sehen, wie er mit dem Rücken zu mir am Kleiderschrank stand und die Flügeltüren auseinander klappte. Neben der Kühltruhe stand ein großer Reisekoffer und er holte ein paar Hosen, Hemden und Shorts aus den Regalen und sah dann noch in den anderen Fächern, bis er Socken und andere wichtige Dinge gefunden hatte.

„Hallo Josef.“ sagte er ohne sich umzudrehen und machte den Schrank wieder zu. Ich lächelte. Also hatte er mich doch gerochen. An Mick konnte man sich selten anschleichen.
„Kannst du wenigstens einmal in vierhundert Jahren...“ er warf den Kleiderstapel achtlos in den Koffer. Ein buntes Durcheinander von dunklen Farben. Er gestattete sich selten Farbtupfer in rot, gelb oder grün. Das meiste an seiner Kleidung war schwarz oder dunkelbraun, blau oder grau.
„Klopf, klopf.“ meinte ich lächelnd und stellte mich neben den Koffer. Ich beugte mich herab und roch an dem Kleiderhaufen. Ein durchdringender Geruch von Mottenkugeln ließ mich niesen.

Amüsiert sah ich zu, wie er den Koffer zuklappte und nach unten trug. Ich folgte ihm lautlos.
Unten klappte er ihn wieder auf und ging zum Bücherregal, um ein bisschen Lektüre einzupacken.

„Fährst du in den Urlaub oder so was? Du solltest eine Sonnenbrille nicht vergessen. Obwohl du die Sonne wohl eher nicht wirst genießen können, aber das weißt du ja.“ versuchte ich zu scherzen, aber hinter meiner Frage lag eine beabsichtigte Sorge, ein Grund, warum ich hier war.
Mick wusste das und wich mir aus. Ich konnte es spüren.
„Was willst du, Josef?“ fragte er, während er aus einer Ecke eine Kühltasche hervorzog und den Kühlschrank aufmachte, um sie mit Blutkonserven zu füllen.
Ich tat, als betrachtete ich desinteressiert meine Fingernägel, dabei beobachtete ich ihn ganz genau. Wenn man schon so lange Vampir ist wie ich, merkt man immer deutlicher, wenn etwas nicht so läuft, wie es sollte. Hier war dieses Gefühl besonders stark. Irgendetwas stimmte nicht und ich würde es herausfinden, und wenn ich Mick dafür fesseln und knebeln musste.

„Naja, du warst letztens so plötzlich verschwunden, da dachte ich, ich gebe dir erst mal etwas zeit zum Abkühlen und dann schaue ich, was du vorhast. Ich wundere mich schon über dich, weißt du. Ich hätte gedacht, du türmst, sobald die Bürotür hinter dir zu schwingt.“ Der Ansatz eines Knurrens in seiner Stimme.
„ich türme nicht.“ flüsterte er bedrohlich. Und da fiel mir auf, was ich so komisch gefunden hatte. Ich hatte ihn erst herum kramen hören, als er schon gewusst haben musste, das ich in der Wohnung war.
„Ach, so ist das. Du hattest nicht wirklich die Absicht, dich zu verdrücken, aber jetzt, wo ich da bin und dich mit dem Tatsachen konfrontiere, da bekommst du kalte Füße.“
Kalte Füße bekommen – das war fast schon so etwas wie ein Insiderwitz für jemanden, der generell keine Körperwärme mehr abgab.

Er machte die Kühltasche zu und stellte sie neben seinen Koffer.
„Du weißt aber, das du das niemals durch den Zoll bekommst?“ fragte ich ihn beiläufig und er knurrte schon wieder. So impulsiv, dieser Mann.
„Dann behalte du es. Da wo ich hingehe, gibt es sicherlich genug Blut.“ Er wollte sich an mir vorbeischieben, aber ich ließ ihn nicht. Ich hielt ihn am Pullover fest und der Vampir übernahm die Kontrolle in meinem Körper. Ich wirbelte ihn herum und drückte ihn gegen die Wand.
„Und willst du mir auch sagen, wovor du irgendwo hin abhaust?“ grollte ich und er drehte den Kopf weg.

„Lass mich runter!“ zischte er und ich drückte ihn noch fester gegen die Wand, das man meinen konnte, die Holzvertäfelung gebe jeden Moment nach.
„Erst, wenn du mir gesagt hast, wo du hin willst und warum.“ knurrte ich und meine Augen blitzten eisblau auf. Ich grollte aus tiefster kehle und er sackte in sich zusammen. Ich ließ ihn fallen und er blieb auf dem Boden sitzen, unfähig, sich zu rühren, so, wie ich ihn schon in meinem Büro vor ein paar Tagen gesehen hatte.
„ich... ich kann... es nicht.“ presste er hervor und erhob sich wieder. Er machte den Koffer zu und schob die Tasche mit den Blutkonserven von sich.

„Nimm du es. Ich brauche es nicht mehr.“ ich grollte noch lauter und packte ihn wieder am Kragen, aber er wandte nur den Blick ab, müde, ausgelaugt, so als habe er keine kraft mehr, zu kämpfen.
„Es geht doch hier gar nicht um dich oder mich, Mick!“ zischte ich ihm ins Gesicht.
„Es geht um Beth und darum, das du sie nicht verlieren möchtest! Aber wo ist das Problem? Beiße sie einfach, füttere sie mit deinem Blut und mach sie zu dem, was du bist und dann...“ Er knurrte, schloss für zwei Sekunden die Augen und als er sie wieder aufmachte, glühten sie eisblau und Fangzähne schoben sich über die Unterlippe.
„Gerade du sagst mir, ich sollte sie verwandeln? Ausgerechnet du?“ Das versetzte mir einen Stich. Es war, als hätte er mir mit seinen Worten wohl gezielt einen Holzpflock ins Herz gerammt. Es tat weh, und Sekunden später wurde alles taub.
Ich ließ ihn fallen und wandte mich ab.

„Schön, lauf davon. Ich halte dich nicht auf.“ murmelte ich und ging zur Tür, zumindest wollte ich das, aber da saß er schon auf meinem Rücken und ich brauchte meine ganze kraft, um ihn von mir herunter und in die nächste Wand zu befördern. Wir beide knurrten uns an, Mick, der in einem Sammelsurium von Büchern und Glasscherben saß und ich, der ich immer noch an der Tür stand, niedergekauert, bereit zum Sprung, sollte er mich noch einmal angreifen.
Ohne ein Wort wandte ich mich um und riss die Tür auf. Im Türrahmen ließ mich seine Stimme noch einmal innehalten.
„Josef? Du... du sagst es doch Beth, oder?“ kam es gequält unter den Büchern hervor. Ich nickte mechanisch, den Kopf immer noch abgewandt. Dann schwang die Tür hinter mir zu und ich stand draußen auf dem Gang.
 
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