Meine Geschichten
  Das Casino
 
Es verging fast ein Monat, in dem ich Sophias Stimme nur am Telefon hörte Ich hatte nicht erwartet, dass es so lange dauern würde, bis sie zurückkam, aber ich hatte auch zugegebenermaßen keinen blassen Schimmer von der Arbeit auf einer Ranch. Also nutzte ich die Zeit dazu, einen Teil meiner Möbel aus dem Haus in meine Wohnung umzubeordern und den Rest, den ich nicht mehr brauchen würde, zu verkaufen. Meinen Ferrari ließ ich mir natürlich nicht nehmen, aber das Geld, was aus dem Verkauf meiner Möbel kam, spendete ich eine Organisation, die das Geld sicherlich gut gebrauchen konnte.

Endlich, nach vier endlosen Wochen, kam der erlösende Anruf von Sophia. Sie würde mit dem Zug zurückkommen, obendrein ihre Mutter mitbringen. Ich konnte förmlich hören, wie sie die Augen rollte bei der Erwähnung, ihre Mutter würde sie nach Seattle begleiten und wolle den Lebensretter ihrer Tochter unbedingt kennen lernen.
Ich sagte ihr, ich würde sie am Bahnhof abholen, und obwohl sie mir sagte, es wäre kein Problem für sie, mit dem Taxi nach Hause zu kommen, blieb ich hart und bestand darauf. Wer konnte sich mir schon wiedersetzen? Also gab sie klein bei.

Am Tag der Ankunft hatte ich lange in meiner Kühltruhe gelegen. Ja, ich hatte endlich eine eigene Kühltruhe in meiner Wohnung und musste nicht mehr bei Sophia zwischen Tiefkühlerbsen und Spinat schlafen. Ich richtete mich auf und schob den Deckel hoch, ging duschen und zog mich an. Entgegen meiner sonstigen Neigung zu Seidenhemd, Krawatte und Anzughose entschied ich mich für ein dunkelrotes T-Shirt und eine verwaschene Jeans.
Noch einmal sah ich auf die Uhr, trank zur Sicherheit noch ein Glas 0-Positiv und nahm den Schlüssel vom Haken neben der Tür, bevor ich selbige hinter mir zuwarf und die Treppe herunterlief. Draußen setzte ich meine Sonnenbrille auf, da sich die Sonne glühend heiß auf dem roten Lack meines Autos spiegelte.

Es dauerte nicht lang, am Bahnhof anzukommen. Als ich in der Bahnhofshalle ankam, schlugen mir schon die typischen Gerüche entgegen. Menschlicher Schweiß, altes Frittenfett, Rauch. Und die unauslöschliche Feinripphemden-Tennissocken-in-Sandalen-Trägerfraktion war scheinbar immer noch nicht ausgestorben. Es gab sie auch hier. Ich schüttelte mich und konzentrierte den Blick dann wieder auf die Gleisanzeige. Zu Gleis 1 musste ich, wenn ich Sophia abholen wollte, und das schnell, denn ihr Zug fuhr in drei Minuten ein.
Ich schob mich durch die schwitzende, stinkende Menschenmasse die Rolltreppe herunter und auf den richtigen Bahnsteig. Ich war froh, wenn ich hier wieder raus war und frische Luft atmen konnte.
Eigentlich hätte ich gar nicht atmen brauchen, aber das hätte bei näherem Hinsehen verdächtig gewirkt, also ließ ich es sein.

Und wieder kam dieses altbekannte Gefühl in mir hoch. Es war wie vor über fünfzig Jahren, als ich zusammen mit Sarah auf den selben Zug gewartet hatte. Als ich sie das erste Mal gesehen und mich sofort in sie verliebt hatte. Ich glaubte nicht daran, aber konnte es so etwas wie ein Deja-Vu geben? Anders als damals wusste ich doch, was mich erwartete, aber dennoch waren meine Hände kälter als gewöhnlich. Ich rieb sie nervös aneinander, aber es half nicht viel. Ich hörte den Zug, bevor ich ihn sah und schob mich an ein paar Menschen vorbei, um weiter nach vorn zu kommen, wo sie mich sofort sehen konnte. Der Zug fuhr ein und hielt. Die Türen glitten zischend auf und ich ließ meinen Blick über diejenigen schweifen, die ausstiegen. Bald hatte ich zwei Frauen erspäht, die durchaus Sophia und ihre Mutter sein konnten. Ich atmete tief ein, als sie auf mich zu kamen und der berauschende Duft von Sophia stieg zusammen mit einer Mischung aus Sonne, Staub, Pferd und Rind von ihrer Haut auf, als sie auf mich zu sprang und mich stürmisch umarmte.
„Ich hab dich so vermisst!“ murmelte sie in mein Ohr und ich lachte und ließ sie wieder herunter. „Frag mich mal. Ich habe jede Sekunde gedacht, ich müsste verdursten.“ sagte ich und zwinkerte ihr zu. Dann wandte ich die Aufmerksam ihrer Mutter zu. Sie war eine hoch gewachsene, drahtige Frau in Hemd, Hose und Cowboystiefeln, noch gekrönt von einem breitkrempigen Hut und einem roten Halstuch. Ich war sofort begeistert von ihr, vor allem, weil mir Mutter und Tochter im Partnerlook gegenüberstanden. Die Sonne hatte Sophia sichtlich gut getan. Sie war braun gebrannt und roch nach Sonne und Sand.
Ich reichte ihr wohlerzogen die Hand. Sie hatte einen erstaunlich festen Händedruck, aber in ihrem Beruf musste man wohl öfter hart anpacken.
„Sie sind also der Retter meiner Tochter.“ sagte sie und lächelte begeistert. Ich nickte bescheiden.
„Retter ist vielleicht das falsche Wort. Ich war bloß zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Josef Kostan, freut mich trotzdem.“ sagte ich artig und in Sophias Augen funkelte der Schalk auf.
„Rebecca Diego, die Freude ist ganz auf meiner Seite, Mr. Kostan. Sophia hat so viel von Ihnen erzählt...“ Ohne hin zu sehen spürte ich, wie Sophia errötete.
„Jaaa, Mom. Lass uns endlich fahren, ich will etwas anderes sehen als Sand, Kühe und ein stickiges Zugabteil in dem das Fenster sich nicht öffnen lässt.“ sagte sie und zog ihre Mutter an der Hand hinter sich her durch die Menschenmassen und hinaus zum Parkplatz. Vor meinem Auto blieben wir stehen und ich merkte, wie den beiden die Kinnlade herunterfiel, auch wenn sie es nicht zeigten.

„Wow!“ murmelte Sophias Mutter ehrfürchtig und strich über den Lack. Sophia musterte mich skeptisch von der Seite.
„Das ist nicht wirklich deines, oder?“ murmelte sie aus dem Mundwinkel, während wir ihrer Mutter dabei zusahen, wie sie das Auto bestaunte, als wäre es das erste, was sie sah.
„Natürlich ist das meines. Wenn man Geld hat, wieso dann eine Rostlaube fahren, wenn man das beste vom besten haben kann?“ murmelte ich zurück und hielt dann erst Rebecca, dann Sophia die Tür auf und ließ sie einsteigen, bevor ich mich hinters Steuer setzte und wir zu Sophias Wohnung fuhren.

Ich ging sogar so weit, den beiden Damen die Taschen nach oben zu tragen. Sophia huschte ins Schlafzimmer, um auszupacken.
„Das kann ich doch auch machen.“ sagte ich im Türrahmen stehend, aber sie schüttelte lachend den Kopf.
„Ich mache das schon. Unterhaltet ihr zwei euch mal.“ sie kam zu mir, umarmte und küsste mich. „Ich hatte meine Mutter die letzten vier Wochen nonstop um mich herum, das reicht erstmal. Lernt ihr euch mal genauer kennen und dann können wir....“
Sie wurde nur vom Klingeln meines Handys unterbrochen.
„Josef Kostan.“ sagte ich, auch wenn ich wusste, wer dran war. „Nein, konntest du auch nicht, weil ich nicht zu Hause bin. Ich bin bei Sophia. Ja... was, jetzt? Kann das nicht warten? Okay... ich komme.“ ich legte auf und sah Sophia entschuldigend an. „ Das Kennenlernen muss dann wohl noch ein Weilchen warten. Mick braucht meine Hilfe.“ ich küsste sie auf die Stirn und atmete nochmal ihren Duft ein, bevor ich mich losmachte und dorthin ging, wohin Mick mich bestellt hatte.

Natürlich brauchte er mich nicht wirklich. Aber das „Las Vegas“ war schon eine beeindruckende Erscheinung. Und nur um hier zu spielen und die eine oder andere Frau anzuzapfen war Mick sicherlich nicht hier... oder doch?
Als ich den Laden betrat und Mick am Roulette entdeckte, war ich mir sicher, dass er genau deswegen hier war. Zum Spielen natürlich, nicht um irgendwelche unschuldigen Frauen in die unglaublich attraktiven Hälse zu beißen.
Ich setzte mich wortlos neben ihn und machte meinen Einsatz.
„Sophia ist also wieder da?“ fragte er und lächelte mich an.
„Jap.“ Innerlich fragte ich mich, warum es so dringend war, dass ich hier sein musste.
„Na dann ist ja jetzt alles in Butter, hm?“
„Jap.“ ich folgte der Kugel mit den Augen und sie landete auf der 13. Nicht meine Zahl, ich hatte auf die 4 gesetzt. So bekam eine junge Dame mir gegenüber den Einsatz. Ich prüfte die Luft. Mit mir und Mick saßen noch zwei andere Vampire am Tisch. Die junge Frau, die gerade gewonnen hatte und ein junger Typ, der aussah wie 16, neben ihr. Er hatte kein Geld gesetzt und tat es bei der nächsten Runde auch nicht. Ich beugte mich zu ihr herüber, während ich meinen Gewinn einstrich, denn diesmal war es die 4 die Gewinnzahl.
„Glückwunsch.“ sagte ich. Sie sah mich verwirrt an. Ihre Augen waren von einem hellen grün, ihr Haar war blond. Sie war erst seit kurzem Vampir, das roch ich deutlich.
„Wozu?“ fragte sie mit hochgezogener Augenbraue.
„Na, zu Ihrem Gewinn vorhin. Zweitausend Dollar sind nicht wenig Geld.“ Der Vampir links von ihr schnaubte missbilligend.
„Anfängerglück. Die 13 bringt dir nur Pech, Mädchen. Jetzt zeige ich dir mal, wie das richtig geht.“ Mir gefiel der Kerl nicht. Ich war selbst in manchen Situationen ein wortgemäßes Arschloch, aber der Kerl war mir von Anfang an zu wider.
Ich beobachtete, wie er hundert Dollar aus der Tasche zog und auf den Tisch warf.
Oh, der Kleine hatte ja doch Geld dabei. War er vielleicht nur zu geizig, um es einzusetzen? Aber dann hatte er wieder kein Glück. Wieder gewann die 13. Als die Vampirin nach ihrem Geld griff, streiften sich ihre Arme und der Vampir neben ihr grollte. Sie starrte ihn erschrocken an.
„Kannst du nicht aufpassen?!“ zischte er sie an. Sie schaute verwundert und auch verängstigt.
„Es tut mir Leid, ich wollte nicht...“

Ich hob beschwichtigend die Hand.
„Reiß dich am Riemen, Junge. Die Frau hat dir nichts getan, kein Grund, sie so anzufauchen!“ knurrte ich. Mick neben mir sagte nichts, aber ich wusste, dass alle seine Sinne bis auf Äußerste gespannt waren.
„Halt's Maul!“ kam es quer über den Tisch. Ich quittierte das mit einem so niedrigfrequenten Grollen, dass die Menschen sicherlich nichts mitbekamen, wohl aber alle anwesenden Vampire. Es war ein Laut, der einem die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.
„Ich schätze“, sagte ich mühsam beherrscht, „du solltest jemandem, der geschätzte vierhundert Jahre älter ist als du, etwas mehr Respekt zollen.“ Mick schloss seine Hand um meinen Arm und ich folgte seinem Blick und begegnete dem verwirrten Blick des Geldgebers, der die Konversation belauscht hatte und dem sicherlich kein Wort entgangen war. Der fremde Vampir hatte es auch gesehen und stand auf.
„Entschuldigen Sie.“ sagte er und ging zu dem Geldgeber herüber, „Die Toilette funktioniert nicht richtig, könnten Sie sich das vielleicht mal ansehen?“ fragte er und schloss eine Hand wie einen Schraubstock um den Arm des Mannes.
„A-also... normalerweise macht das der Hausmeister.“ stotterte er und suchte meinen Blick, aber ich tat, als bekäme ich nichts mit und hielt den Blick gesenkt auf den Spieltisch gerichtet. Mick tat es mir nach, aber ich wusste, dass auch er nur auf ein verdächtiges Geräusch lauerte. Wir sahen den Vampir mit dem Geldgeber verschwinden.

Stutzig wurde ich erst, als er Minuten später ohne den Geldgeber wiederkam. Da klingelten alle Alarmglocken und ich erhob mich.
„Mick“, sagte ich deutlich hörbar, „musst du nicht gerade auch furchtbar dringend zur Toilette?“
Er starrte mich zwei Sekunden perplex an, dann begriff er.
„Unheimlich dringend! Ich hoffe, jetzt funktioniert sie wieder.“ er stand auf und zusammen gingen wir den Weg zu den Toiletten. In der Toilette war der Geldgeber nicht, aber daneben gab es eine kleine Abstellkammer. Durch die Schlitze in der Tür drang ein Geruch heraus, den ich kannte. Menschengeruch. Mick musste die Tür eintreten, um herein zu kommen. „Ah, hier finden wir dann auch unseren Geldgeber.“ sagte ich gespielt überrascht. Ich sah hoch. „Aber ich glaube kaum, dass er hier rein gegangen ist, von außen abgeschlossen hat, um dann die Luftschächte zu verbarrikadieren, weil er ja so gern sterben wollte.“ sagte ich und wies auf die Schächte, die zugeklebt worden waren. Die Arbeit war nicht gründlich gemacht worden, scheinbar, weil keine Zeit dazu gewesen war,
Mick war neben dem Toten niedergekniet und drehte seinen Kopf zur Seite. Aus zwei kleinen Löchern im Hals lief immer noch Blut, wenn auch schwach, da fast nichts mehr da war. Von meinem Standpunkt an der Tür hörte ich nichts mehr. Sein Herz schlug nicht mehr.
„Da hatte unser cholerischer kleiner Freund wohl Durst.“ sagte ich und ging wieder nach draußen. Mick wischte sich die Hände an der Kleidung des Toten notdürftig sauber, bevor er ins Bad ging und sich die Hände am Waschbecken wusch.
„Und was willst du jetzt tun?“ fragte ich, während er Papierhandtücher aus dem Spender rupfte und sich damit die Hände trockenrieb, bevor sie im Mülleimer landeten.
„Das wirst du gleich sehen.“ sagte er und ging nach draußen. Ich folgte ihm mit schnellen Schritten. Am Tisch saß bereits ein neuer Geldgeber. Micks Hand schoss vor und legte sich um den Arm des jungen Mannes. Gewaltsam zerrte er ihn hoch. Ich nahm die andere Seite. Wir trugen ihn praktisch nach draußen.
„Ich glaube, du hast dein Auto falsch geparkt, Freundchen.“ zischte ich ihm für alle gut hörbar ins Ohr. Draußen auf dem Platz ließen wir ihn fallen und er blickte hasserfüllt zu uns auf.

Bevor noch einer von uns handeln konnte, stand die junge Vampirin von unserem Tisch wieder vor uns und streckte uns abwehrend die Hände entgegen.
„Nicht!“ rief sie schrill und ich knurrte. „Geh beiseite, Mädchen. Von so etwas verstehst du nichts!“ knurrte ich, aber sie wich keinen Schritt.
„Bitte! Er hat es bestimmt nicht so gemeint!“ ich ließ mich nicht erweichen und wollte sie beiseite schieben, schaffte es aber nicht. Sie stand wie fest zementiert.
„Versteh doch, er muss bestraft werden für das, was er getan hat! Wir haben Regeln, die eingehalten werden müssen!“ grollte nun auch Mick. Wir waren so mit der jungen Frau beschäftigt gewesen, dass wir nicht gemerkt hatten, wie der Kerl sich davonmachte. Als ich zu Boden blickte, wo er eigentlich immer noch hatte liegen müssen, war er weg.
Nur ein Rascheln in den Bäumen verkündete den Weg seiner Flucht.
„Na toll!“ stöhnte ich und sah Mick an. Gemeinsam setzten wir ihm nach.
 
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