Meine Geschichten
  Die Suche beginnt
 
Nach Mick zu suchen war in etwa so, als wolle man eine Nadel in einem Riesenheuhaufen finden. Und das meine ich ganz wörtlich.
Ich konnte ihn fast verstehen. Wer nicht gefunden werden will von uns Vampiren, wird auch nicht gefunden. Ich hatte nicht Micks detektivisches Talent oder Gespür. Aber ich musste es versuchen. Ich musste meinen Freund davor bewahren, eine Dummheit zu machen.

Seufzend schaltete ich das Telefon aus. Ich hätte mir fast denken können, das Mick nicht an sein Handy ging. Vielleicht hatte er es unterwegs in einen Mülleimer geworfen. Ich fluchte unterdrückt und schob den bequemen Drehstuhl zurück, in dem ich gesessen hatte. Den Computer fuhr ich herunter, dann stand ich auf und wollte gehen, als mir noch etwas einfiel.
Noch einmal fuhr ich den PC hoch und suchte im Internet nach Informationen über Mick.
Ich wusste so gut wie alles über ihn, denn wir kannten uns schon, als er noch ein Mensch gewesen war, aber immerhin war „so gut wie alles“ eben nicht alles. Vielleicht hatte ich etwas übersehen, einen kleinen Hinweis, nur eine Winzigkeit an Information...
Ich hörte, wie meine Sekretärin hinter mich trat. Sie war die Einzige, die das durfte, mich bei der Arbeit stören.
„Mr. Kostan, suchen Sie immer noch nach Ihrem Freund?“ fragte sie freundlich, aber es klang ein wenig entrüstet und vorwurfsvoll.
Ich lächelte still und drehte mich halb zu ihr herum. „Ich habe eben die Hoffnung noch nicht aufgegeben.“ erwiderte ich und wandte mich wieder dem Bildschirm zu. Wow, Mick hatte ein MySpace-Profil. So langsam kam er wirklich im 21. Jahrhundert an. Es hatte ja auch lange genug gedauert.
„Ja, aber manchmal ist jede Hoffnung vergebens.“ Immer diese Schwarzmalerei. Wie ich das hasste. Wenn Sie nicht so tüchtig arbeiten würde und so köstliches Blut hätte, wäre sie wahrscheinlich mit einem Kündigungsschreiben in ihrer Tasche aus dem 20. Stock dieses Hauses geflogen, noch bevor sie „Piep“ sagen konnte.
„Wissen Sie was, Thrisha?“ fragte ich in versöhnlichem Ton und tippte mir mit dem Finger ans Kinn.
„Ich glaube einfach, ich habe noch nicht genug getan. Irgendwo muss er doch Hinweise hinterlassen haben.“
Hinweise hinterlassen... wie bei einer Schnitzeljagd.
Sie drehte sich um und ging zur Tür. „Nun, wenn Sie mich suchen, ich bin im Vorzimmer. Sie können sich ja melden, wenn Sie etwas trinken möchten.“

Ein Zuruf von mir hielt sie zurück.
„Ich glaube, ich nehme den Drink jetzt. Mit leerem Magen arbeitet es sich so schlecht.“ Sie machte die Tür zu und kam zu mir zurück.
Sie rollte den rechten Ärmel ihrer Bluse nach oben und bot mir ihre Pulsader an. Ich musste nicht einmal aufstehen, um ihr die Zähne in den Arm zu schlagen. Im Sitzen essen war doch bequemer.
Ihr Kopf sank auf meine Schulter, während ich trank, und als ich genug hatte, ließ ich von ihr ab. Reichte ihr ein Taschentuch, um die Wunde zu verbinden, während sie ihre Bluse richtete und wieder hinausging.
Ich leckte mir die Lippen und zog die Reißzähne in den Oberkiefer zurück. Das tat gut. Ich merkte, wie das frische Blut meine Gedanken auf Trab brachte. Mein Gehirn brachte wieder Höchstleitungen und ich setzte mich zurück an den PC, um noch ein bisschen weiter zu suchen.

Aus einem Impuls heraus rief ich Logan Griffen an, weil er gut mit Mick befreundet gewesen... er war gut mit Mick befreundet. So, wie ich das dachte, klang es, als wäre Mick tot. Ich schüttelte mich unwillkürlich.
„Logan Griffen, was kann ich für Sie tun?“ tönte es aus dem Lautsprecher. Ich hatte das Telefon auf laut gestellt, weil ich mir nicht den Hörer ans Ohr klemmen wollte. Im Hintergrund schepperte Rockmusik. Vielleicht saß er gerade wieder an seiner E-Gitarre.
„Logan, Josef Kostan hier. Ich brauche deine Hilfe.“ Etwas schlürfte. Trank der Kerl sein Blut wirklich mit dem Strohhalm? Wie geschmacklos. Fast hätte ich aufgelegt und Ryder angerufen, bis mir einfiel, dass der ja immer noch auf den Bahamas „Zwangsurlaub“ machte.
„Schieß los, ich bin ganz Ohr.“ Schon wieder dieses Schlürfgeräusch. Das trieb mich langsam aber sicher zum Verzweifeln.
„Mick ist weg.“ Ich hatte es so kurz und schmerzlos machen wollen wie möglich. Das war immer besser so.
Ein Geräusch, als ob ein Teekessel überkochen würde, drang durchs Telefon, dann hustete Logan. War ihm vor Schreck das Blut in die falsche Kehle gerutscht? Geschah ihm recht.

„Verzeihung, was hast du gesagt? Ich habe verstanden „Mick ist weg“, aber das muss ein Übertragungsfehler des Telefons gewesen sein...“
Ich wusste schon immer, das laute Musik irgendwann taub macht, aber bei einem Vampir war das eigentlich nicht möglich.
Ich seufzte. „War es nicht. Er ist seit einer Woche verschwunden und ich weiß nicht, wohin. Ich dachte, dir hätte er vielleicht etwas gesagt oder du wüsstest eine Möglichkeit...“ Die Musik wurde ausgeschaltet und mehrere Sekunden herrschte Stille, bis auf das gelegentliche Schlürfen des Strohhalmes.
Mir riss der Geduldsfaden. „Logan“, zischte ich in den Hörer, „hättest du die Güte, entweder dein Glas nachzufüllen oder den Strohhalm zu vernichten? Das nervt!“ Etwas klirrte und er fluchte unterdrückt.
„Hat sich gerade erledigt. Deinetwegen kann ich jetzt den Teppich reinigen lassen.“
Pech. In Wohnungen, in denen Blut getrunken wird, sollten auch keine teuren Teppiche herumliegen, dachte ich leise und wartete ab.
„Also?“ fragte ich, als sich immer noch nichts regte.
Tastenklappern.
„Ich kann versuchen, sein Handy zu orten, gesetzt den Fall, er hat es bei sich und eingeschaltet. Gib mir mal die Nummer.“ Ich diktierte sie ihm langsam und deutlich. Wieder hörte man nur die Tasten klappern, sonst hörte man nichts.
„Okay... er hat das Handy eingeschaltet.“ Ich griff nach meinem Mobiltelefon und wählte Micks Nummer. Es klingelte, klingelte, klingelte. Er nahm nicht ab. Vielleicht weil er nicht wollte. Vielleicht, weil er nicht konnte.
„okay, ich hab es. Es befindet sich in... einem kleinen Park. Seattle.“
Ich horchte auf.
„Seattle? Bist du sicher?“
„Hundertprozentig. Das Gerät lügt nie.“ Etwas Stolz schwang in seiner Stimme mit. Nein, vielleicht log das Gerät nie, aber Mick könnte sich schon lange des Handys entledigt haben und wo anders sein und wir würden es nie erfahren.
Was zum Teufel wollte Mick in Seattle? Er hatte schon immer in Los Angeles gelebt, seit ich ihn kannte. Das Haus, in dem er aufgewachsen war, stand noch hier in dieser Stadt. Meine einzige Erklärung, die ich hatte, war, das er so weit wie möglich weg wollte. Und daran musste ich ihn unbedingt hindern.
In dem Moment nahm jemand ab. Mir war gar nicht bewusst gewesen, das ich immer noch Micks Nummer anrief.
„Mick St. John?“ Aber da hatte ich schon aufgelegt. Mick würde früher oder später wissen, das ich hinter ihm her war. Ich musste es ihm nicht ins Gesicht schreien.
„Danke, Logan. Du hast mir sehr geholfen.“ flüsterte ich ins Telefon. Meine Stimme klang heiser vor Aufregung. Endlich gab es Hoffnung, Mick doch noch zu finden.
„Keine Ursache. Immer wieder gern.“ Ich wollte schon auflegen, da ließ mich seine Stimme innehalten.
„Ach, wenn du ihn siehst, sag ihm, ich will bezahlt werden. Geld oder Blut. Was anderes nehme ich nicht.“
„Mach ich, Logan. Bye.“ ich wartete gar keine Antwort ab, sondern legte einfach auf.

Seattle, dachte ich beschwörend. Seattle, Seattle, Seattle. Wehe du verdrückst dich, bevor ich dich gefunden habe, Mick St. John! Ich verließ in aller Hast mein Büro, sagte Thrisha nicht mal Auf Wiedersehen, sondern ging gleich runter in mein Apartment und zog eine Reisetasche unter einer Kommode hervor. Ich würde nicht viele Sachen einpacken, nur so viel, wie ich brauchte, um ein paar Wochen zu verschwinden. Vielleicht auch nur ein paar Tage. Das kam darauf an, wie schnell ich Mick fand. Und vor allem, wie schnell er sich finden ließ.
 
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