Meine Geschichten
  Ein Gespräch in der Nacht
 
Ich hatte Mick schon lange beobachtet. Vielleicht merkte er es nicht, oder er merkte es doch und scherte sich nicht darum. Aber ich merkte sehr wohl, das es ihm nicht gut ging. Seelisch gesehen. Es war, als hätte ihm jemand die Todesstrafe angedroht und der Termin stünde schon fest, das Blatt der Guillotine ständig über seinem Kopf wie das Damoklesschwert.
Ich verstand zuerst nicht ganz warum. Er war doch glücklich mit Beth. Und sie hing gerade zu manisch an ihm, etwas, das mich anfangs mehr als alles andere gestört hatte. Beth hier, Beth dort, Beth überall. Mick konnte an gar nichts anderes mehr denken, sah nichts anderes mehr, hörte nicht.
Es war mehr zwischen den beiden als das Verhältnis eines Freshies zu einem von uns. Wie viel mehr, fiel mir zu spät auf. Da hatte es Mick schon völlig in den Bann geschlagen.


Es war schon zu fortgeschrittener nächtlicher Stunde und ich war gerade dabei, mir einen Drink einzugießen, als das Telefon klingelte. Auch ohne auf das Display zu sehen wusste ich, das Mick am Telefon war. Es war dieses merkwürdige Gefühl, das man hat, wenn etwas großes bevorsteht. Man weiß nicht, was es ist, aber es ist da. Du weißt nicht, wann es passieren wird, aber es wird passieren. Ganz sicher. Hundertprozentig sicher.
Ich nahm ab. „Mick, wie schön, deine Stimme zu hören.“ sagte ich, bevor er noch etwas wie ein „Hallo“ oder „Wie geht es dir?“ sagen konnte. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal Zeit gehabt, Luft zu holen.
„Josef, ich muss mit dir reden.“ ich seufzte innerlich. Wieso war ich plötzlich der Seelsorger der Vampirgesellschaft?
„Ja, Mick, danke, mir geht es gut, freut mich, das dich das so interessiert.“ meine Stimme bleib gleichmäßig freundlich, aber er hörte die kleine Spitze, die sich zwischen den Worten versteckt hatte wie ein Schwert.
Ich konnte praktisch sehen, wie er die Augen rollte und musste mir ein lachen verbeißen.
„Lass den Blödsinn. Also, hast du zeit oder nicht? Es ist wirklich wichtig.“ Dieses kleine bisschen Entnervung in seiner Stimme, nur übertroffen von dem Drängen, das sich leise dazwischen stahl. Es musste wirklich dringend sein.
„Du weißt doch, wie das ist. Uns steht die ganze Nacht zur Verfügung, also...“ ich nahm einen Schluck aus meinem Glas und wollte weitersprechen, aber er ließ mich nicht.
„Gut. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.“ Tuuut, tuuut, tuuuut. Er hatte einfach eingehängt. Frustriert und leicht säuerlich starrte ich den Telefonhörer an, bevor ich auflegte und mein Glas leertrank.

Zwanzig Minuten, die ich damit verbrachte, unruhig im Arbeitszimmer meines Büros auf und ab zu gehen. Ich hätte ein Stockwerk tiefer in mein Penthouse gehen können, aber ich blieb, wo ich war. Was konnte so dringend sein, das Mick es mit mir besprechen musste?
Pünktlich um Mitternacht klopfte es und ich ging hin und machte auf. Mick stand in der Tür. Ich ließ ihn eintreten und ging zum Kühlschrank, um etwas zu trinken für uns beide zu holen. Schönes, eisgekühltes 0-Positiv. Ich schenkte zwei Gläser voll und räumte den Rest wieder weg. Dabei erhaschte ich einen Blick über die Schulter auf meinen besten Freund. Er sah wirklich miserabel aus. Die Hände im Schoß verkrampft und leicht vorgebeugt starrte er Löcher in meinen teuren indischen Florteppich.
Ich stellte sein Glas vor ihm ab und schwang mich in einen der gemütlichen, cremefarbenen Sessel ihm gegenüber. Er rührte sein Glas nicht an, starrte weiter auf dem Teppich.
„Also los, spucks aus. Was ist los?“ fragte ich und versuchte dabei möglichst gelangweilt zu klingen, gleichgültig und nicht so, als würde es mich brennend interessieren, was ihn bewegte.
Schweigen. Sein Blick huschte zwischen Glas und Teppich hin und her, als erwäge er, es darauf auszukippen. Das sollte er besser nicht tun, dachte ich leise. Blut kriegt man so schlecht raus aus diesem Teppich.
Schließlich griff er doch nach dem Glas und trank in kleinen, vorsichtigen Schlucken, so, als wäre es das erste Mal, das er Blut trank und ein bisschen so, als würde es ihn anekeln.
Ich roch erst genießerisch an meinem Glas, wie man das Bouqet eines Weines prüft, bevor man den ersten, vorsichtigen Schluck nimmt und nahm einen größeren Schluck als er. Ah, das tat gut.
Ich stellte mein Glas mit einem klirrenden Geräusch auf dem Tisch ab und fixierte meinen Freund streng. Noch immer machte er keine Anstalten, etwas zu sagen.
„Nun komm schon, Mick. Es ist mehr als offensichtlich, das du was auf dem Herzen hast, und warum bist du denn sonst hier, wenn du mir sagst, du willst reden? Aber das tust du nicht. Du guckst meinen Teppich an. Gefällt er dir? War gar nicht so leicht, ihn zu bekommen. Persischer Import. Hat mich ein kleines vermögen gekostet, aber er war es wert.“ Beiläufige Konversation. Immer gut, wenn man jemanden aus der Reserve locken wollte, aber heute schien es nicht so richtig zu funktionieren.
„So einer würde sich in deiner Wohnung bestimmt auch gut machen. Im Wohnzimmer zum Beispiel. Wenn du deine Kühltruhe irgendwann lästig findest, kannst du dann da drauf schlafen.“
Ich lachte leise, aber es klang falsch und er wusste das. Endlich sah er mich an, machte den Mund auf, druckste herum und machte ihn wieder zu.
Ich stöhnte innerlich auf.
Er war doch sonst nicht so mundfaul.
„Mick, wenn du nicht gleich sagst, was los ist, werde ich ungemütlich.“ drohte ich und wedelte mit dem Zeigefinger. Keine Reaktion. Nicht mal ein Lächeln. Ich lauschte, weil ich fast fürchtete, er wäre aus unerfindlichen Gründen auf der Couch gestorben.
Konnte er ja eigentlich nicht, aber bei Mick wusste ich nie, was er konnte und was nicht.
Okay, dann musste das wohl ein Monolog werden.
„Also ich nehme mal an, das es doch eine Grund hat, warum du hier bist, sonst wärst du nicht hier. Und ich nehme auch mal an, das es einen Grund hat, warum du jetzt dasitzt wie gepfählt und den Mund nicht auf bekommst.
Und dazu habe ich zwei Theorien. Erstens“ ich stand auf und nahm mein Glas mit zum Fenster, drehte ihm den Rücken zu, „Coraline ist wieder in der Stadt und irgendwie hat sie dich gefunden und braucht wieder deine Hilfe. Vielleicht hat sie dir angeboten, wieder sterblich zu sein, aber da kommst du in Konflikt mit dir selbst. Du willst unsterblich sein, aber du willst es auch nicht. Und das bringt mich zu meiner zweiten Theorie.“ Da die erste ja nicht zu stimmen schien, denn er zeigte immer noch keine Reaktion.
„Meine zweite Theorie wäre, es geht um Beth.“ Ein leises Aufstöhnen von der Couch. Volltreffer. Was war ich doch gut.
„Also geht es um Beth.“ Die Couchfedern quietschten, so als rutsche Mick unbehaglich darauf herum.
„Lass mich erst ausreden, bevor du etwas sagst, okay?“ fragte ich und drehte mich endlich zu ihm um.
Er starrte immer noch auf den Teppich, das Glas in seiner Hand zitterte.
„Hör mal, wenn dir der Teppich so gut gefällt, besorge ich dir auch einen. Geht aufs Haus.“ Er vergrub den Kopf in den Händen und stöhnte schon wieder. Musste ja schlimmer sein als gedacht.
„Also, meine zweite Theorie wäre, wenn es um Beth geht... du willst sie nicht in Gefahr bringen und hältst deswegen eine Beziehung mit ihr für das falscheste, was du tun könntest. Aber du liebst sie, sie liebt dich, etc., etc. Und vielleicht bist du zu feige, ihr das ins Gesicht zu sagen und deswegen willst du...“ ich drehte mich für den Bruchteil einer Sekunde zum Fenster, „...ihr sagen, das du niemals mit ihr zusammen sein kannst und gleichzeitig willst du das doch, denn das ist...“ ich drehte mich wieder in seine Richtung und er... war weg. Das Glas stand halb ausgetrunken auf dem Tisch, aber Mick war weg.
Ich fluchte unterdrückt und trank mein Glas aus.
Es würde sich schon zeigen, was mit ihm war. Früher oder später. Dachte ich zumindest.
 
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