Meine Geschichten
  Eine ernste Sache
 
Sobald die Kleinen verschwunden waren, drehte sich der alte Drache wieder zu den anderen um. „Ich habe schlechte Nachrichten für Euch.“ Sagte er halblaut, sodass ihn die Kleinen nicht hören konnten, die in einiger Entfernung spielten.
„Mir wurde von seltsamen Vorkommnissen außerhalb der Grenzen dieses Landes berichtet. Im Land der Elben soll es immer wieder zu Kämpfen kommen. Ich weiß nicht warum, oder wieso, aber mir wurde das so gesagt.“ Er machte eine Pause, um das Gesagte sacken zu lassen.
„Und… was geht uns das an?“ fragte ein Drache zögernd. „Ich meine, wenn die Elben sich unbedingt selbst ausrotten wollen, sollen sie es tun, aber was haben wir….“ Der alte Drache sah ihn müde an. Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Du machst es dir wieder viel zu einfach. Was uns das angeht? Natürlich geht es uns an. Ihr habt mich nicht zu Ende sprechen lassen. Irgendetwas verzaubert einige der Elben. Und nebenbei auch noch andere Geschöpfe. Die Einhörner zum Beispiel. Sie machen sie zu ihrem Reittier. Sie werden… wie soll ich sagen… irgendetwas macht sie böse. Ihr wisst, das Elben und Einhörner als Sinnbild des Guten und Reinen dargestellt werden. Aber irgendetwas raubt ihnen diese gute kraft und kehrt sie ins Gegenteil um. Sie werden böse. Seelenlos böse. Sie…töten alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Und sie bleiben nicht in ihrem land. Diese…Seuche, die sich da entwickelt hat, greift auch auf unser Land über. Wir müssen…“ Wieder wurde er unterbrochen.
„Aber… woher sollen wir denn wissen…ich meine, wer sagt uns denn, was diese Seuche, wie du sie nennst, Ältester, auslöst? Wie können wir sie bekämpfen? Und können wir uns dagegen überhaupt schützen? Du sagst auch in unserem Land fängt es an. Was macht dich da so sicher?“ fragte mein Vater.
„Aratar, ich verstehe, das du so fragst. Würde ich auch tun, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte.“ Ein Raunen ging durch die menge. „Du hast es selbst gesehen? Wie? Wo? Wann?“ fragten mehrere Stimmen gleichzeitig.
„Einer meiner Späher berichtete mir, er habe schwarze Gestalten durch den Wald huschen sehen und sei ihnen gefolgt. Es waren vermummte große Gestalten auf schwarzen Pferden. Der Geruch des Bösen haftete an ihnen und er drehte um, bevor sie ihn sahen. Und was er sagt, scheint zu stimmen. Denn erst vor zwei Nächten sah ich sie selbst dort auf den Hügeln.“ Er zeigte mit einer Klaue nach Westen, wo über den sanften Hügeln noch die Sonne stand.
„Mehr als das braucht es nicht, oder müsst ihr sie erst mit eigenen Augen sehen, bevor ihr mir glaubt? Wann habe ich euch jemals belogen, oder in die Irre geführt? Wann?“ fragte er und blickte sie einen nach dem anderen an. Die anderen Drachen senkten die Köpfe. Natürlich glaubten sie ihm. Das hatten sie immer schon getan.
„Aber…aber was sollen wir denn tun?“ fragte ein weiterer Drache. „Ich meine, sollen wir sie einfach hier einfallen lassen, wenn es schon so viele sind? Sollen wir nicht viel eher Kämpfen und uns verteidigen?“
Der Alte schnaubte leise. „Wie willst du dich gegen etwas verteidigen, von dem du nicht einmal weißt, wie viel Macht es besitzt, geschweige denn welche? Wie willst du gegen etwas kämpfen, dessen genauen Aufenthaltsort du nicht kennst? Wie willst du gegen etwas kämpfen, was im Verborgenen lebt und sich nur dann zeigt, um diese Morde zu begehen?“
Ein weiterer Drache trat vor. „Aber…wir können es immerhin versuchen, oder? Wenn eines von diesen…Dingern hier her kommt, töten wir es. Und wenn noch mehr kommen, töten wir die auch. So einfach ist das. Ich meine, wer wird sich denn mit uns anlegen? Wir sind Drachen! Wir sind stärker als jedes andere Volk auf dieser Welt!“
Der Alte lachte heiser und funkelte den anderen Drachen belustigt an.
„Hast du mir nicht zugehört? Wie willst du das bitte machen? Das würde ich zu gerne sehen. Fakt ist, wir können erst etwas tun, wenn wirklich Handlungsbedarf besteht. Solange noch nichts vorgefallen ist, sehe ich mich unfähig, zu handeln. Und jetzt könnt ihr gehen.“
Einige Drachen schnaubten entrüstet. “Will er denn gar nichts tun?“
„Uns einfach ins Messer laufen lassen?“
„Wie kann er das tun? Er sollte uns beschützen!“
Doch der Alte hörte es schon gar nicht mehr. Er war schon davongeflogen. Einer nach dem anderen hoben auch die anderen Drachen ab. Meine Eltern kamen zu mir. Ich sah es in Mutters blick, das etwas nicht stimmte.
„Mama, was ist denn?“ fragte ich.
Sie seufzte. „Es ist nichts. Lass uns nach Hause fliegen.“ Sie umfasste mich wieder mit beiden Klauen und zusammen flogen wir heim.

Es sollten Wochen vergehen, bis der Alte wirklich „Handlungsbedarf“ bekam.
Ich hatte eine schöne Kindheit, das würde ich nicht bestreiten. Ich hatte Cárië, und wir unternahmen täglich etwas. Wir gingen herunter in den Bergen und später, als ich schon fliegen konnte, flogen wir zum Fluss oder einfach nur über das weite Grasland, das sich dort ausdehnte. Ich musste keinen Feind fürchten, denn hier waren alle sehr freundlich. Ich liebte es, ganz niedrig über die Halme zu gleiten, darin zu landen und mit der kleinen Fee oder den anderen Drachenkindern verstecken zu spielen.
Ich hatte viele Freunde, und wir trafen uns regelmäßig zum spielen in den Wiesen. Meine beste Freundin hier war Lhasbelin, was Herbst bedeutet. Ihre Schuppen hatten die Farbe von purem Gold, ihre Augen strahlten hellrot und ihre Krallen und Zähne waren weiß wie meine. Ihr Feenmann und meine Fee schienen Gefallen aneinander gefunden zu haben, denn ständig schwirrten sie umeinander herum und spielten ihre eigenen kleinen Spiele. Lhasbelin und ich vertrieben uns die Zeit im Wald oder draußen im Gras, zählten Wolken und nachts schauten wir in die Sterne. Ich mochte sie sehr. Doch eines Tages erzählte sie mir etwas, das mich doch beunruhigte.
„ Wo warst du denn bei der letzten Versammlung? Deine Eltern waren da, aber wo warst du?“ ich hörte auf, die Wolken zu betrachten und sah sie an.
„Ach, ich hatte einfach keine Lust. Ich kann doch selbst entscheiden. Was war denn so wichtiges?“
Sie schaute mich irritiert an.
„ Es… sind wieder welche von diesen wesen gesehen worden, ganz dich bei der Grenze. Der Älteste meint sogar, dass welche ins land eingedrungen sind. Aber das kann eigentlich nicht sein, denn die Grenzen werden doch ständig überwacht.“ Sie runzelte die Stirn.
„Hat der Alte dann endlich *Handlungsbedarf* gefunden?“ fragte ich mit einem aufgesetzten Grinsen. Sie sah mich von der Seite an und zog eine Augenbraue hoch. „Wie redest du? Meinst du, du kannst es dir erlauben?“
Ich lachte nur. „Ich glaube, ich bin alt genug, das zu entscheiden. Ich werde nicht mehr zu diesen Versammlungen kommen. Kannst das deinem Alten ja ausrichten, wenn du ihn das nächste Mal siehst. Und sollte er sich dann doch gezwungen sehen zu…handeln, auf meine Hilfe kann er gerne verzichten. Als ob wir jetzt nicht handeln müssten!“
Sie sah ein bisschen erschrocken aus. „Wie kannst du so reden? Ich verstehe das nicht! Ich dachte du bist damit einverstanden. Ich meine, was sollen wir denn machen, solange wir noch keine Beweise haben??“ fauchte sie. Sie drehte sich weg und sah einem Vogel hinterher, der niedrig über das Gras strich. Ich knurrte leise und wollte noch etwas sagen, doch sie hatte schon abgehoben und war davongeflogen.

Als ich später an diesem Abend nach Hause kam, warteten meine Eltern und Cárië schon auf mich. „Wo bist du gewesen, Aníro?“ fragte meine Mutter besorgt. Ich knurrte nur. Sie sah mich missbilligend an. „ Deine Freundin hast du auch allein gelassen. Cárië kam vorhin hierher du sagte, du seiest ihr entwischt.“
Ich grollte leise. „Brauche ich jetzt schon ein Kindermädchen? Lasst mich doch in Ruhe. Ich bin alt genug, um alleine durch die Welt zu streifen, wie es mir passt.“
Sie machte erschrocken einen Schritt zurück, und jetzt war es an meinem Vater, zu knurren. Ich schnaubte nur. „So redest du nicht mit deiner Mutter!“ rief er.
Ich grummelte nur leise und zog mich in eine andere kleinere Höhle zurück. Missmutig lies ich mich in einer Ecke zu Boden fallen und legte den Kopf auf die Pranken. Cárië kam zu mir geflogen und setzte sich auf meine Nase. Wieder musste ich schielen, um sie zu sehen. Sie kicherte. Ich schnaubte und drehte den kopf weg.
„Also schön, was ist denn los? Was st in dich gefahren, dass du jeden anmaulen musst?“ fragte sie leise.
Ich sah sie wieder an. „Ich…finde es einfach nicht gerecht. Wir werden hier vielleicht bald angegriffen, und sitzen da auf ihren Hintern und tun nicht. Pff, warten bis Handlungsbedarf besteht. Wenn ich das schon höre. Wieso tun wir nicht etwas, solange wir noch nicht angegriffen worden sind? Muss erst jemand sterben, damit der Alte was tut?“ fragte ich erbost. Die Fee wich ein Stück vor mir zurück. „Aber was sollen wir denn tun? Lhasbelin hat schon Recht. Wen sollen wir denn angreifen, wenn diese… Wesen so schlau sind und sich nicht blicken lassen? Wir wissen nicht, wo wir anfangen sollen. Außerdem wissen wir ja nicht, ob das nur ein einzelnes Wesen ist oder gleich mehrere.“ Sie sah meinen Blick und beäugte mich kritisch. „Was hast du vor, Aníro? Sag mir nicht du…“
Ich sah sie an. „Wenn der Alte nicht handeln will, werde ich es tun. Ich finde diese…Dinger und jage sie. Und wenn ich sie alle getötet habe, dann können wir…“
Sie starrte mich erschrocken an. „Aníro, das darfst du nicht tun! Was würden deine Eltern sagen, wenn sie wüssten…“
„Aber sie werden es nicht wissen. Ich habe nicht vor, es ihnen zu sagen. Und tu du es bitte auch nicht. Begleite mich, oder bleibe hier. Mir ist das egal. Aber das Schicksal meines Volkes und meines Landes ist mir nicht egal. Ich gehe gleich, wenn die beiden schlafen. Wenn du hier bleibst, kannst du ja sagen ich wäre jagen gegangen und du wüsstest nicht, wann ich wieder käme.“
Sie starrte mich wieder an, diesmal voller Schock und Horror. „Sie werden dich suchen. Und wenn du meinst, ich bleibe hier, nur damit du dich heimlich davonschleichen kannst, hast du dich geschnitten. Ich komme mit dir.“
Plötzlich sah sie für ein so kleines Wesen erstaunlich wild aus.
„Entscheide das selbst. Ich zwinge dich nicht. Aber ich werde gehen. Jetzt gleich“. Ich hörte zwar noch das Feuer knistern, aber die Stimmen waren verstummt. Vorsichtig lugte ich aus meiner kleinen Höhle und sah sie um das Feuer liegen, sie schliefen. Zufrieden grinste ich und stahl mich an ihnen vorbei in die Nacht.
 
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