Meine Geschichten
  Die Befreiung
 
Wir waren noch nicht lange wieder unterwegs. Die Sonne versank langsam als orange glühender Ball im Westen, als wir einen kleinen Wald erreichten. Ich hatte mich dazu entschlossen, nicht zu fliegen und so lief ich mit den anderen durch den Wald.
Die Pferde hatten sich mittlerweile an meine Anwesenheit gewöhnt, sodass sie nicht mehr nervös und panisch scheuten, sobald ich ihnen zu nahe kam.
Aber wir alle waren müde, und so war es kein Wunder, das die Pferde einfach nur mit gesenkten Köpfen neben ihren Herrn her trotteten. Ab und zu stolperten sie über Wurzeln und Steine am Boden. Keiner von uns konnte sich nach dem langen Marsch des Tages noch auf den Beinen halten. Sogar die sonst so zähen Zwerge waren dem Umfallen nahe. Was aber vielleicht nicht allein an dem schweren Marsch lag, sondern an den schweren Rüstungen, die sie trugen.
Schließlich konnte Teccór nicht mehr und blieb stehen. „Können wir mal pause machen, bitte? Wir laufen jetzt schon den ganzen Tag, wann machen wir endlich Rast?“
Celahir drehte sich zu ihm um. „Sobald wir einen geeigneten Platz gefunden haben, werden wir dort unser Nachtlager errichten. Ich wusste gar nicht, das Zwerge so wehleidig sind. Ich dachte immer, ihr haltet so was aus.“
sagte er und grinste ihn an. Teccór grinste säuerlich zurück. „Aber auch ein Zwerg hält keinen Tagesmarsch mit schwerer Rüstung und ohne Aussicht auf Rast allzu lange durch.“ Er nahm seinen Rucksack ab und warf ihn zu Boden, dann setzte er sich daneben. „Wir machen genau hier Rast. Ich gehe keinen Schritt mehr weiter.“
Celahir seufzte und drehte die Augen in Richtung des sich langsam verdunkelnden Himmels.
Dann drehte er sich zu mir um. „Aníro, könntest du nicht...?“ Ich wusste sofort, auf was das hinauslaufen würde und hob abwehrend eine Klaue.
„Nein, auf gar keinen Fall. Sehe ich aus wie ein gewöhnliches Maultier, auf dem jeder reiten kann, wie es ihm passt? Ich bin ein freier Drache, und keiner, der sich von irgendwem sagen lässt, was er zu tun hat. Ich werde ganz sicher nicht irgend wen auf meinen Rücken lassen. Gib ihm doch eins der Pferde, wenn er nicht mehr laufen will. Obwohl ich auch der Meinung bin, wir sollten hier anhalten.“
Celahir seufzt entnervt „Schön, halten wir also hier.“ er ging zu seinem Hengst und nahm ihm den Sattel und das Zaumzeug ab, dann ließ er es frei herumlaufen. Die anderen legten ihr Gepäck auf einen großen Haufen und gingen hinunter zu dem Fluss, der durch den Wald floss um ihre Wasserflaschen zu füllen.
Varyemo hielt sich noch immer abseits von allen anderen, doch merkwürdigerweise nicht von mir. Er setzte sich zu mir, als ich es mir auf dem Waldboden so bequem wie nur irgend möglich gemacht hatte und den Kopf auf meine Pranken legte.
Ich wandte ihm den Kopf zu. „was willst du?“ schnaubte ich und funkelte ihn wütend an. Es gefiel mir nicht, ihn so nahe bei mir zu haben, irgendetwas war merkwürdig an ihm.
„Darf ich nicht hier sitzen?“ fragte er zurück. Er beobachtete die anderen, wie sie sich am Wasser erfrischten. Besonders die eine Elbin schien seinen blick auf sich gezogen zu haben. Er sah ständig nach ihr, und ich war sicher, das sie es merkte. Ich schnaubte und ließ den Kopf auf die Pranken sinken. „Du bist doch sonst auch nicht so anhänglich. Willst du nicht lieber für dich sein? Dein Wolf wird am ende noch eifersüchtig.“ sagte ich und blickte zu dem grauen Rüden herüber, der etwas abseits lag.
Varieté murmelte noch etwas, trollte sich aber dann. Ich war froh, denn ich musste ihn nicht unbedingt so dicht bei mir haben.

Es war mittlerweile fast komplett dunkel geworden, und so suchten die Zwerge etwas Feuerholz zusammen, während die Elben jagen gingen. Ich blieb zusammen mit den beiden Frauen und Varyemo in der Dunkelheit sitzen.
Wenig später kamen die drei Zwerge mit dem Feuerholz zurück. Recht erfolglos versuchte sich Casâr mit Feuerstein und Zunderbüchse, und ich musste grinsen, wenn auch gegen meinen Willen. Da kamen auch schon Celahir und Maedrhos mit dem erlegten Wild aus dem Wald. Es war recht schnell gegangen, das musste man ihnen lassen.  Sie nahmen das Tier aus und enthäutete es, dann teilten sie es in Stücke und steckten diese auf Äste, die dann in das Lagerfeuer gesteckt wurden, um das Fleisch zu garen. Nur... da brannte noch kein Feuer und Casâr mühte sich immer noch mit der Zunderbüchse ab.
Ich hielt es nicht mehr aus. „Soll ich mal?“ fragte ich grinsend und er ließ Zunderbüchse und Feuerstein liegen und trat ein paar Schritt zurück, während Maedrhos eilig die Spieße mit dem Fleisch in die Feuerstelle steckte und wie die anderen einen schritt zurück trat.
Ich richtete mich halb auf und ließ durch mein halb geöffnetes Maul eine Flamme auf das Fleisch strömen. Als ich aufhörte, war das Fleisch eher verbrannt als gut durch und das trockene Holz brannte gut und tat sein übriges.
schnell schnappte ich mir den ersten Spieß aus dem Feuer  und knabberte daran.
Die anderen sahen nicht gerade glücklich aus, dass ich ihnen einfach so einen Teil ihre Abendessens stahl, doch was sollte ich tun? Ich hatte schließlich auch Hunger.
Doch nachdem das Feuer weit genug herunter gebrannt war kamen auch die anderen zu ihrem Anteil. Aber es hatte bei weitem nicht gereicht, zumindest nicht für mich. Also ging ich noch einmal los, um noch einen kleinen „Nachtisch“ zu jagen, ein kleines Reh vielleicht oder ein Fohlen.
Wieder war es für mich kein Problem, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Ich musste nicht lange suchen, bis ich eine kleine Gruppe Rehe auf einer Waldlichtung erblickte und ein Tier aus spähte, das  mir geeignet erschien.
Ich fraß entfernt von den anderen, um sie nicht zu stören.
Nachdem ich fertig war, legte ich mich zurück an meinen Platz. Cárië gesellte sich zu mir und setzte sich zwischen meine Hörner. Langsam ließ ich den Kopf auf die Pranken sinken und schlief nach einer Weile tief und fest, als einer der ersten.

Ich wachte, denn ich meinte, ein Geräusch gehört zu haben. Ich blickte mich um. Die anderen schliefen noch und Cárië hatte es auch nicht sein können.
Ich wollte mich gerade wieder hinlegen um weiter zu schlafen, da hörte ich es wieder.
„Hilfe...“ Es war nur wie ein weit entferntes Echo, so leise. Und niemand von den anderen schien es gehört zu haben, denn von denen regte sich keiner.
Und es blieb nicht bei einem Hilfeschrei. Wieso hörte das denn niemand außer mir?
Dann kam mir ein Gedanke. Bildete ich mir das am Ende alles nur ein?
Doch das konnte nicht sein, denn es war alles so klar und real, es konnte nicht nur Einbildung sein!
Und wenn es niemand anderes außer mir hören konnte, bedeutete das, das die Stimme nur in meinem Kopf existierte. Vielleicht wurde ich langsam aber sicher verrückt.
„Hilf mir, bitte....“
Erschrocken zuckte ich aus meinen Überlegungen hoch. Ich war mir sicher, das die Stimme nur in meinem Kopf existierte, also versuchte ich es mit einer Antwort.
„Wo bist du?“ Ich hatte fragen wollen „was bist du?“ aber es schien mir nicht richtig.
„Ich bin hier eingesperrt...“ Die Stimme klang schwach, aber eindeutig weiblich. Ich wollte gerade wieder antworten, als eine Flut von Bildern auf mich ein stürmte. Es war, als würde ich über dunkle Wälder fliegen, sie zogen pfeilschnell unter mir vorbei. Ein Fluss schlängelte sich unter mir hindurch und dort war eine Lichtung zwischen den dunklen Kronen er Bäume. Ein See, der das Sonnenlicht wie ein Spiegel reflektierte und dann, hoch auf einem Hügel aus grünem Gras, ein Schloss. Es schien ganz aus blendendem Silber zu bestehen, so hell funkelten seine unzähligen Türme im Sonnenlicht, dass ich geblendet de Augen schließen musste. Ich schien genau auf das Schloss zu fallen, das riss der Bilderstrom plötzlich ab. Ich öffnete die Augen wieder und sah mich verwundert um. Immer noch stand ich an dem selben Fleck, mein Schwanz peitschte unruhig hin und her und ich knurrte leise. Sofort waren alle hellwach. Die drei Zwerge hatten ihre Beile gezogen und schlagbereit irgendwohin gerichtete, die Elben waren nicht ganz so schnell. Als sie sahen, das anscheinend von nirgendwo Gefahr drohte, sahen sie mich verwirrt an.
„Was ist denn los, Aníro?“ fragte Maedrhos. „Wieso knurrst du?“ Ich hatte meinen Blick hinaus aus dem Wald gerichtet, wo gerade die Sonne aufging. Noch immer zuckte mein Schwanz nervös hin und her, und ich hatte alle meine Muskeln angespannt, bereit, sofort los zu fliegen.
„Ich muss jemanden retten. Allein.“ die anderen starrten mich erschrocken an.
„Aber woher weißt du das?“ fragte Celahir verblüfft. Ich sah mich zu ihm um.
„Ich habe diese Stimme gehört, in meinem Kopf. Und dann waren da all diese Bilder, die mir zeigten, wo ich hin muss. Es ist wirklich wichtig.“
Celahir sah mich weiterhin skeptisch an.
„Du hast also nur die Stimme und die Bilder als Beweis? Was, wenn es eine Falle ist, hast du daran schon mal gedacht? Du gehst dort nicht alleine hin, wir gehen mit dir.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich sicherer hin, damit ich ihn nicht umstimmen konnte, auf welche Weise auch immer. Es war ihm also wirklich ernst. Er wollte mich nicht alleine gehen lassen.
„Celahir, hör mir zu. Wenn ihr alle mitkommt,brauchen wir Monate, bis wir dort sind. Lass mich alleine gehen! Ich bin mir fast sicher, das es keine Falle ist und wenn ich....“ Er unterbrach mich. Das hatte er sich vorher noch nicht getraut, aber anscheinend wurde es ihm dann doch zu bunt.
„Aníro, halt mal die Luft an! Du weißt nicht einmal, wo das ist, wo du hin musst, und...“
ich schnaubte und kleine Flämmchen schossen aus meinen Nüstern.
„Ich weiß sehr wohl, wo das ist. Ich.... ich weiß nur nicht, wie ich da hin komme. Aber hier im Umkreis dürfte es nicht all zu viele Burgen oder Schlösser geben, vor allem keine aus Silber.“
sagte ich und leise. Unsicherheit schwang in meiner Stimme mit. Die Elben blickten mich erstaunt und bestürzt an, nur Varyemo schwieg verbissen und wandte sich ab.
„Ganz aus Silber, sagst du?“ fragte Celahir geschockt. Er wechselte einen Blick mit Irwaen und Maedrhos, dann sah er wieder zu mir herüber.
„Ja, wieso? Kennst du diese Burg?“ Ich sah, wie er nickte.
„Es ist das Schloss meiner Heimat, in dem die Königin lebt. Aber sie nimmt niemanden....gefangen.“ Er sprach das letzte Wort so zögerlich aus, als sei er sich selbst nicht sicher.
Ich schnaubte und schlug erneut so heftig mit dem Schwanz, das ich ihn fast von den Füßen gerissen hätte. „Wie lange würden wir brauchen, um dort hin zu kommen?“ fragte ich ihn mir funkelnden Augen. Ich war begierig, sofort los zufliegen und wen auch immer zu retten.
Er dachte eine Weile nach. „Wenn wir alle reiten und nur du fliegst... du bist natürlich schneller da als wir, es sei denn, wir würden unsere Pferde zu Tode hetzen. Wir kämen immer noch viel zu spät an, um dir zu helfen, sollte dir etwas passieren. Es ist sicherlich eine Reise von mehreren Tagen, wenn nicht gar einer Woche. Bis dahin könnte der, der dich um Hilfe gebeten hat, längst tot sein. Oder schlimmeres.“ sagte er dann.
Ich wandte mich ab und dachte angestrengt nach. Er hatte Recht, es gab keinen Weg, wie wir alle gemeinsam noch rechtzeitig dort hin kommen sollten.
„Wir müssen uns aufteilen.“ sagte plötzlich Varyemo hinter mir. Nicht nur ich, alle drehten sich erstaunt zu ihm um.
„Und wie, schlägst du vor, soll das von Statten gehen?“ fragte Celahir zurück. Varyemo beachtete ihn gar nicht, er sah nur mich an.
„Aníro fliegt voraus, und wir reiten ihm nach Natürlich ist er schneller als wir, aber er kann ja bei Einbruch der Nacht auf uns warten. Wir fünf“, er zeigte auf Celahir, Irwaen, Maedrhos, Nerys und sich, „gehen dann mit ihm, während die Zwerge dort auf uns warten.“ Die drei starrten ihn empört an und Teccór wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als Maedrhos sie unterbrach.
„Aber da haben wir immer noch das Problem mit der Geschwindigkeit. Aníro kann sehr viel schneller fliegen, als unsere Pferde laufen können, und er würde sich sicher nicht absichtlich zurückhalten lassen, wenn er ein leben zu retten hat. Und selbst wenn wir unsere Pferde zu Tode hetzten, würden wir zu Pferd wohl kaum bis zum Schloss kommen. Solche Anstrengungen hält kein Pferd aus.“
Varyemo hatte immer noch nicht den Blick von mir genommen und ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei.
Ein Grinsen wurde auf seinem Gesicht sichtbar.
„Dann muss er wohl doch....“ Ich hatte Recht. Ich wusste sofort, was er sagen würde und auch, das ich ihm das ganz bestimmt nicht erlauben würde. Mit zwei Schritten stand ich vor ihm und brachte mein Gesicht ganz nah vor seines, bis er mir in die Augen sehen musste.
„Jetzt hör mir genau zu, ja? Ich – bin – kein – gewöhnliches – Maultier! Kapiert?!“
Bei jedem Wort schlugen ihm Funken entgegen, die winzige Löcher in seine Kleidung brannten. Er wich zurück. „Gut, ich hab verstanden. Mir fiel halt nicht ein, wie wir es sonst schaffen sollten.“ sagte er schon wesentlich leiser. Ich knurrte und wandte mich ab. Doch Casâr schien plötzlich eine Eingebung zu haben, denn er hielt mich auf.
„Warte mal, Aníro. Meinst du, du könntest wenigstens ein paar von uns tragen? Nicht, das wir auf dir reiten, sondern das wir uns in deine klauen setzen und du trägst uns? Ginge das nicht?“ fragte er zögernd, denn auch er hatte keine besonders große Lust, sich von mir anfauchen zu lassen.
Ich dachte darüber nach. Ein paar Minuten lang sagte niemand etwas.
„Hm... ihr Zwerge nehmt doch ohnehin einen anderen Weg, und die Elben sind leicht...“ Casâr lächelte mich an.
„Genau. Und zum Fliegen brauchst du doch deine Klauen nicht, oder? Also wäre es kein Problem und du müsstest nicht befürchten, abzustürzen. Ihr wärt schneller am Ziel und könntet befreien, wen immer ihr wolltet.“
Ich sah ihn an und lächelte leise.
„Das ist eine gar nicht mal so schlechte Idee. Könnte von mir sein. So machen wir es. Nur müsst ihr dann die Pferde mitnehmen, und den Wolf. Aber ich denke, das schafft ihr, oder?“ Die drei Zwerge nickten.
„Na dann, wenn ich bitten darf, die Damen zuerst, und nicht drängeln, ja?“
Irwaen und Nerys taten, was von ihnen verlangt wurde und setzten sich in meine Klauen.
Celahir besah sich das Ganze, schüttelte aber dann den Kopf.
„Nein, so geht das nicht. Wie willst du landen, wenn du deine Klauen nicht frei hast?“ fragte er. Ich sah ein, das er Recht hatte und setzte die beiden Elbinnen wieder ab.
„Aber was dann? Uns läuft die Zeit davon, Celahir!“ Er ging ein paar Schritte davon und drehte kleine Kreise im Gras.
„Also gut, also gut. Dann bleibt uns nur die Wahl, das wir auf dir reiten, anders schaffen wir es nicht! Ich befürchte nur, wir alle werden zu schwer für dich sein.“ Er hatte angehalten und sah mich an. Verbittert brüllte ich auf und hieb meine Faust gegen den nächstbesten Baum, sodass dieser in der Mitte durchbrach und unter ohrenbetäubendem Lärm zu Boden krachte.
Schnaubend wandte ich mich ab und grub meine Krallen in den dunklen Boden.
„Schön, wir versuchen es. Wir haben keine Zeit mehr, noch länger zu überlegen!“ sagte ich ruckartig und kauerte mich auf den Boden.
Einer nach dem anderen stiegen sie auf meinen Rücken und hielten sich fest.
Die drei Zwerge traten ein paar Schritt zurück, als ich meine Flügel ausspannte und mit mehr Mühe als sonst ob der schweren Last endlich abhob.
„Wir treffen uns am Schloss!“ rief Celahir noch, bevor ich mich auf den Weg machte und er mir diesen zeigen musste.

Es war, als würde ich meinen Traum als wahr erleben. Der Wald, durch den wir noch vor wenigen Stunden gelaufen waren, erstreckte sich jetzt als dunkelgrüner und nebelverhangener Teppich im Licht der heraufziehenden Sonne unter mir. Dem Fluss, dem wir schon die ganze Zeit über gefolgt waren, folgten wir jetzt immer noch. Blendend hell spiegelte sich die Sonne darin, sodass ich die Augen für einen Moment schloss, sie aber wieder auf riss, als Celahir mir auf die Schulter klopfte.
„Siehst du das da unten, Aníro? Da müssen wir landen. Aber ohne gesehen zu werden.“
Doch das war jetzt so gut wie unmöglich, also machte ich eine scharfe Kehrtwendung und landete am Rand des Waldes. Ohne meine Freunde absteigen zu lassen trat ich in den Schutz der Bäume und kauerte mich in ihrem Schatten nieder, sodass sie absteigen konnten.
„Und jetzt?“ fragte ich ungeduldig und schüttelte die Flügel aus. Celahir starrte mich an wie ein Kind, das nicht weiß, das eins und eins zwei ergibt.
„Wir warten, was sonst? Wir müssen bis Einbruch der Dunkelheit warten, oder sie erwischen uns.“
Ich sah ihn erbost an und konnte nicht glauben, was er sagte.
„Warten? Wir sollen allen Ernstes auch noch den ganzen Tag warten? Du verstehst nicht, oder? Bis wir dort drin sind, könnte derjenige, der mich um Hilfe gebeten hat, längst tot sein! Ist dir das egal?“ Er wandte sich ab und starrte in den Wald. Minutenlang sagte niemand etwas und ich glaubte schon, er wäre eingeschlafen oder gestorben oder sonst etwas, aber da drehte er sich wieder zu mir um.
„Ja, wir werden hier warten, weil ich es sage, Aníro! Wenn wir jetzt dort hinein marschieren, sieht man uns doch! Verstehst du das nicht?“ Ich schnaubte nur. Das wollte ich nicht verstehen. Irgendjemand wurde dort drinnen gefangen gehalten oder gefoltert, und er wollte nichts tun und einfach warten, bis sich eine günstigere Gelegenheit bot als die, die hier schon gegeben war! Varyemo ging zu einem umgestürzten Baum und ließ sich darauf nieder. Er lehnte sich leicht vor, wie ein Verschwörer, der gleich sein größtes Geheimnis preisgibt und ein merkwürdiges Lächeln umspielte seine Lippen.
„Wir sollten es jetzt versuchen, Celahir! Wenn wir noch länger warten, kannst du dann verantworten, zu spät zu kommen?“ Das Grinsen war aus seinem Gesicht gewichen, mit einem Mal sah er ernst aus und so, als wolle er uns wirklich helfen. Celahir sah unschlüssig von mir zu Varyemo und wieder zurück. Dann seufzte er entnervt auf.
„Schön, wir gehen. Aníro, du bleibst hier, bis ich dich rufe. Du erregst zu viel Aufmerksamkeit.“
Das wiederum lies ich nicht mit mir machen.
„Nein, werde ich nicht. Ich habe es dir schon einmal gesagt, ich lasse mich nicht herbei pfeifen wie einen Hund!“ Und mit diesen Worten hatte ich einen Satz in die Luft gemacht und flog davon, meinem Ziel entgegen.

Celahir reckte verzweifelt die Hände gen Himmel. „Wieso hört er mir nicht zu! Er ist so stur. Wie will er denn da rein kommen, ohne gesehen zu werden oder die Decke einzureißen und dann gesehen zu werden? Er ist so oder so tot!“ Immer noch fluchend rannte er in die gleiche Richtung, die anderen folgten ihm.

Die Mittagssonne stand schon hoch am Himmel, als ich in einiger Entfernung zum Schloss landete.
Celahir hatte Recht gehabt. Wie sollte ich dort hinein kommen, geschweige denn jemanden finden, von dem ich nicht einmal genau wusste, wo er war? Oder sie.
Zudem konnte ich mich nicht in einen Menschen verwandeln, so wie der schwarze Drache.
Ob es mir half, wenn ich meinen Geist noch einmal auf die suche schickte nach dieser Person?
Gerade wollte ich das tun, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm und mich ins hohe Gras kauerte. Ich bemerkte allerdings zu spät, das ich für diese Versteckmöglichkeit längst zu groß geworden war und es daher nicht gerade gut funktionierte.
Doch bei näherem Hinsehen entpuppte sich die „Gefahr“ als die drei Zwerge, die mit den Pferden am Zügel durch die helle Mittagssonne gelaufen kamen und vor mir Halt machten. Wenig später brachen auch Celahir und die anderen durch ein Gebüsch zu meiner Linken.
„Na endlich“, rief er, als er die Zwerge sah und nahm sein Pferd in Empfang. Sogleich hatte er sich in den Sattel geschwungen und drehte sich zu mir.
„Aníro, du bleibst mit den Zwergen hier. Wir regeln das.“ Glaubte er allen ernstes, ich würde mir Befehle geben lassen? Hatte er immer noch nicht verstanden? Anscheinend nicht, denn er beharrte bei seiner Meinung.
„Und ich habe dir gesagt, das ich das nicht tun werde.“ Knurrte ich und richtete mich wieder auf. Rauchkringel quollen aus meinen Nüstern und ich schnob mit jedem Atemzug funken aus, so sauer war ich.
„Schön, dann warten wir, bis es dunkel ist.“ Was wollte er, mich zum Weinen bringen? Das hatte er dann fast erreicht. Ich war erschöpft, angespannt und nervös und nicht gerade in der Stimmung für kindische Spielchen.
„Verdammt, verstehst du nicht? Wir haben keine Zeit mehr!!!“ Ich brüllte ihn an,aber es war mir egal, ob mich jemand hörte und es vielleicht unseren ganzen Plan gefährdete, ich wollte handeln, und zwar sofort.
Celahir hatte eine Hand an er Nasenwurzel und die Augen geschlossen.
„Schön, lass mich nachdenken!“ murmelte er erschöpft und ging langsam im Kreis. Ich beobachtete ihn misstrauisch, was heckte er jetzt wieder aus? Schließlich blieb er stehen und sah mich an, als sei ihm ein Licht aufgegangen.
„Es gibt einen geheimen Tunnel, der genau in das innere der Burg führt. Von außen ist er nicht leicht zu entdecken, und vielleicht haben sie ihn noch nicht zugeschüttet oder wissen noch nichts davon, aber ich kenne ihn und mit meiner Hilfe kommen wir auch dort rein. Allerdings...“, er sah zweifelnd zu mir herüber und ich sah zurück, erwartungsvoll und bis in die Schwanzspitze gespannt. „Du musste die Wachen ablenken, Aníro. Anders schaffen wir es nicht. Denk dir irgendwas aus, bewirf sie meinetwegen mit Steinen oder speie Feuer oder... irgendwas wird dir schon einfallen, du bist doch schlau.“ Ob er meinte, es würde helfen, einem Drachen zu schmeicheln? Vielleicht hatte er Recht.
Ich erwiderte nichts, sondern breitete meine Flügel aus und flog davon, um den ein oder andren größeren Stein am Wegrand aufzulesen und mit den Wachen meinen Spaß zu treiben.

Währenddessen machten sich Celahir und die anderen auf in Richtung des Schlosses. Ich flog immer über ihnen und konnte sie gut genug sehen. Sie würden am Eingang auf mein Zeichen warten, und dann erst einsteigen, wenn die Wachen gut genug abgelenkt waren. Und als Ablenkungsmanöver hatte ich nicht nur Steine im Sinn.
Etwas haltbareres musste her. Und da hatte ich auch schon einen Plan.
Ich flog ein wenig schneller und überholte die kleine Gruppe unter mir. Die Zwerge hatten sie wieder zurück gelassen, anscheinend waren wir sonst doch zu viele.
Ich richtete meinen Blick wieder geradeaus und flog niedrig an der Burgmauer entlang. Es war den Wachen nicht verborgen geblieben und sie schlugen Alarm.
Auf dem kurzen Weg hierher hatte ich immer wieder niedrig fliegen müssen, um Steine vom Boden aufklauben zu können. Der ein oder andere war sicherlich kindskopfgroß, aber doch groß genug für mein Vorhaben und nicht zu groß, denn zu viel Schaden wollten wir - wollte ich – an dieser Burg auch nicht anrichten.
Kaum hatte der Posten einen Warnruf ausgestoßen, traf ihn auch schon der erste Stein und ließ ihn in die Mauer fliegen. Töten wollte ich nur im Notfall, sie bewusstlos zu schlagen reichte mir erst einmal. Beim ersten allerdings hatte ich es wohl übertrieben, denn einer seiner Kumpane drohte mir schreiend mit der Faust. Allerdings nur so lange, bis auch ihn ein Stein ins Reich des Vergessens schickte. Und diese naiven Elben hatten nicht einmal Schilde, um sich zu schützen!
Munter warf ich weiter Steine und lenkte die Wachen damit lange genug ab, damit sich Celahir und die anderen in den Schatten er Burg kauern konnten. Dann erst startete das richtige Manöver.
Sobald ich sah, das sie sicher genug im Schatten verborgen waren, drehte ich ab. Erst einmal, um die Wachen in Sicherheit zu wiegen, und dann natürlich, um ihnen ein bisschen in den Rücken zu fallen.
Ich umrundete die Burg einmal und bedachte dabei auch die Wachen auf der Rückseite mit Steinen, bis ich gefunden hatte, was ich suchte.
Die Ställe, und direkt daneben der Heuschober. Perfekt!
Ein einzelner Feuerball knallte wie eine Explosion und setzte das ganze Ding in Brand. Der Wind stand günstig, sodass die Funken schnell auf den Stall übersprangen und das Dach Feuer fing. Man hörte das panische Wiehern der Pferde und die Schreie der Männer, die das Feuer gesehen hatten und nun ihre Kameraden alarmierten, eine Eimerkette zu bilden und den Brand schnellstmöglich zu löschen. Erst als ich sicher war, das wirklich alle Wachen vollauf mit dem Löschen des Feuers beschäftigt waren, flog ich einen Looping und landete bei den anderen im Schatten der Burg.

Celahir lächelte befriedigt, als er mich sah.
„Das war einfach spitze, Aníro! Schon gut, wenn man jemanden hat, der Feuer speien kann!“
Er wandte sich wieder der Burg zu und sah nach oben, ob auch wirklich alle Wachen beschäftigt waren. Man konnte noch immer das Brüllen des Feuers hören wie hundert hungrige Drachen, die Pferde wieherten Panisch und Männer schrien.
Celahir bückte sich und schob eine Steinplatte zur Seite, die mit Gras und Moos überwachsen war und wir sie deswegen nicht gleich gesehen hatten. Dann griff er in seinen Rucksack und förderte ein paar Scheite Holz zu Tage, die sie anscheinend als fackeln benutzen Wollten. Er hielt sie mir zum Anzünden hin und ich tat, was ich sollte und wartete dann.
Celahir verteilte die Fackeln an die anderen und stieg dann als erster die Treppe in die Gewölbe herunter.
„Was ist mit mir?“ fragte ich nervös und zuckte mit dem Schwanz.
„Sieht der Gang hier groß genug für einen Drachen aus? Du wirst dir etwas anderes suchen müssen, wo du einsteigen kannst, oder du wartest auf uns. Da alle Wachen noch etwas länger mit dem Feuer beschäftigt sein werden...“ plötzlich schien ihn ein Geistesblitz getroffen zu haben.
„Aníro, nimm einfach den Abwasserkanal. Er führt vom Burggraben durch große Schächte genau in den Keller. Ich bin selbst noch nie drin gewesen, also in den Rohren, aber sie sind mit Sicherheit groß genug für einen Drachen. Und wenn das nicht geht, musst du wohl eine Wand einreißen.“
Er winkte noch einmal zum Abschied, dann ging er mit den anderen in den Tunnel und war verschwunden. Ich setzte die Deckenplatte wieder an ihren Platz und machte mich dann auf den weg zum Burggraben.

Es war dunkel und modrig in dem Gang, durch den unsere Freunde jetzt schritten. Wasser tropfte von den Wänden, die feucht glitzerten. Je weiter sie kamen, desto trockener wurde es jedoch. Schließlich standen sie vor einem schmiedeeisernen Tor, hinter dem sich die Zellen mit den Gefangenen befanden, wie Celahir wusste.
Einen Schlüssel hatten sie nicht, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Tor mit Gewalt aufzubrechen. Jetzt wünschte Celahir sich die Zwerge herbei, denn die hätten das zweifelsohne schneller und leiser bewerkstelligt als sie.
Krachend fiel das Tor zu Boden und sie schritten darüber hinweg. Hier reihte sich Zelle an Zelle, vergitterte Käfige und Zellen, die kaum Platz zum sitzen, geschweige denn liegen boten.
Die meisten von ihnen waren leer, bis auf vier.  Doch der Geruch, der in der Luft hing, sagte selbst Celahir, dass er zu spät kam, um alle zu retten. Es stank nach Tod und Verwesung.
In den zwei Zellen, in denen der Gestank am schlimmsten war, saßen bereit Fliegen auf den ausgezehrten Körpern und umschwirrten sie in einer dichten Wolke.
Sie fanden auch zwei Drachenskelette, abgenagt bis auf die Knochen, vielleicht lagen sie aber schon Jahre hier unten. Doch das konnte Celahir sich nicht denken. Die Königin hatte nur selten Gefangene gemacht und wenn, dann nur für kurze Zeit und niemals Drachen. Für sie waren Drachen die schönsten Geschöpfe der Welt, sie verehrte sie und sperrte sie nicht ein.
Sie waren fast in der letzten Reihe von Zellen angelangt, als Celahir sich überrascht umdrehte.
Diesen blonden Haarschopf kannte er so gut wie kaum ein Zweiter und wollte es doch nicht wahrhaben. Er stieß die Tür auf, die nur mit einem einfachen Riegel gesichert war.
Vor ihm kniete in Ketten eine Person, dünn und ausgemergelt, deren langes blondes Haar ihr wie ein Vorhang vor das Gesicht fiel. Doch ihre adlige Kleidung verriet sie.
Langsam und vorsichtig hob er ihr Kinn an und strich ihr das Haar aus der Stirn, um sie besser erkennen zu können. Sie atmete nur noch schwach und war offenbar mehrmals gefoltert worden, denn blaue Flecken und offene Wunden entstellten ihren Körper.
„Nelinómë?“ flüsterte er leise und ungläubig und die anderen kamen zu ihm geeilt. Stumm vor entsetzen standen sie hinter ihm in der Tür.
Langsam hob sie den Kopf und sah ihn aus trüben Augen an. Sie schien Mühe zu haben, ihn zu erkennen, doch plötzlich füllten sich ihre Augen mit tränen. „Celahir?“ flüsterte sie ungläubig. Sie streckte die Hände nach ihm aus und die Ketten, mit denen man sie gefesselt hatte, klirrten leise. Er griff um sie herum und löste ihre Hand und Fußfesseln, während sie an seiner Schulter trocken schluchzte.
Vorsichtig hob er sie auf und trug ihren federleichten Körper nach draußen.
„Celahir!“ Er fuhr herum und sah Maedrhos vor einer anderen, größeren Zelle stehen.
„Ich bin gleich wieder bei dir!“ flüsterte er Nelinómë zu und ließ sie bei Irwaen und Nerys.
In der Zelle, vor der Maedrhos stand, lag ein Drache. Auch er war bis auf die Knochen abgemagert und atmete nur noch schwach. Diese Zelle war etwas besser gesichert als die letzte, doch auch der Drache war mit eisernen ketten an die Wand seines Gefängnisses gekettet.
Seine Schuppen waren staubig und von grüner Farbe, aber ansonsten sah er aus wie jeder andere Drache auch. Er öffnete ein Auge und sah sie an. Vorsichtig richtete er sich auf, doch er war zu schwach und fiel wieder zurück, das die Ketten rasselten.
Zusammen mit Maedrhos brach Celahir das Schloss auf und trat in die Zelle.
„Dann hat euch mein Hilferuf erreicht?“ fragte der Drache mit heiserer Stimme. Es war ein Weibchen, das konnte man trotz der Schwäche und der Heiserkeit deutlich hören.
Er nickte, während er um sie herum trat, um ihre Fesseln zu lösen. Vorsichtig, um sie nicht zu verletzen, brach er die schweren Schlösser auf und trat dann zurück, um sie hinaus zu lassen. Doch sie war zu schwach, um aufzustehen und blieb liegen.
Langsam schloss sie ihre Augen wieder und seufzte tief.
„Lasst mich....hier. Ich werde ohnehin... bald sterben.“
Celahir schüttelte den Kopf.
„Das werden wir nicht zulassen. Steh jetzt auf und bewege dich aus dieser Zelle!“ sagte er in herrischem Ton. Die Drachendame sah ihn unsicher an und stemmte sich dann hoch. Schwankend stand sie und trat dann durch die Tür.
Celahir ging zurück zu Nelinómë und kniete sich neben sie.
„Was hat man mit dir gemacht? Oder vielleicht sollte ich fragen wer dir das angetan hat?“
Sie zitterte nur noch mehr und begann haltlos zu schluchzen. Celahir rieb ihr beruhigend über den Rücken und versuchte es erneut. „Na los, mir kannst du es sagen.“ Sie schüttelte nur panisch den Kopf. Dann aber schluckte sie und sah ihn an.
„Ta ea mine hîn minno.“ sagte sie zitternd und schluchzte erneut. Doch während sie das sagte, sah sie ihn nicht an. Sie sah über seine Schulter.
Eine geschockte Stille hatte sich über alle anwesenden gelegt und in diese platzte eine Stimme vom Eingang her.
„Wie Recht sie hat.“
 
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