Meine Geschichten
  Erste Erkenntnis
 
Hätte ich auf die Uhr gesehen, wäre das eine Zeit gewesen, zu der ich niemals freiwillig aus meinem warmen Federbett gekrochen wäre an diesem kalten Dezembertag. Leider war mir weitere Wärme in den weichen Federkissen nicht vergönnt, weil das Telefon klingelte.
Genervt langte ich aus der Wärme meines kleinen Kokons heraus. Ich konnte die Gänsehaut förmlich spüren, die sich auf meinem Arm bilden musste Wieso hatte ich diese Nacht über auch nur das Fenster aufgelassen? Sicherlich schneite es draußen und ich würde nicht mehr lange schlafen können, das wusste ich instinktiv. Tastend suchte meine Hand sich ihren Weg über den Nachttisch und stieß ein halbvolles Wasserglas um. Klirrend fiel es um. Wasser schwappte heraus und tränkte den Teppich. Ich grummelte genervt, während das Telefon weiter schrillte. Endlich bekam ich den Hörer zu packen und hielt ihn mir verschlafen ans Ohr, die Augen noch geschlossen. Es fehlte nicht viel und ich würde wieder einschlafen.
„Mhhh?“ brummte ich und wartete auf eine Reaktion.
„Mick?“ fragte mein Vorgesetzter zögerlich nach.
„Mhhh?“ kam es zurück. Ich machte die Augen auf und richtete sie auf den Wecker auf meinem Nachttisch. Halb zwei Nachts. Fast hätte ich wütend gestöhnt, ließ es aber sein. John Coal war niemand, dem man frustriert ins Ohr stöhnte, weil man unzufrieden war.

„Wir haben hier was, das du dir ansehen solltest. Komm zum Park.“ dann klickte es in der Leitung, noch ehe ich richtig verarbeitet hatte, was er eigentlich gesagt hatte.
„Warte mal, was ist denn...?“ fing ich an, aber er hatte schon aufgelegt. Immer noch grummelnd legte ich das Telefon wieder zurück dahin, wo es her kam und schwang die Beine unter der köstlich warmen Decke hervor. Sofort traf mich die Kälte des Zimmers wie ein Schlag ins Gesicht. Jetzt war ich wenigstens wach. Noch leicht zitternd huschte ich ins Bad, duschte und zog mich an, bevor ich weiterhin darüber nach grübelte, was John von mir wollen konnte in dieser Herrgottsfrühe. Ich war wahrlich kein Mensch, der gern mitten in der Nacht aufstand und sich an kalte, ungemütliche Orte begab, um Verbrechen aufzuklären, aber hier musste es nun einmal ein. Es war nicht das erste Mal und es würde auch nicht das letzte Mal sein.

Zwei Donuts und zwei Tassen Kaffee später fühlte ich mich wenigstens so gestärkt, das ich keine Mühe hatte, mit dem Wagen zu meinem Ziel zu fahren. Die ganze Zeit kreisten meine Gedanken nur um eines: Was konnte so schrecklich sein, das John damit nicht bis zum Morgen würde warten können? Am Park angekommen hatte man das gesamte Areal abgesperrt Was war passiert? Hatte man eine Bombe gefunden? Aber dann hätten sie mich nicht gebraucht. Ich war nicht zuständig für das Entschärfen von Sprengkörpern aus dem Zweiten Weltkrieg. Rund um den Zaun hatte man rot-weißes Flatterband gespannt und auch gelbes. Solches auf dem „Do not Cross“ stand und welches man sonst immer dann zu sehen bekommt, wenn ein Kommissar den Tatort eines schaurigen Mordes betritt. Ich km mir vor wie jemand in einem Film. Und dennoch war das alles hier von so bizarrer Realität, das ich fröstelte. Und das lag ausnahmsweise mal nicht an der Umgebungstemperatur.
John stand schon zusammen mit ein paar anderen Polizisten hinter dem gelben „Do Not Cross“- Band. Ich konnte ihn sehen, durfte aber erst passieren, als ich meinen Ausweis zeigte. Das rotweiße Flatterband wurde losgeknotet, gerade so viel, das mein Mercedes durch die Öffnung passte und hinter mir wieder sorgfältig versiegelt. Ich stieg aus und ging zu den anderen herüber. Leute von der Spurensicherung waren schon da, nahmen alles auf was wichtig sein könnte. Zeugen, die man befragen könnte gab es keine.

„Ah, der Mann der Stunde rückt an. Mick, schön, das ich dich doch aus den Federn bekommen konnte.“ John km zu mir herüber. Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit nur noch spärlichem rotem Haar, einem ebensolchen Schnauzer (jedoch nicht so spärlich wie der Rest seines Haares) und funkelnden braunen Augen, die immerzu zu lachen schienen. Außer in den Momenten, in denen er wirklich wütend war. Ich war ihm vor langen Jahren als Leutnant unterstellt worden und hatte mich seitdem Stück für Stück hochgearbeitet. Es fehlte nicht mehr viel zum richtigen Kriminologen.
„John, was gibt es?“ fragte ich lächelnd. Er antwortete nicht. Sein ausgestreckter Arm wies einfach nur zur Mitte des Brunnens, in dessen Nähe wir standen. So weit entfernt, das uns das Sprühwasser nicht traf, aber dennoch nah genug, um ihn zu hören und zu sehen, wie das Wasser funkelte, wenn es von den Scheinwerfern getroffen wurde, die hier standen und in der Mitte etwas ausleuchteten.

Ich warf John einen Blick unter gerunzelten Brauen hervor zu, der nur mit einem Nicken quittiert wurde. Geh nur, sagte der Blick, geh und sieh es dir selbst an.
John war niemand für lange Erklärungen, und so ging ich seltsam unsicher und doch neugierig zum Rand des Brunnens. Da er recht groß war, kümmerte ich mich nicht näher um die Eiseskälte, die das Wasser vermutlich haben würde und kletterte über den Rand ins Becken. Sofort durchnässte der Stoff meiner Hose und meiner Socken und Gänsehaut kroch mir bis zum Haaransatz. Egal.
„Wer auch immer das gewesen ist hat sich verdammte Mühe gegeben, sie ansehnlich zu drapieren.“ km es von einem Polizisten hinter mir. Er klang gründlich angewidert und im nächsten Moment wusste ich auch wieso.

Die Leiche einer Frau lag in dem flachen Becken, in dem gerade so viel Wasser war, dass sie nicht davon trieb, sondern blieb wo sie war. Vielleicht besorgten das aber auch nur die dünnen Silberketten, die um ihre Knöchel und ihren Hals geschlungen waren und schon Haut herunter gescheuert hatten. Man sah die feinen roten Linien deutlich auf der ansonsten wachsweißen Haut.
Je länger ich auf die tote Frau starrte, desto mehr erkannte ich. Ein dunkelroter Seidenschal war um ihre Gestalt gewickelt, ansonsten war die Frau vollkommen nackt. Ich sah keine äußeren Wunden an ihr, aber dennoch...
Bis ich die dünnen Schlieren roter Farbe bemerkte, die von ihr fort durchs Wasser trieben und in einen Abfluss gesogen wurden, der das Wasser ständig erneuerte.
Ich stutzte. War es wirklich bloß rote Farbe, oder war es...

Ich sah genauer hin. Das Blut schien an einem Punkt irgendwo unter ihrem Ohr zu entspringen, aber da der Kopf verdreht auf der Seite lag, konnte ich es nicht genau erkennen. Da war etwas dunkles, wie ein Loch an der Seite ihres Halses. Kam da das Blut her?
Ich nahm die Handschuhe aus der Tasche, die ich immer dabei hatte und streifte sie über, bevor ich ihr den Kopf zur Seite drehte. Unwillkürlich zuckte ich zurück. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Offensichtlich hatte ihr jemand eine zweizinkige Fleischgabel mit solcher Wucht in den Hals gerammt, dass sie daran verblutet war. Ich wusste nicht viel über das Verbluten, damals zumindest noch nicht. Konnte man verbluten, wenn man einen spitzen Gegenstand in den Hals gerammt bekam?
Vorsichtig machte ich noch einen Schritt zurück. Neben mir stand jetzt ein Mann mit einer Kamera, der Beweisfotos schoss. Ich trat zur Seite, um ihn nicht bei der Arbeit zu stören. Und dann sprang mir noch mehr Details ins Auge. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, die Frau genau in der Mitte des Brunnens zu drapieren. Sie bildete den Mittelpunkt eines abscheulichen Kunstwerkes. Ich überlegte, versuchte mir den Brunnen aus der Luft ins Gedächtnis zu rufen. Ihre Arme und Beine waren merkwürdig abgespreizt gewesen. Wo hatte ich das nur schon einmal gesehen? Gesehen hatte ich es auf jeden Fall, so viel stand fest. Ich km nur noch nicht darauf, wo.
Schlotternd stieg ich aus dem Brunnen und kam zu John zurück, der mi in Handtuch reichte. Damit verbannte ich das gröbste des Wassers aus meiner Hose. Anschließen zog ich die Schuhe einzeln aus und kippte sie um. Ein regelrechter Wasserschwall ergoss sich aufs Pflaster. Wie es schien hatte ich den halben Brunnen mit mir spazieren getragen.

„Und, was weiß man neues?“ fragte ich nach. John machte sich gerade Notizen auf einem Klemmbrett.
„Was? Oh, über das Mädchen? Tja, man hat keine Sachen von ihr gefunden, weißt du. Logisch, sie war ja vollkommen nackt. Leider war der Täter so schlau, weder die Tatwaffe noch Fingerabdrücke zurück zu lassen und wenn, hat das Wasser sie längst weg gewaschen. Wir bringen sie jetzt ins Leichenschauhaus, aber ich lasse dich wissen, wenn es etwas neues gibt.“ Er kritzelte seine Notiz zu Ende, riss das Blatt ab und gab es einem vorbei laufenden Polizisten mit. Ich wusste, das ich nun offiziell von diesem Fall entlassen war, bis zum nächsten Morgen. Müde war ich jedoch gerade gar nicht. Zu viele Fragen schwirrten mir im Kopf herum. Ich sah dabei zu, wie sie die Leiche der Frau in einen weißen Plastiksack steckten. Kurz bevor sie den Reißverschluss zuzogen, konnte ich einen Blick in die geöffneten Augen der Toten werfen. Der Blick, der mich traf war unbeschreiblich. Es steckte ein Flehen darin. Hatte sie so auch ihren Mörder angesehen, kurz vor ihrem Tod?
Ich schwor mir, das herauszufinden. Das, und wer es getan hatte.
 
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