Meine Geschichten
  ...und zweitens, als man denkt
 
In dem Moment, in dem ich in seine Augen sah, wusste ich, das etwas passieren würde. Ich hatte seine Telefonate abgehört und seine Privatsphäre gestört. Ich war sozusagen hier eingebrochen, denn alles, was ich der Frau am Schalter zu lesen gegeben war, war ein Durchsuchungsbefehl gewesen, von dem John gar nichts wusste, der also nicht beglaubigt und unterschrieben und somit nutzlos war. Und ein Blick in diese wütenden haselnussbraunen Augen sagte mir, das er das sehr genau wusste.
Aber ich schwieg. Ich wollte den Mund öffnen und etwas sagen, wollte ihm einen Grund für mein Auftauchen nennen, ihn mit den Tatsachen konfrontieren und mich herausreden, irgendwie. Aber ich konnte nicht. Ich war wie gelähmt und brachte keinen Ton heraus.

Er lächelte immer noch dieses Grinsen, das mir einen langsamen und schmerzhaften Tod versprach, wenn ich nicht schnell eine Lösung fand. Einen rettenden Engel musste es doch geben, der mich hier heraus holte, irgend jemanden...
„Sie denken also, ich hätte wirklich etwas damit zu tun, ja?“ fragte er und brachte sein Gesicht ganz nah an meines. Sein merkwürdig kühler Atem strich mir über das Gesicht. Er roch nach überhaupt nichts, worüber ich froh war.
„Also ich...“ fing ich an und trat wieder halb in den Schrank, „ich...“ er ließ mich nicht ausreden.
„Sie dachten, ich bringe meine Mitarbeiterinnen um und tue dann so, als wäre nichts gewesen, nicht wahr?“ fragte er nach. Ich schluckte. Wenn mir nicht schnell etwas einfiel, war ich geliefert.

Die Erlösung kam in Form eines Klopfens an der Tür. Ohne den Blick von mir zu nehmen, rief Mr. Fitzgerald „Herein!“, und die Klinke der Bürotür wurde herunter gedrückt. Er sah nicht auf, als der Besuch durch die Tür kam. Eine junge Frau, vielleicht in meinem Alter. Sie bewegte sich mit einer Anmut und Grazie, das mir die Knie weich wurden. Noch dazu hatte sie ihr langes schwarzes Haar zu einem Knoten aufgedreht und trug einen einfachen Hosenanzug.
„Ah, Coraline, wie schön, dich zu sehen.“ sagte Charles, sah sie dabei aber nicht an. Langsam wurde mir unter seinem starren Blick unbehaglich.

„Charles, ich wollte nur vorbei schauen um dich zu fragen ob...“ fing sie an, stockte aber und schwieg, als er eine Hand hob. Endlich brach er den Blickkontakt zu mir ab und sah der fremden Frau, die er mit Coraline angeredet hatte, an. Auch mein Blick wanderte zu ihr, dann stieß ich die angehaltene Luft leise durch den Mund aus. Einen Moment war mir gewesen, als wolle er mich mit seinem Blick hypnotisieren wie eine Schlange ein Kaninchen fixiert, bevor sie es frisst.
Dieser Mann sorgte doch dauernd dafür, das ich Gänsehaut bekam.

„Ich glaube, du verwechselst mich mit jemandem.“ sagte er und ich runzelte fragend die Stirn. War das hier etwa nicht Charles Fitzgerald? Vielleicht hatte er noch einen Zwillingsbruder? Überlegte ich amüsiert, obwohl mir die Knie zitterten.
„Wie meinst...“ fing die junge Frau an und warf mir einen Blick zu. Ich hatte gerade versucht, mich in Charles' Rücken aus dem Schrank und aus dem Büro zu schleichen, aber er hielt mich mit einem Arm auf. „Hier geblieben, Freundchen. Wir sind noch nicht fertig.“ murmelte er drohend. Ich schluckte und blieb, wo ich war, um zu zu hören.

Wenn er mich umbrachte, würde John nach mir suchen lassen. Spätestens morgen früh, wenn ich nicht auf der Arbeit erschien und auch nicht ans Telefon ging, würde er sich Sorgen machen und nach mir suchen. Allerdings hatte ich ihm nicht explizit gesagt, das ich noch einmal zu Mr. Fitzgerald gewollt hatte. Würde er es sich nicht denken können? Sicherlich würde ihm jemand erzählen, das ich im Technikraum ein Abhörgerät mitgenommen hatte und dann gegangen war. Er würde eins und eins zusammenzählen und wissen, wo ich war und mich suchen. Aber dann stand ich vor einem nächsten Problem. Würde dieser Typ zugeben, mich getötet zu haben? Oder würde sich John dann auch in Gefahr befinden? Wenn ich es hoch rechnete, war es wohl besser, wenn ich blieb.
Charles warf mir noch einen Blick zu, dann wanderte sein Blick zu Coraline. Ein kaum merkliches Schütteln seines Kopfes und ein neuerlicher Blick in meine Richtung machten deutlich, was er sagen wollte.
Wir bereden die Sache nicht, solange der Kerl noch hier drin ist.
Er drehte sich wieder zu mir herum und packte  mich am Arm, um mich zur Tür zu zerren.

„He, was soll...“ fing ich an, dann stand ich schon draußen vor der Tür, die sich hinter mir schloss. Aber so sehr ich auch mein Ohr gegen die Tür drückte, ich hörte nichts. Stille. Als würde dort drin kein einziges Wort gesagt. Vielleicht kommunizierten sie mit Blicken. Oder sie machten etwas vollkommen anderes. Frustriert seufzend ließ ich mich auf einen Stuhl vor dem Tresen fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Es hatte mir rein gar nichts gebracht, den Kerl abzuhören. Ich hatte nichts neues heraus gefunden und war sogar noch aufgefallen.

Stumm betrachtete ich die junge Frau hinter dem Empfangsschalter, die in einer Zeitung blätterte. Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, da ging die Tür wieder auf und die junge Frau kam anmutig heraus geschwebt. Charles war ihr gefolgt und bedachte mich mit so einem bitterbösen Blick, das ich schluckte. „Nun, wir sehen uns dann heute Abend um acht. Du weißt ja wo.“ Sie kam zu mir herüber und blieb mit einem Lächeln auf den Lippen vor mir stehen, sodass ich mich zwecks guter Manieren dazu genötigt sah, ebenfalls aufzustehen, um nicht zu ihr aufsehen zu müssen. Denn ich hatte keinesfalls vor, mich vor ihr oder diesem arroganten Ekel zu degradieren.

„Es würde mir gefallen, wenn ich Sie auch dort sähe, Mr. St. John.“ sagte sie und reichte mir die Hand. Ich drückte ihr einen Kuss auf den Handrücken und sie kicherte, bevor sie ihre Hand meiner entzog und ich darin nur ein Stück Papier fand. Rasch ballte ich die Faust und steckte die Hand in die Tasche meines Mantels, um den Zettel vor Mr. Fitzgerald zu verstecken, der argwöhnisch zu mir herüber schaute. Dann schwang die Tür hinter ihr zu und sie war verschwunden.
Ich sah Mr. Fitzgerald unbehaglich an. Denn auch wenn er nicht mehr so aussah, als würde er mir den Kopf abreißen, schien es mir doch so, als habe er etwas dagegen, mit mir im selben Raum zu sein. Die Aussicht, mit mir auf die selbe Party zu gehen, machte die Sache für uns beide nicht gerade besser.

Unangenehm berührt sah ich ihn noch einmal an, murmelte einen Gruß und ging dann mit plötzlich sehr unsicheren Schritten den Gang hinunter zum Aufzug. Ich konnte den ganzen Weg über seine Blicke spüren, wie sie sich in meinen Rücken bohrten und seinen Hass wie eine Hitzewelle, die mich verfolgte. Ich war froh, als ich wieder unten in meinem Wagen saß und den Zettel aus meiner Tasche holte. Darauf stand in eleganter Handschrift eine Adresse in Beverly Hills und ein Name.
Coraline DuVall hieß sie also. Und dieser Charles schien sie zu kennen. Seufzend steckte ich den zettel wieder weg und sah auf die Uhr. Ich hatte noch drei Stunden bis zur Party. Zeit genug, mich vorzeigbar zu machen und meine Nerven zu beruhigen.

*

Nervös parkte ich meinen Mercedes vor dem Anwesen. Seine Größe und Luxuriosität trugen nicht gerade dazu bei, meine Nervosität zu dämpfen. Ich kannte diese Frau nicht mal fünf Minuten und sie lud mich zu einer Party ein. Als ich ausstieg sah ich auch noch den Wagen des Finanzmagnaten vor der Tür stehen. Innerlich stöhnte ich auf. Also war er schon hier und ich würde vermutlich kaum eine Möglichkeit haben, ihm aus dem weg zu gehen. Mit dem ziemlich sicheren Gefühl, das der Tag in einem Desaster enden oder zumindest in der Zukunft eines auslösen würde, schritt ich die kiesbestreute Einfahrt hinauf bis zur Tür, wo ich klingelte. Coraline selbst machte mir die Tür auf. „Mr. St. John, wie schön, das Sie kommen konnten. Kommen Sie nur herein.“ ich trat durch die Tür. Das Haus war gerammelt voll von Menschen. Der Flur war erstaunlich ruhig, nur direkt hinter der Tür spielte Musik aus einem Plattenspieler und Menschen standen um mehrere Tische. Manche hielten Sektgläser in der Hand und unterhielten sich angeregt mit ihrem Tischnachbarn.
Ich dankte Coraline für die Einladung, dann ging ich zu der hier installierten bar und setzte mich auf einen Hocker, um etwas zu trinken zu bestellen. Wie durch Zufall wanderte mein Blick zur Seite und erspähte genau den Mann, den ich hier nicht zu treffen gehofft hatte. Aus dem Augenwinkel sah er zu mir herüber, bevor er sein Glas austrank.
„Ah, sind Sie also wirklich gekommen.“ murmelte er schon leicht lallend. Offenbar hatte er schon mehrere Alkoholische Getränke durcheinander getrunken, zumindest der reihe von Gläsern nach zu urteilen, vor der er saß. Sekt, Schnaps, Whisky, Bier, Gin, Wodka... ich hörte auf, die Gläser zu zählen. Wie viel und was er trank ging mich schließlich nichts an.

„Ja, das bin ich.“ ich sah mich unbehaglich um. Einerseits wollte ich ihn nicht einfach so sitzen lassen, aber mir behagte seine nähe nicht und ich fühlte mich fehl am Platz.
Also beschloss ich, ebenso still und heimlich zu verschwinden, wie ich gekommen war. Hier gehörte ich nicht hin. Und das würde ich nie. Ich schob Charles nur mein gerade bestelltes Bier zu, murmelte eine Verabschiedung, auf die ich einen recht ansehnlichen Rülpser als Antwort bekam und schlich mich davon.
 
  Heute waren schon 10 Besucher (18 Hits) hier!  
 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden