Meine Geschichten
  Ein neues Puzzleteil
 
Wieder zu Hause sammelte ich zuerst das umgeworfene Glas auf und räumte es in die Spüle. Wirklich Lust, mich um den Abwasch der Nacht zu kümmern, hatte ich nicht. An Schlafen war auch nicht zu denken. Mir gab immer noch zu denken warum man die Tote ausgerechnet in der Mitte des Brunnens abgelegt hatte statt sie einfach am Rand abzulegen.
Auch das man ihre Kleidung mitgenommen hatte und es keine Tatwaffe gab, gab mir zu denken. Wahrscheinlich war sie mitgenommen und wenig später weggeworfen worden. Die Chancen, sie noch zu finden, gingen gegen null.

Wieder wanderte mein Blick zur Uhr. Halb vier. Vor zwei Stunden war ich aufgestanden und bis ich wieder aus den Federn musste waren es nicht einmal mehr drei Stunden. Also setzte ich mich in die Küche, brühte mir noch einen Kaffee auf und sah nach draußen, bis das Dunkle Blau der Nacht dem ersten zartrosa des Tages wich. Es schien immer noch nicht ganz Tag geworden zu sein, fast, als würde die Nacht sich weigern, dem tag Platz zu machen, als mein Telefon erneut klingelte. Wohl oder übel musste ich mein zweites Frühstück stehen lassen und ins Schlafzimmer gehen.
„St. John?“ meldete ich mich, obwohl ich mir denken konnte, wer am anderen Ende der Leitung auf mich wartete. Ich sollte Recht behalten.
„Na, noch in bisschen geschlafen?“ empfing mich Johns fröhliche Stimme. Er wirkte nicht so, als habe er zu wenig geschlafen.

Müde rieb ich mir über das Gesicht. „Nein.“ murmelte ich ungnädig. Verdammt, das nächste Mal würde ich das gottverfluchte Telefon ausstöpseln und selig bis zum Mittag durchschlafen, schwor ich mir.
„Hm. Naja, ich wollte dich auch bloß wissen lassen, das es neue Erkenntnisse gibt. Wir wissen jetzt, wie die Tote heißt, wo sie gearbeitet hat und so weiter. Wenn du zuerst im Leichenschauhaus vorbeigehen könntest, da wartet ein Mitarbeiter des Krankenhauses mit neuen Informationen. Und danach wäre es sehr schön, wenn du mal die Arbeitsstelle unter die Lupe nehmen könntest.“ hörte ich John murmeln. Vermutlich klang seine Stimme so gedämpft, weil er nebenbei in seinen acht-Uhr-Bagel biss und nebenbei seine fünfte Tasse Kaffee trank.
„Okay.“ Dann legte ich auf. War wohl nichts mit dem verlängerten Frühstück. Im Laufen steckte ich mir die letzte Ecke des Donuts in den Mund, nahm meinen Mantel vom Haken und verließ das Haus.

Die Leichenschauhalle war schnell gefunden. Hier zu sein war mir irgendwie unangenehm. Das schummrige, unnatürliche Licht in den Fluren und das Wissen, in einem Krankenhaus zu sein führte bei mir dazu, dass ich eine Gänsehaut bekam. Besser wurde es in der kalten Leichenschauhalle nicht gerade. Als ich eintrat, präsentierte sich mir eine Wand voller Schränke aus gebürstetem Stahl, in dem sich, wie ich wusste, die Leichen befanden, bis sie ihrem endgültigem Bestimmungsort zugeführt wurden. Der ganze Raum war erfüllt vom kalten Glanz des Metalls. Nicht gerade der Ort, an dem ich mein leben verbringen wollte.

„Sind Sie von der Polizei?“ riss mich eine Stimme aus meiner Beobachtung. Ich sah mich um. Aus dem Nebenraum kam ein Mann, etwa anderthalb Köpfe kleiner als ich. Kurze schwarze Haare. Mexikaner, seinem Aussehen nach zu urteilen, gehüllt in die mintgrüne Kleidung, in der in diesem Krankenhaus alle herumliefen, ausgenommen vielleicht wichtige Ärzte.
„Ja. Sind Sie der Mitarbeiter, den ich hier treffen sollte?“ fragte ich zurück. Er nickte.
„Guillermo Gasol.“ stellte er sich vor und streckte mir die Hand hin. Ich ergriff und schüttelte sie. „Mick St. John.“ erwiderte ich. Lag es an der allgemein niedrigen Temperatur hier drin, oder hatte der Mann vor mir Durchblutungsstörungen? Seine Hand, die ich ergriffen hatte, war so kalt wie der ganze Raum. Sicherlich hielt er sich mehr hier drin auf als in den übrigen geheizten Räumen dieses Spitals.

„Man hat mir gesagt, Sie hätten Informationen für mich.“ fragte ich nach, während ich beobachtete, wie er zu den Schränken herüber ging, eine Reihe abzählte und dann mit einem Ruck einen davon aufzog.
„Wenn Sie wegen der Frau kommen, die heute Nacht in dem Brunnen gefunden wurde dann ja.“ Er zog den Schrank vollkommen heraus und hob die Bahre, auf der die Leiche lag auf den Tisch in der Mitte. Aus einer Schublade hinter sich holte er einen Block, der stichpunktartig beschrieben war.
„Haben Sie was zu schreiben da?“ fragte er und ich nickte nur. Aus der Innentasche meines Mantels holte ich ebenso einen Block und Stift heraus. Nur das mein Block nicht ganz die Dimensionen seines Blocks hatte.

Mit gezücktem Stift wartete ich aufmerksam auf Informationen. Vielleicht ließ er mich absichtlich zappeln, weil er mir den Rücken zudrehte. Als ich ungeduldiger wurde, fasste ich mir selbst ein Herz und sah mir die Leiche genauer an.
Einstichstellen am Hals, Kleidung fehlt, ansonsten keine weiteren Verletzungen, schrieb ich auf.
„He, Mann!“ ließ mich die Stimme des kleinen Mexikaners zusammenzucken. „Du kannst doch nicht einfach alles anfassen!“
verlegen schob ich die Hand, die gerade noch den Kopf der Toten hatte herumdrehen wollen, in meine Manteltasche. „Tschuldigung.“ nuschelte ich und vermied es, ihn anzusehen. Wurde ich dabei rot? Hoffentlich nicht. Ich sah Guillermo an. So wie er grinste, war ich wohl doch rot geworden. Verflucht.

Er kam zu mir herüber und warf einen kurzen Blick auf das, was ich geschrieben hatte. „Ooh, sehr gut kombiniert, Sherlock.“ frotzelte er. „Aber ja, sie hat keine anderen Wunden bis auf die zwei Biss... ich meine Stichwunden.“
„Beigebracht durch...?“ half ich ihm auf die Sprünge. Täuschte ich mich, oder vermied er es diesmal, mir in die Augen zu sehen? Er brauchte etwas zu lange für die Antwort.
„Eine Fleischgabel vielleicht?“ gab er zögerlich zu. Ich musste grinsen.
„So was hatte ich mir schon gedacht. Aber...“ bohrte ich dann nach. Ich konnte förmlich sehen, wie er schluckte. Irgendetwas stimmte an seiner Erklärung nicht und ich würde herausfinden, was es war.
„Aber...?“ fragte er nach und machte sich noch mehr Notizen auf seinem Block.
„Sind sie Wundränder dafür nicht zu... gezahnt?“ fragte ich nach.
„Nicht wenn die Gabel auch Zähne hatte.“ gab er zurück, drehte sich herum und griff wahllos in eine der Schubladen. Danach hielt er mir eine zweizinkige Metallgabel unter die Nase. Die äußeren Ränder der Gabel waren gezackt, wie dazu geschaffen, durch Fleisch zu schneiden. Unwillkürlich machte ich einen Schritt zurück, als er mir damit zu nahe kam.

„Gut, also hat man sie mit einem Stück eines OP-Bestecks umgebracht. Das kreist den Kreis der Verdächtigen doch schon etwas ein.“ murmelte ich und machte mir Notizen, bevor er mir widersprach.
„Nein, nein. Moment. Dann haben Sie mich nicht richtig verstanden. Ich habe Ihnen nur gezeigt, womit es möglich sein könnte, nicht, das die Tat genau mit so einem Stück verübt worden ist. Es könnte auch jede andere Gabel mit gezahnten Kanten gewesen sein. Das heißt nicht unbedingt, das es ein Arzt oder so war.“ meinte er dann heftig. Ich nickte nur und machte mir noch mehr Notizen.
„Okay. Weiß man etwas über die Todeszeit?“ fragte ich nach. Er umrundete den Tisch halb und blieb dann nachdenklich daneben stehen. „Das kann ich nicht genau sagen. Das kalte Wasser in dem sie gelegen hat macht es schwierig. Auf jeden Fall kann man den Zeitpunkt auf kurz vor Mitternacht bis kurz nach halb zwei Nachts eingrenzen.“

Ich sah ihn skeptisch an. „Das ist nicht gerade ein sehr kleiner Zeitraum.“ gab ich zu bedenken. Er zuckte die Schultern. „Auch rettende Engel machen mal Fehler...“ meinte er. „War's das? Sie darf nicht zu lange hier draußen liegen.“ meinte er und hob nach einem Nicken von mir die Bahre wieder an, um sie zurück in den Schrank zu legen und diesen dann zu verschließen.
„Sonst noch was?“ fragte er und ich überlegte, bis es mir wieder einfiel.
„Ja. Ich bräuchte den Namen, Alter und so weiter.“ wieder wartete ich, bis er mir die nötigen Informationen freiwillig gab.
„Samantha Dunne, 23 Jahre alt, war zuletzt angestellt bei... ah ja.“ er zog eine Visitenkarte aus seinem Klemmbrett und reichte sie mir. Ich las sie durch. Das war auch die Adresse, die John mir genannt hatte. Die Modelagentur, zu der ich als nächstes fahren würde.
„Danke, aber die Adresse kenne ich schon.“ ich sah mich noch einmal im Raum um.
„Ja, ich denke das war es dann so weit. Danke für Ihre Hilfe.“ murmelte ich und verließ nachdenklich den Raum. Als ich die Hand in die Tasche steckte, fand ich die Visitenkarte dort trotzdem. Hatte ich sie doch gedankenverloren eingesteckt. In meinem Wagen drehte ich sie hin und her. Ich würde noch herausfinden, was es damit auf sich hatte. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Immer noch in Gedanken verloren warf ich den Wagen an und fuhr davon.
 
  Heute waren schon 5 Besucher (6 Hits) hier!  
 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden