Meine Geschichten
  Die Tote im Wald
 
Es war nun etwa zwei Wochen her, seitdem Mr. Fitzgerald mich so überaus deutlich aus seinem Büro verbannt hatte. Wirklich weiter gekommen war ich in der Sache nicht. Zwar war ich noch einmal bei Guillermo gewesen, allerdings ohne etwas mehr heraus zu finden. Augenzeugen gab es keine, die Tote war zufällig entdeckt worden und derjenige, der sich bei der Polizei gemeldet hatte war danach gleich verschwunden. Den Anruf zurück zu verfolgen war damals noch nicht möglich gewesen und so hatten wir dort gestanden, um die Tote versammelt.

Mir gab immer noch die Verletzung zu denken. Zwei kleine Einstichstellen am Hals... konnte sie daran wirklich verbluten. Guillermo sagte ja, mein Verstand sagte nein. Natürlich hatten sich die örtlichen Zeitungen schier überschlagen. Es war zwar kein Mann von der Zeitung, ein Reporter oder Fotograf anwesend gewesen, aber irgendwie waren diese Aasgeier doch an ihre Informationen gekommen. Wie ich das hasste. Zeitungsleute behinderten doch bloß die Ermittlungen, stellten nervende Fragen, zogen ihre eigenen Schlüsse und stellten am Ende gequirlten Mist in ihr Schmierblatt, um die ersten zu sein, die mehr wussten als die Allgemeinheit.

Gerade jetzt saß ich an meinem Schreibtisch und blätterte in besagtem Heftchen. Für mich war es bloß Schund, den man nicht lesen musste, aber mein umfangreiches Bücherregal ödete mich langsam an. Das kannte ich doch alles schon. Vielleicht sollte ich doch mal wieder die Buchhandlung hier um die Ecke aufsuchen und nach neuen Krimis stöbern...
Gerade wollte ich umblättern, als mir etwas ins Auge fiel. Ich blätterte zurück und mein Auge blieb an einer Kleinanzeige hängen.
Modelagentur sucht... Ich unterdrückte ein für mich eher untypisches Knurren und knitterte den Rand der Zeitung in der Hand. Wagte dieser Mistkerl es doch tatsächlich, zwei Wochen nach dem Tod einer Mitarbeiterin schon wieder auf Suche nach einem neuen Opfer zu gehen! Wollte er denn, das noch mehr Menschen starben? Vielleicht sollte ich diesen Laden unter einem Vorwand doch dicht machen. Immerhin konnte ich nicht verantworten, das noch mehr junge Frauen starben.

Doch mein Blick war auf etwas gelenkt worden, das meine Wut noch viel schneller hoch kochen ließ.
Polizist packt aus – Tote im Brunnen Opfer eines Massenmörders? Flog mir die Titelüberschrift förmlich ins Gesicht. Wer von den jungen Frischlingen im Departement hatte denn schon wieder sein Maul nicht halten können?
Aber als ich weiter las, klappte mir die Kinnlade herunter. Angeblich hatte ich ausgepackt und den Reportern haarklein erzählt, was passiert war oder was ich glaubte, das passiert war.
Oh oh. Ich konnte mir denken, was innerhalb der nächsten zwei Stunden passieren würde. Es war gerade einmal nach sieben und sobald ich ins Büro kam, würde John...

Das Telefon klingelte. Die zwei Stunden Vorbereitung auf das Donnerwetter konnte ich mir wohl abschminken.
„Ja...?“ fragte ich zögerlich und hielt den Hörer vorsorglich ein bisschen vom Ohr weg. Meine Sorge war berechtigt, denn im nächsten Moment fühlte ich mich als säße am anderen Ende der Leitung ein Löwe, dem jemand permanent am Schwanz zog.
Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, Mick?!“ wurde ich freundlich wie eh und je empfangen.
„ich habe gar nichts...“ fing ich an, aber wie es zu erwarten gewesen war, durfte ich natürlich nicht ausreden.
Du weißt sehr genau, das alle Informationen über den Mordfall der strengsten Geheimhaltung unterliegen, wie konntest du...
Ich seufzte und trank einen Schluck von meinem Kaffee.
Irgendwann würde er sich schließlich wieder beruhigen und mich auch mal zu Wort kommen lassen, deswegen blieb ich ganz ruhig. Ich kann derlei Wutausbrüche schon.

Nach einiger Zeit wurde es ruhig in der Leitung. „Mick? Bist du noch da?“ kam es zwar schwer atmend, aber einigermaßen Ruhig aus dem Hörer.
„Ja. Und wenn ich jetzt auch mal dazu beitragen dürfte, diesen Mist aufzuklären, wäre ich dir sehr verbunden.“ säuselte ich in das Telefon. Ich hörte ein Seufzen. „Hör mal, es geht gar nicht darum...“
Wenn es nicht darum ging, warum hatte er mich dann gerade zusammengefaltet? Wenn es nicht um diesen Zeitungsartikel ging, warum kam er dann nicht gleich zur Sache?
„Ich wollte nur sagen, das ich mit der Sache nichts zu tun habe. Die Informationen haben die nicht von mir und ich weigere mich...“
Noch ein Seufzen. „Ist schon okay Mick. Wir haben gerade eine andere Meldung rein bekommen. Ein Spaziergänger hat eine Tote im Wald gefunden. Wir brauchen dich dabei.“ Weitere Worte waren dabei wohl nicht nötig, denn er hatte schon wieder aufgelegt, ohne sich zu verabschieden. Ich starrte den Hörer in meiner Hand ein paar Sekunden lang an, dann legte ich ihn zurück auf das Telefon, das ich nach einigem Überlegen ins Wohnzimmer gestellt hatte. Ins Schlafzimmer ging ich ja wirklich nur, um zu schlafen. Warum das Telefon damals dort gelandet war, wusste ich gar nicht mehr. Vermutlich aus der Bequemlichkeit heraus, nicht aufstehen zu müssen, wenn es zu einem Nachteinsatz wie vor zwei Wochen klingelte. Seufzend räumte ich Frühstückssachen und Zeitung weg und machte mich notgedrungen auf den Weg. Die Arbeit rief immerhin.

Am Wald angekommen war es schon hell draußen. Ich parkte meinen Wagen auf dem Parkplatz und ging zu der Absperrung herüber, die die Polizei errichtet hatte. John erwartete mich schon und zog mich an der rot.weißen Metallbarriere vorbei, kaum das ich zeit gefunden hatte meinen Ausweis zu zücken.
„Also, was hat man gefunden?“ fragte ich nach. Okay, ich konnte es mir denken. Vermutlich hatte man eine junge Frau gefunden, der alles Blut und die Kleidung fehlte und die zwei Stichwunden am Hals aufwies. Doch während John mich zu der Stelle führte, die tief im Herzen des Waldes lag, wo weniger Licht hinfiel, selbst jetzt, als die Sonne schon voll aufgegangen war, beschlich mich das Gefühl, das dieser Mord etwas anders war als der davor.
Und ich sollte recht behalten.

Am Tatort angekommen präsentierte sich uns eine massive Eiche, aber von dem Ort, an dem wir standen, sah man das volle Ausmaß der Tat noch nicht. „Nun, schau es dir am besten selbst einmal an.“ meinte John und blieb stehen. Nicht mehr ganz so unsicher wie beim ersten Mal umrundete ich den Stamm des Baumes. Automatisch suchte ich auf Augenhöhe nach der Leiche oder am Boden, dann aber richtete ich meinen Blick etwas weiter nach oben und stolperte augenblicklich ein paar Schritte zurück. Die Szene, die sich mir bot, war so bizarr, das es nicht wahr sein konnte. Es musste ein Traum sein. Wer tat einer Person so etwas an?

Die junge Frau war an den Baumstamm genagelt worden, als hätte man Jesus ans Kreuz geschlagen, die Extremitäten vom Körper weg gestreckt. Makaberer weise lag ein dorniger Kranz auf dem blonden, langen Haar der jungen Frau. Da ihr Kopf nach vorn gefallen war verdeckte das Haar ihr Gesicht. Im unteren Viertel war es getränkt von Blut. Wie ein Wegweiser führte mich das Blut in ihren Haaren zur nächsten grausigen Entdeckung.
Man hatte ihr säuberlich den Bauchraum aufgeschnitten, von der Hüfte bis zu den Brüsten, und sie regelrecht ausgehöhlt. Nichts war mehr da. Mich starrte nur eine gähnenden, blutige Höhle an. Herz, Lunge, Darm, Magen, alles fehlte. Blut sickerte aus der Bauchhöhle zwischen ihren Beinen hindurch den Stamm herunter und versickerte im Waldboden. Der Blutgeruch wurde überwältigend und ich atmete flacher, um nicht zu viel davon zu riechen, während ich näher an den Baum heran ging. Natürlich gab e keinen Zweifel, das sie Frau tot war, aber irgendwas war anders als sonst.

Ich stolperte wieder zurück,. Dorthin, wo ich her gekommen war. Hätte ich in den Spiegel gesehen, wäre ich vermutlich so blass gewesen wie die Leiche. Ich sah weg, als sie sie vom Baum holten und untersuchten.
„Ich nehme mal an, du willst alles wissen, was man raus gefunden hat?“ fragte John neben mir und ich nickte nur. Das Bild der Frau ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Gab es da womöglich einen Verrückten, der Jack The Ripper nachmachen wollte? Aber nach allem, was ich wusste hatte dieser seine Opfer – allesamt Prostituierte – nicht in den Hals gestochen, sondern ihnen die Kehle durchgeschnitten.

„Wie du sehen kannst fehlen ihr Sämtliche inneren Organe. Muss wohl ein Profi am Werk gewesen sein, denn der wusste genau, wo er was abzuschneiden hat um...“
„Okay, komm zur Sache.“ murmelte ich mit leicht übel grüner Farbe im Gesicht. Mir war schlecht.
„Nun, ihr fehlen auch sämtliche Kleider oder andere Gegenstände die Aussage geben könnten wer sie war. Und natürlich ist sie verblutet. Allerdings nicht an den zwei Einstichstellen an ihrem Hals, soweit ich das sagen kann... augenscheinlich ist sie durch die Verletzung des Bauchraumes gestorben. Wenn sie noch gelebt hat als der Kerl ihr das angetan hat...“ Er sah mich an. War das Einbildung oder wurde mir gerade noch übler?
„Was denn? Das ist nicht deine erste Leiche.“ nein, meine erste Leiche war es gewiss nicht. Ich hatte in meiner Laufbahn vielleicht hunderte gesehen. Aber das war die erste, bei der mit einer solchen Brutalität vorgegangen worden war, das mich schauderte.
John sagte noch etwas, das ich nicht verstand über das Rauschen in meinen Ohren. Dann stützte ich auch schon fort in den Wald. Ich wollte nur weg. Weg von diesem grauenvollen Anblick.
 
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