Meine Geschichten
  Joseph
 
1

Es ist dunkel, kalt. Die Luft steht in weißen Wolken vor meinem Gesicht.
Ich eile weiter durch die engen Gassen mit dem
buckligen Kopfsteinpflaster.
Hinter mir nähern sich Schritte. Ich eile nicht. Bis nach Hause habe ich es nicht mehr weit.
Plötzlich ein scharfer Griff um meine Schulter. Jemand hält mich fest. Wie mit einem Schraubstock. Ich will mich herumdrehen, doch die Person kommt mir zuvor. Ich sehe nur ein paar kalter Augen und ... scharf wie Dolche stechen mir die Eckzähne durch die Halsschlagader.
Vampir, denke ich noch, bevor mich die Dunkelheit umfängt und lange nicht loslässt

2

Wieder einmal ein dunkler Tag. Aber die Sonne ist mein Feind, schon so lange. Hier lauere ich, verborgen hinter Büschen, auf das, was meinen Durst erträglicher macht. Solange der Durst in meiner Kehle brennt, ist es, als würde ich in Flammen stehen.
Schritte klappern über das Pflaster. Der hohe Absatz eines Damenschuhs. Vielleicht kommt sie aus einem Varieté.
Dort wird sie nicht mehr zurückkehren.
Sie geht an meinem Gebüsch vorbei und ich trete daraus hervor, als wäre das das natürlichste der Welt.
Lächelnd gehe ich auf sie zu. Das ist das einfachste der Welt. Sie wirft sich mir ja praktisch fast an den Hals.
Kurtisane, entscheide ich nach einem kurzen Blick, aber es stört mich nicht.
Die schmecken alle gleich.
Lächelnd biete ich ihr den Arm an.
„Erlaubt, das ich Euch nach Hause begleite.“ meine Stimme ist nur ein kehliges Flüstern, während sich meine Eckzähne aus dem Oberkiefer schieben.
Sie wird nichts spüren. Sie ist zu gefangen von meinem Anblick.
Und später stelle ich fest: Ich hatte Recht.
Sie schmecken wirklich alle gleich.

3

Seit einer ganzen Stunde stehe ich mir hier die Beine in den Bauch. Warten, warten auf den Zug, der scheinbar nicht kommt. Nachlässig lasse ich meinen Blick über die anderen Reisenden schweifen. Die Gerüche, die mir entgegenschlagen, sind gerade zu betäubend. Ich filtere menschlichen Schweiß, Rauch, Tabak und altes Frittenfett heraus, dann habe ich genug. Man sollte seine Sinne nicht überanstrengen.
Gerade als ich meinen Gang auf dem Bahnsteig wieder aufnehmen will,
tippt mir jemand von hinten auf die Schulter.
Ich rieche einen Hauch von Parfum, ganz schwach nur.
Eine Frau.
„Entschuldigen Sie, hätten Sie vielleicht Feuer für mich?“ fragt sie und lässt ihre Hand immer noch auf meiner Schulter ruhen. Erst will ich weiter gehen, soll sie sich jemand anderes suchen. Zurück in meine Kühltruhe will ich, denn es ist schon spät.
Aber ihre Stimme zwingt mich praktisch, mich noch einmal umzudrehen.
Und dann sehe ich sie.

4

„Ich habe keine Angst! Nicht davor! Nicht vor dir!“ sie schreit es mir fast entgegen.
„Seit wann weißt du es?“ frage ich leise. Ich habe Angst, mir versagt die Stimme, wenn ich weiterspreche, also lasse ich es sein und beschränke mich auf das Anstarren meiner Schuhe.
Sie schluckt und zittert ein bisschen, das kann ich hören.
„Schon immer.“ flüstert sie leise, aber für mich ist es, als würde sie es mir ins Ohr brüllen, so weh tun die Worte.
Ich war nicht achtsam genug. Oder war sie vielleicht einfach zu aufmerksam?

5

Ich stehe am Fenster und sehe hinaus. Sie sind wunderschön verziert, aber im Moment habe ich keinen Blick dafür. In meinem Kopf hämmern noch ihre Worte nach.
„Ich habe keine Angst! Nicht vor dir!“
Du solltest Angst vor mir haben, denke ich leise.
Ich drehe mich zu ihr um, sehe ihr aber nicht in die Augen.
„Ich bin kein Wohltäter, Sarah. Ich bin ein Monster! Das kannst du nicht allen Ernstes wollen!“
Sie schluckt. Ich kann sehen, wie schwer ihr die Antwort fällt. Wie es sie quält. Ich weiß, das sie das will, aber sie weiß auch, was das für sie heißt.
„Ich will nur mit dir zusammen sein. Für immer. Bis in die Ewigkeit.“

6

Irgendwann habe ich ihrem Drängen nachgegeben. Ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen. Doch nach fast vierhundert Jahren, wenn man sieht, wie die menschlichen Freunde älter werden und schließlich einer nach dem anderen sterben, dann sehnt man sich nach einer
Gefährtin, die nicht nur ein paar Jahrzehnte, sondern immer bei dir ist.
Ich hatte dreihundertfünfzig Jahre gebraucht, um Sarah Whitley zu finden.
Und es kostete mich nur ein kurzes Jahr,
um sie für immer zu verlieren.
Ich weiß bis heute nicht, an was es gelegen hat. Es kann so viele Ursachen haben.
Aber eines weiß ich:
Ich werde das nie wieder einem Menschen antun, der nicht etwas anderes will und der eine andere Wahl hat als das ewige Koma.
Selbst der Tod erscheint milde gegen das eigene Gefängnis seines Körpers, das man sich so schafft.
Ich werde es nie wieder tun. Nicht bei einer Frau, die ich liebe.
Nicht bei irgendwem, der eine andere Wahl hat.

7

„Mick, ich möchte dir gern jemanden vorstellen.“ Coralines Stimme. Und dann der Mann, den sie am Ellbogen aus der Masse der Partygäste zu uns herüber zerrte.
„Joseph, das ist Mick St.John, Mick, Joseph Costan.“ stellte sie uns vor und wir fixierten einander eine Weile, bevor wir vorsichtig und mechanisch die Köpfe einander zuneigten.
Der Kerl da sah nicht wirklich nach jemandem aus, der es verdient hatte, ewig zu leben. Er hatte etwas an sich, das mich nervös machte.
Er beobachtete mich. Minutenlang, wie ich zwischen den Gästen hin und her lief und ab und zu für einen Plausch oder einen Witz stehen blieb.
„Und er ist ein... Vampir?“ hörte ich ihn fragen und musste lächeln.
Was Coraline antwortete, bekam ich nicht mehr mit.
„... wirkt er ziemlich von sich selbst überzeugt.“ hörte ich weiter zu und Coraline lachte. Ihre Augen blitzten kurz zu mir herüber, aber ich tat, als lausche ich dem Gespräch zweier Geschäftsmänner aus Ohio.
„Er ist einer der reichsten...“ verstand ich noch, dann quatschte wieder jemand dazwischen.
So, du hältst mich für von mir selbst überzeugt, ja? Dachte ich mit leisem Spott. Du wirst schon noch sehen

8

„Ich verstehe immer noch nicht, warum wir nicht einfach die Vordertür nehmen und höflich fragen, ob man uns reinlässt.“ murre ich und verschränke die Arme vor der Brust. Ich bleibe, wo ich bin, während Mick das Dach anschaut.
„Weil gerade keiner zu Hause ist. Seit wann bist du denn so weinerlich, Joseph? Ich denke du bist stolz auf deine Fähigkeiten.“ frotzelt er und ich stöhne auf.
Wieso, wieso habe ich mich dazu bloß freiwillig gemeldet?
„Bin ich auch. Aber du nutzt das viel zu sehr aus. Was, wenn uns einer sieht? Erzählst du denen dann, du hast Superkräfte, so wie Spiderman?“ Ein unterdrücktes Lachen, während Mick leicht in die Knie geht, um Schwung zu nehmen.
„Es ist Nacht, Joseph! Normale Menschen schlafen um diese Zeit.“
Ja, denke ich grummelnd, normale Menschen springen auch nicht auf Hausdächern herum.
Mick springt ansatzlos hoch in den zweiten Stock und ich seufze.
„Kannst du mich nicht einfach durch die Vordertür reinlassen?“
Wieder ein Lachen. Aber keine wirkliche Antwort.
Seufzend springe ich ihm nach.

9

Es ist nicht so, das ich es nicht genießen würde, besondere Fähigkeiten zu haben.
Im Gegenteil. Ich liebe es, mich an Leute anzuschleichen,
sei es nur damit sie mich nicht bemerken, bis ich unmittelbar hinter ihnen stehe,
so wie jetzt bei Mick, oder als Beute.
Ich sehe, wie er herumwirbelt und mich mit etwas bedroht, das wie ein reich verzierter Metalldiskus aussieht, wie geschaffen, Vampire zu töten.
„Mach das nie wieder!“
„Was, meine übersinnlichen Vampirkräfte benutzen, um mich an dich anzuschleichen?“
Ich lächele still, während er sich umdreht und weiter Bücher aus dem Regal zieht.
Ich liebe meine Fähigkeiten.

10

Langsam geht die Tür auf, lautlos. Lautlos für einen Menschen, nicht aber für einen Vampir. Ich kann genau hören, wie Mick nach Hause kommt. Auf das Geräusch warte ich schon seit zwei Stunden.
„Ich habe mir mal einen Drink eingegossen...“ sagte ich beiläufig und schwenke den Inhalt meines Glases hin und her. Meine Schuhe liegen auf seinem Sofatisch, ihn scheint das nicht sonderlich zu stören.
„Du hast nicht zufällig Frischblut im Haus, oder?“ frage ich und beantworte mir die Frage selbst, während er zum Kühlschrank herüber geht und sich ebenfalls etwas eingießt.
„Nein, natürlich nicht. Was ist das, fettarmes Soja-Veganerblut?“
Er kommt zu mir herüber und greift nach dem Glas.
„Wenn dus nicht willst...“ bietet er an, aber ich scheuche ihn fort.
„Lass das!“ Lächelnd und schulterzuckend gießt er sich noch ein Glas ein und ich trinke meines bis zur Neige leer.
Das Zeug schmeckt nicht, aber wenn es nichts anderes gibt...

11

„Dein Name tauchte in einer Story auf, an der Maureen gearbeitet hat.“ Mick sieht mich berechnend an. Er glaubt also wirklich, ich wäre zu einem Mord fähig. Gut, er hat Recht, ich bin zu Morden fähig, aber das war ich nicht.
Er sieht mich immer noch so an, scheinbar wartet er auf eine Antwort.
„Wurde ihre Leiche in den Teergruben gefunden?“ frage ich und lasse meine Stimme absichtlich gelangweilt klingen.
„Nein.“ Ich nicke, denn das weiß ich schon. Meine manikürten Fingernägel klacken einmal kurz und laut auf das Holz meines Schreibtisches.
„Nun, das war mein einziger Mord in dieser Woche...“

12

„Stirb, Vampir!“ höre ich noch jemanden schreien. Als ob der Schmerz durch die Kugeln in meinem Rücken nicht genug wäre, lande ich rücklings auf dem Teppich, was mir ein Stöhnen und zwei Sekundenbruchteile später einen Schrei entlockt, weil sich etwas langes, spitzes durch meinen Brustkorb bohrt. Ein Holzpflock.
Ich bin am Boden festgenagelt und kann mich nicht mehr rühren, weil der Pflock meine Glieder zu lähmen beginnt.
„Es funktioniert nicht immer auf diese Weise.“ knurrt Mick hinter dem Kerl und dann wird er von mir weggerissen. Etwas splittert und ein hässliches Knacken erfüllt die Luft, dann ist Mick wieder bei mir und zieht mir das Holz aus dem Leib.
„Danke.“ mehr schaffe ich nicht, bevor er mir aufhilft. Wenigstens ist Sarah und Beth nichts passiert.


13

„Dann lass mich dir zeigen, wie viel du mir bedeutest!“ flüstere ich Sophia zu. Sie kann nicht handeln, ist wie erstarrt durch mein Geständnis. Und das, was ich jetzt vor habe, wird sie vielleicht noch mehr verängstigen, aber sie lässt sich bereitwillig darauf ein.
Langsam knöpfe ich mein Hemd ab und streife es mir von den Schultern, da ist sie schon aus Jacke und Schuhe geschlüpft.
Während ich sie zum Bett herüber trage, kann ich mich kaum noch beherrschen.
Ich schaffe es doch irgendwie bis ich endlich ganz auf sie herunter sinke und mich vollends in ihr verliere.
Das ich sie dabei beiße, weil irgendwann die Lust zu groß wird, um ihr noch anders Luft zu verschaffen, bekomme ich in meinem Rausch gar nicht mehr mit.
 
  Heute waren schon 11 Besucher (19 Hits) hier!  
 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden